Megastructure reloaded
In einer Zeit, in der die Avantgarde die Lust am Experiment verloren zu haben scheint, lohnt der Blick auf die visionären 1960er und 1970er Jahre umso mehr. Unter dem Begriff der „Megastruktur“ entstand in jenen Jahren eine Vielzahl von Projekten, die mit freien, interaktiven und beweglichen Strukturen die Zwänge der konventionellen Architekturauffassung überwinden wollten. In der Alten Berliner Münze widmet sich nun einen Ausstellung den Arbeiten von Archigram, Superstudio, Archizoom oder Yona Friedman, deren Ideen bis heute nichts von ihrer visionären Sprengkraft eingebüßt haben.
„Megastructure reloaded“ heißt der Titel der Ausstellung und nimmt damit eben jenes Zauberwort der 1960er Jahre auf, das nicht weniger als einen grundlegenden Neuanfang in der Architektur forderte. Während die Moderne immer mehr in die Kritik von Architekten und Urbanisten geriet, lieferte eine Vielzahl junger, experimentierfreudiger Gruppen einen konzeptionellen Neuanfang, mit dem die „Unwirtlichkeit der Städte“ (Alexander Mitscherlich) überwunden werden sollte: Die Idee der weltumspannenden Megastruktur entstand.
Die Stadt als Metaebene
Der Ansatz war so einfach wie genial: in eine überdimensionale Trägerstruktur, die auf Stelzen erhoben über die Städte gespannt werden sollten, sollten von den Bewohnern leichte, flexible und vor allem mobile Einheiten eingehangen werden. Das Provisorium wurde dabei bewusst zum Prinzip erhoben und als entscheidender Ausstieg aus einer dogmatisch geworden Moderne angesehen. Statt einer verbindlichen „kollketiven Form“ proklamierten sie die Hinwendung zu einer additiven, sich aus einzelnen Modulen rekrutierenden Städteplanung.
Einfluss auf ihre Zeit
Blieben die Ideen, die Yona Friedman, Cedric Price, Archigram, Archizoom, Superstudio und andere ab Mitte der 1960er Jahre entwickelten, nicht mehr als unrealisierbare Utopien, ist ihr Einfluss auf die Architektur der Folgezeit unbestritten. So wurden die von ihnen vorgeschlagenen Megastrukturen aus Raumgittern, Zeltkonstruktionen oder geodätischen Kuppeln spätestens zur Weltausstellung in Montreal 1967 salonfähig, als Architekten wie Buckminster Fuller für den amerikanischen Pavillon eine riesige Kuppel schuf oder Frei Otto für den deutschen Pavillon eine seiner typisch freischwingenden Netzkonstruktionen entwarf. Haben diese als temporäre Bauwerke längst das Zeitliche wieder gesegnet, hat sich bisher nur ein Gebäude in die Gegenwart gerettet, das als einzige verwirklichte Megastruktur gelten darf: Das Pariser Centre Pompidou von Richard Rogers und Renzo Piano. Doch auch wenn das Gebäude noch heute futuristisch anmutet inmitten des historischen Häusermeeres von Paris, ist es noch immer weit entfernt von jenem „Fun Palace“, den Cedric Price und Archigram einst in ihren frühen Entwürfen ersannen.
Die gebaute Megastruktur
Zu den Highlights der Berliner Ausstellung „Megastructures reloaded“ gehört nicht zuletzt deswegen jener Dokumentarfilm, der zeigt, wie diese das Centre Pompidou kurz nach seiner Fertigstellung besuchen. Wäre der Film nicht so farbenfroh und mit dem gezielten Einsatz von Musik wie ein psychedelisches Musikvideo produziert, man müsste regelrecht Mitleid mit den frühen Visionären haben, die mit ansehen müssen, wie andere den Ruhm für ihre Ideen ernten. Und so zeigten sie sich auch sichtlich enttäuscht darüber, dass aus der freien, ins Unendliche verlängerten Megastruktur schlussendlich doch nur eine statische Architektur geworden ist, die mit dem verspielten und veränderbaren Charakter ihrer Entwürfe kaum mehr etwas gemeinsam hat.
Brückenschlag in die Gegenwart
Dass von den gezeigten Megastrukturen bis heute nur wenige tatsächlich eine Chance auf Realisierung hatten, erhöht den visionären Reiz der Ausstellung umso mehr. Diese wurde von Dennis Crompton, einem der Mitbegründer von Archigram in Zusammenarbeit mit der Architektengruppe raumlabor_berlin kuratiert. Zugegeben, viele der gezeigten Arbeiten waren bereits vorher einzeln zu sehen, doch noch nie wurden in einer einzigen Ausstellung derart viele Projekte zum Thema der „Megastruktur“ zusammengetragen. Für die Macher der Ausstellung ging es nicht nur darum, die visionären Konzepte dokumentarisch zu bündeln, sondern diese zugleich auf ihre Aktualität und Tauglichkeit für die Gegenwart zu überprüfen: in Hinblick auf die chaotisch wachsenden Megastädte in Asien, Afrika oder Lateinamerika einerseits, in Verbindung mit den Arbeiten zeitgenössischer Künstler andererseits.
Verbindung zur Kunst
Die Kuratoren haben den Innenhof und die Gewölbe der Alten Berliner Münze, die nur einen Steinwurf vom Roten Rathaus entfernt liegt, mit Filmen, Collagen, Installationen und Objekten zum Thema „Megastruktur“ bespielen lassen. So wird in den alten Tresorräumen im Untergeschoss eine 45-minütige „Archigram Opera“ gezeigt, eine bunte Collage aus sechs Filmen, 800 Dias, Originalkommentaren aus den Jahren 1968 bis 1973 sowie jeder Menge lauter Musik. Im Erdgeschoss erhebt sich eine von den Künstlern José Dávila, Victor Niewenhuys, Maartje Seyferth sowie Katrin Siguroardottir gestaltete Rampe als „promenade architecturale“, die in eine Lounge im Obergeschoss übergeht. In dieser sollen während der Dauer der Ausstellung verschiedene Symposien, Performances und Vorträge stattfinden.
Weiterführendes Projekt
Als langfristig angelegtes Ausstellungs- und Forschungsprojekt soll „Megastructure reloaded“ in den kommenden Jahren an verschiedenen Orten in Europa fortgesetzt werden. Fand der Auftakt bereits 2006 mit der Ausstellung „Ideal City – Invisible Cities“ im polnischen Zamosc sowie in Potsdam statt, sollen 2009 die Ausstellung „L’architecture mobile“ sowie 2010 „Arcadia“ und „Finis Terrae. The End of the World“ folgen.
„Megastructure reloaded“
Ehemalige Staatliche Münze
Molkenmarkt 2 Berlin Mitte
Noch bis zum 02. November 2008
Links