Stories

Kramer gegen Kramer

von Jasmin Jouhar, 18.10.2012

Nennen wir es das Kramer-Paradox. Die Möbel des Frankfurter Architekten der Moderne stehen hoch im Kurs: Auf Ebay, bei Antiquitätenauktionen und in Designgalerien erzielen originale Tische, Türdrücker, Stühle oder Garderobenleisten gute Preise. Zudem hat der Möbelhersteller e15 in diesem Jahr seine erste Reedition Ferdinand Kramer gewidmet. Die Kollektion wird morgen in Berlin bei Andreas Murkudis vorgestellt. Einerseits.

Andererseits ist Kramers architektonisches Werk der Nachkriegszeit in Frankfurt akut vom Abriss bedroht oder bereits abgerissen. Seit 1952 Baudirektor der im Krieg stark zerstörten Goethe-Universität, plante er mit seinen Mitarbeitern bis 1964 insgesamt 23 Gebäude für den Campus an der Bockenheimer Warte. Vom damaligen Rektor Max Horkheimer auf dieses Amt berufen, kehrte der 1898 in Frankfurt geborene Ferdinand Kramer dafür aus dem Exil in New York in seine Heimatstadt zurück. Heute jedoch, rund 50 Jahre später, gibt die Universität das Gelände auf der Grenze von Bockenheim und Westend sukzessive zugunsten anderer Standorte auf, einige der Kramer-Bauten stehen seit Jahren leer. Mittlerweile hat das Land Hessen das Areal an eine stadteigene Wohnungsbaugesellschaft verkauft, die dort ein neues Quartier mit Büros, Gastronomie, Wohnungen und Kultureinrichtungen errichten will – den Kulturcampus. Verwertungsinteresse geht im Zweifel vor Erhaltung. Gerade in Frankfurt kein unbekanntes Phänomen. In den vergangenen Jahren sind dort einige prominente Gebäude der Nachkriegsmoderne abgerissen worden.

Zum Abriss freigegeben

Einerseits ist der Protagonist der Vor- und der Nachkriegsarchitektur in Frankfurt also auf dem besten Weg, ein Klassiker des Möbeldesigns zu werden. Und davon profitiert auch die Goethe-Universität: Deren Archiv verkauft die von Ferdinand Kramer selbst entworfene Ausstattung der Hochschulbauten – die Tische landen dann bei Ebay oder in der Galerie. Andererseits sind seine denkmalgeschützten Universitätsgebäude in der Stadt wenig geliebt. Die Mehrheit der Frankfurter ist für ihre zugegebenermaßen spröde Schönheit offensichtlich blind. Nur einige Architekten, Denkmalschützer und Bürgerinitiativen setzen sich für die Rettung ein. Das Universitätsarchiv verwendet die Einkünfte aus dem Möbelverkauf übrigens für die Dokumentation der Kramer-Bauten. Und hat im ehemaligen Institutsgebäude der Geisteswissenschaften, dem Philosophicum, Musterräume mit originalen Möbeln eingerichtet. Im Interview mit der Bauwelt bedauerte Michael Maaser, der Leiter des Archivs, den Abriss der Bauten jedoch explizit nicht. Und berief sich dabei auf Kramer selbst, der die Verlegung der Uni begrüßt hätte: „Auch auf Kosten seiner eigenen Bauten in Bockenheim.“ Soweit, so paradox. Aber warum werden Kramers so wenig geliebt?

„Aus Unverständnis“, sagt der Frankfurter Architekt Jochem Jourdan. „Die Kramer-Bauten sind für viele zu abstrakt. Die Menschen verstehen ihre Ästhetik nicht.“ Jourdan darf als Experte gelten, hatte er doch bereits 1975 den ersten Werkkatalog zu Ferdinand Kramer herausgegeben, der dessen ganzes Schaffen von der Zeit des Neues Frankfurt bis in die Siebziger umfasst. Jourdan interessierte sich für die Architektur der zwanziger Jahre in Frankfurt und fand in Kramer einen kompetenten Zeitzeugen. Schließlich arbeitete Kramer unter Stadtbaurat Ernst May an dem Wohnungsbauprogramm Neues Frankfurt mit seinen Großsiedlungen im Geist der Moderne mit. Jourdan sieht die Universitätsgebäude daher auch als „Denkmal für die Rückkehr des Neuen Frankfurt“, als ein „Projekt der Versöhnung“ über den Bruch des Krieges und der Vertreibung hinweg. Über die Haltung von Michael Maaser ärgert er sich: „Dieser Zyniker! Verkauft die Möbel zu Höchstpreisen, aber unterstützt den Abriss.“

