Lehre von der Leere
Wer kulturbeflissen auftischen möchte, greift gern zu Wasabi, Dashi und Miso, legt ein paar Stäbchen bereit und hofft darauf, dass seine Gäste dadurch auf „umami“, den vergessenen fünften Geschmackssinn kommen. Japans Küchenkultur - auf die westliche Welt wirkt sie fremd und faszinierend, bescheiden und dabei doch hochkompliziert. Und obgleich sie mit dem Sushi-Boom Europa längst erobert zu haben scheint, gehen Kenntnis und Verständnis hierzulande nur selten über den Klebreis hinaus. Dabei lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen, denn die Zeremonie des Kochens und Essens bedient im Land der aufgehenden Sonne nicht nur den Magen, sondern ist vielschichtiges Zeugnis der Kultur und Haltung zum Leben.
In Japan treffen die Gegensätze von High-Tech und Tradition in einem einzigartigen Spannungsfeld aufeinander. Wer die kulturelle Bedeutung des Kochens und der Küche für den Japaner verstehen möchte, sollte daher zuerst einen Ausflug in die Vergangenheit wagen. In den Jahrhunderte alten Philosophien, wie der des Zen-Buddhismus und dem damit verbundenen Wabi Sabi, liegen die Wurzeln der japanischen Ästhetik begründet, die für uns – ob in der Kunst, im Design oder eben auf dem Teller - so typisch japanisch erscheint. Die Begrifflichkeiten zu erklären oder zu übersetzen, ist jedoch nahezu unmöglich. Sie drücken ein Gefühl und eine Weltsicht aus, für die es in unserem Wortschatz kein Pendant gibt. Auf eine einfache Formel gebracht meint Wabi Sabi vielleicht so viel wie: Schönheit der einfachen Dinge und die Einzigartigkeit des Augenblicks. Für die Gestaltung von Produkten heißt das: Holz wird nicht lackiert, Ton nicht lasiert, und Abnutzung und Verfall werden langsam und im Laufe der Zeit an den natürlichen Materialien sichtbar.
Waschen, Schneiden, Legen
Diese Sensibilität für den Moment nimmt auch der Koch mit in die Küche. In seinem Buch mit dem treffenden Titel „Das Lächeln der Radieschen“ zitiert der Zen-Koch Edward Espe Brown seinen Meister: „Wenn du den Reis wäschst, dann wasch’ den Reis. Wenn du Karotten schneidest, dann schneid’ Karotten. Und wenn du die Suppe umrührst, dann rühr’ die Suppe um.“ Wer versucht ist dem Koch an dieser Stelle mangelnde Multitaskingfähigkeiten zu unterstellen, liegt jedoch falsch. Neben dem kontemplativen Aspekt, den der Zen-Buddhismus beinhaltet, ist der Japaner eben auch Perfektionist, und diesen Perfektionismus legt er auch am Herd an den Tag. Wer etwa Sushi-Koch werden will, muss Zeit mitbringen – sechs bis sieben Jahre dauert die Ausbildung, zwei davon übt der Lehrling sich im Zuschauen und Reis kochen. Erst wenn ihm der Reis zuverlässig und auf den Punkt gelingt, darf er mit dem sorgfältig geschmiedeten Damaszenermesser die Fische zerteilen.
Vom Geist und „Geiz“ des Zen
Während es für den Europäer so aussieht, als wären die Zutaten einer japanischen Mahlzeit nach dem Leitsatz „weniger ist mehr“ zusammengestellt, sind Zubereitung und Inszenierung strengen Prinzipien unterworfen und richten sich nach dem Sprichwort „das Auge isst mit“. Ganz gleich ob Miso oder Sushi – immer findet sich auf dem Teller eine ästhetisch ansprechende und formal ausgewogene Komposition. Reduktion und das, was bei uns als „Mut zur Lücke“ oder „übersichtlich“ abgetan würde, sind Bestandteil des japanischen Schönheitsempfindens. Erst der leere Zwischenraum, das sogenannte „ma“, stellt die Balance zwischen dem Objekt und seiner Umgebung her und ist damit unverzichtbarer Teil des Ganzen. Aber nicht nur die Harmonie zwischen dem Nichts und dem Produkt, auch die Ausgewogenheit von Größe und Form der Serviergefäße und den Zutaten wird penibel unter die Lupe genommen. Neben dem guten Geschmack führen saisonale und regionale Produkte und eine verträgliche farbliche Komposition zu einem Zen-gemäßen Resultat. Ein Kochbuch aus dem Jahre 1748 gibt dazu die folgende Handlungsanweisung: „Sei vorsichtig mit dem Farbarrangement … lass keine der folgenden Farben aus: Grün, Gelb, Rot, Weiß und Schwarz“.
Noch einmal mit „Kansei“
Dieses ganzheitliche Denken der traditionellen Regelwerke und die daraus hervorgehenden Produkte kommen auch hierzulande gut an. Das haben die Japaner erkannt und bemühen sich nun den Kult um die Einfachheit als Exportschlager zu vermarkten. METI, das japanische Institut für Handel und Industrie hat deshalb dem alten Wabi Sabi eine moderne Interpretation entgegengestellt und eine Auszeichnung für Produkte mit landestypischer Ästhetik ins Lebens gerufen. Mit der Vokabel „Kansei“, die Genuss, mehr Gefühl und Ästhetik vereint, werden seit letztem Jahr japanische Produkte ausgezeichnet und gefördert.
Austellungstipp:
"Kansei"
2. - 21. Dezember 2008
Musée des Arts Décoratifs
107, rue de Rivoli - F 75001 PARIS
www.lesartsdecoratifs.fr