Krieg der Bürsten
Es könnte so einfach sein. Ein Griff und ein paar Borsten und dazu die klare Botschaft: „Ich sorge für saubere Zähne“. Doch die Zeiten, in denen sich die Zahnbürste allein über ihre einfache Funktion verkauft hat, sind vorbei. Der Markt um die Hygienehelfer ist hart umkämpft, Firmen versuchen sich über Design und Produkte mit Sondertalenten ein Alleinstellungsmerkmal zu verschaffen. Während früher maximal verschiedene Farben die Regale bevölkerten, stellen sich heute Schwing- und Wechselkopf, flexible Kunststoffgriffe, additive Zungenreiniger und Borsten mit unterschiedlichen Härtegraden zur Wahl. Die Zahnbürste ist inzwischen ein funktional aufgemotztes Objekt, das vor allem eine Frage provoziert: Ist Bürste etwa nicht gleich Bürste?
Nicht, wenn man sich in den Chefetagen und Entwicklungsabteilungen der Zahnbürstenhersteller umhört. Till Winkler, Chefdesigner bei Braun Oral B, erzählte einst der New York Times, dass allein die Gestaltung einer einfachen Handzahnbürste schon mal ein halbes Jahr dauern kann. Ein ovaler Kopf oder doch lieber quadratisch, dynamisch, organisch oder kantig geformt? Zusätzlich wird in der Marktforschung befragt und getestet. Denn nicht alles, was dem Designer gefällt, spricht auch den Verbraucher an. Allgemeine Trends und Vorlieben der Kunden müssen während des Entwicklungsprozesses im Auge behalten werden, dazu kommen die technischen Anforderungen. Fast jeder besitzt eine Zahnbürste, die er etwa dreimal Mal am Tag benutzt und mehrmals im Jahr austauscht. Der jährliche Zahnbürstenkonsum der Bundesrepublik bewegt sich also irgendwo im dreistelligen Millionenbereich. Der Rückschluss lautet: Jedes Gramm mehr am einzelnen Produkt summiert sich in der Gesamtbilanz zu gigantischen Kunststoffmengen.
Die Klügere gibt nach?
Seit einigen Jahren machen die Zahnbürsten nun ernst. So ernst wie die Sache, für die sie stehen: Mundhygiene. Denn in Zeiten, in denen der Mensch in Spas und Fitnessstudios den hektischen Alltag entschleunigt, ist eben diese Erholung, Entspannung und Pflege zu einer Angelegenheit geworden, die mit Spaß so direkt nichts mehr zu tun hat. Das sieht man auch einem Produkt wie der Zahnbürste an: Jeder Millimeter ist bestimmt von „Comfort Grip“, Kugelgelenken und 3D-Borsten. Die Zahnbürste hat sich zum Ferrari unter den Pflegeprodukten entwickelt: getunt und gestylt, entschlossen im Design und mit ordentlich Hightech. Wenn die Technologie so laut um Aufmerksamkeit schreit, so der Umkehrschluss, kann doch eigentlich nichts mehr schief gehen. Statt eines Produktes kauft man mit der Zahnbürste vor allem eines ein – Gesundheit.
Lappen und Schwämmchen
Dabei gibt es Zahnbürsten noch nicht so lange, wie man vielleicht denken könnte; die Geschichte der Zahnreinigung hingegen ist lang. Im alten Ägypten und damit etwa 3000 Jahre vor Christus nutzte man Geräte aus Zweigen, deren eines Ende durch Kauen zerfasert wurde. Im China des 15. Jahrhunderts wurden kleine Pinsel aus Schweineborsten zum Putzen genommen, die ein Jahrhundert später in England auftauchten, wo es zudem als Alternative kleine Schwämmchen oder Läppchen gab. Eine wirkliche Revolution auf dem Bürstenmarkt fand 1938 mit der Erfindung des Nylons statt – endlich konnten Borsten im richtigen Härtegrad die Tierhaare ersetzen, die oft zu starr oder zu weich gewesen waren. Ab diesem Zeitpunkt waren Zahnbürsten erschwinglich und für Jahrzehnte demokratisch gestaltet.
Die bunten Plastikwelten der 80er und 90er brachten schließlich Zebramuster, Philippe Starck-Zahnbürsten und Pop-Design, sowie technologische Innovationen wie die elektrische Zahnbürste mit Rundkopf – bis sich die Gestaltung auf die bis heute präsente Botschaft eines technischen Gesundheitsproduktes zurückzog.
Modern gibt’s morgen
Dabei könnte alles so schön sein: Während sich viele andere Produkte mit dem Jahrtausendwechsel langsam vom bulligen Testosterondesign verabschiedet und der reduzierten Gestaltung im Sinne von Muji oder Apple zugewandt haben, will die Zahnbürste nicht aufgeben und hält am Comfort Grip–3D-Griff fest. Nur einige wenige Vorboten zeitgenössischerer Gestaltungsansätze kann man schon erspähen: Etwa die klappbare Reisezahnbürste von Metaphys oder die schlichte, transparente Version aus der Designschmiede von Muji. Und der Konsument stellt sich die Frage: Warum bitte funktioniert das nur in Japan?
Die Anwort: Veränderungen in der Gestaltung – und damit am Image – sind für die Produzenten mit Risiken verbunden. Lieber hält man sich die an die alte IT-Weisheit: „Never change a running system“ und belässt es beim Vertrauten und Erprobten. Denn kaum ein Gebrauchsprodukt steht so exemplarisch für das, was man heute als „Universal Design“ bezeichnet: Gestaltung für die Massen, durch alle Schichten, alle Altersklassen, für beide Geschlechter – die Zahnbürste ist deshalb ein Produkt, das einfach allen gefallen will. Und auch muss – will sie auf dem Markt bestehen. So tut man sich auch mit den kleinsten Variationen schwer. Zudem ist ein Veränderungsprozess – gerade in einem Land, dem man eine gewisse gestalterische Risikoscheu nachsagt – mehr als schwerfällig.
Nicht ohne meine Bürste
Am Ende bleibt dennoch festzustellen: Ohne Bürste geht`s nicht mehr. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich die Zahnbürste zu einem Objekt gemausert, auf das kaum einer mehr verzichten mag. Nicht nur, dass das Wort Zahnbürste in den meisten Antworten auf die Frage: „Was würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?“ vorkommt. Sie setzt auch oft in zwischenmenschlichen Beziehungen das entscheidende Signal. Wer nach einer gemeinsamen Nacht seine Zahnbürste stehen lässt, hat damit nicht nur neuerobertes Revier markiert, sondern auch deutlich gemacht: „Ich komme wieder“. Zahnbürsten sind also mehr als ein einfaches Hygieneutensil, sie sind durch ihre Rolle im Alltag zu einem Objekt mit Symbolkraft geworden. Und vielleicht ist es deshalb gar nicht die Frage, ob man eine Zahnbürste mit auf die Insel nimmt, sondern nur welche.