Ein Loft im Philosophicum

Doch es nicht nur die Ästhetik der Kramer-Bauten, die reduzierte, bisweilen karge, von der amerikanischen Moderne beeinflusste Materialität und Formensprache, die auf wenig Gegenliebe in Frankfurt stößt. Die Gebäude sind sichtlich vernachlässigt. Es ist Konsens unter den „Kramer-Schützern“, dass die Unileitung bewusst nicht genug für die Instandhaltung getan hat. Ein Beispiel ist das neungeschossige Hochhaus des Philosophicums: eine Stahlskelettscheibe, deren Fenster teilweise seit Jahrzehnten blind sind, aber nicht ausgetauscht wurden. Gerade um das Philosophicum wird heftig gekämpft: Es steht einer geplanten Wohnbebauung im Weg. Neben dem Institut für Pharmazie und Lebensmittelchemie gilt es aber als Kramers wichtigster Bau auf dem Campus. „Aus der Zeit ist es eines der besten Stahlhochhäuser Europas“, sagt Jourdan. Sein Kollege D. W. Dreysse hat ein Konzept entwickelt, wie das Institutsgebäude in ein Wohnhaus umgewandelt werden könnte. Dank des Stahlskeletts gibt es im Inneren keine tragenden Wände, offene Grundrisse wie im Loft wären möglich. Doch ein Gutachten im Auftrag des Eigentümers kam zum Ergebnis, ein Umbau sei nicht wirtschaftlich. Jetzt hängt alles von der Entscheidung des Landesdenkmalamtes ab: Hebt es den Denkmalstatus des Baus auf, kann abgerissen werden.

Ikea avant la lettre

Das Designlabel e15 aus Oberursel bei Frankfurt hat also einen Nerv getroffen, als es dieses Jahr zur Möbelmesse in Mailand mit der Ferdinand Kramer Kollektion seine allererste Reedition vorstellte: acht verschiedene Stücke aus den drei Phasen seines Schaffens, gemeinsam mit Kramers Witwe Lore umgesetzt. Eine Liege, einen Stuhl und einen Hocker aus der Zeit des Neuen Bauens in den Zwanzigern. Zwei Beistelltische und ein großer Tisch aus der legendären Serie der Knock-Down-Möbel, die Kramer im amerikanischen Exil mit großem kommerziellem Erfolg entwickelte und die selbst zusammengebaut werden mussten. Ikea avant la lettre. Und zuletzt noch zwei Objekte, die zur Ausstattung der Hochschulbauten gehörten: eine Garderobenleiste und den Stahltisch mit der speziellen Ecklösung. Philipp Mainzer, Chef von e15, bedauert den drohenden Abriss sehr. „Es ist wirklich bemerkenswert, dass es für die Stadt Frankfurt nicht möglich ist, dieses Erbe gebührend zu pflegen. Ferdinand Kramer und seine Gebäude sind ein wichtiger Bestandteil der Geschichte und des Stadtbilds Frankfurts“, so Mainzer. „Schade, dass all die Bemühungen der Bürger an dem Ziel der Stadt scheitern, ein profitables Projekt zu entwickeln.“

e15 at Andreas Murkudis. The Ferdinand Kramer Collection
20. Oktober bis 17. November 2012, von 10 bis 20 Uhr
Eröffnung der Ausstellung morgen, 19. Oktober 2012, von 19 bis 21 Uhr

Andreas Murkudis, Potsdamer Straße 81e, 10785 Berlin

Neben der Kramer-Kollektion werden weitere Neuheiten und ein Best of von e15 zu sehen sein.
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Links

Ferdinand-Kramer-Archiv

ferdinand-kramer.org

Ferdinand-Kramer-Kollektion von e15

www.e15.com

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