Mit A nach B – Mit dem Méhari von Cap Ferret nach Bordeaux
Niklas Maak über den Méhari, ein Auto, das noch eindeutig als Nachfolger des Pferdes gesehen werden muss.
Wenn man als Kind in den späten Siebzigerjahren mit seinen Eltern in Südfrankreich Urlaub machte und Glück hatte, bekam man im Supermarkt ein Norev-Auto geschenkt, ein französisches Spielzeugauto aus Plastik. Norev war für französische Kinder das, was Siku für deutsche, Matchbox für britische und Bburago für italienische Kinder war. Von Norev gab es auch ein kleines rotes Plastikauto, das eher wie eine Wanne auf Rädern aussah und, so wie ein nordafrikanisches Renndromedar, Méhari hieß. Sehr erstaunt war man als Kind, wenn man dann in den Straßen von Mimizan das Original entdeckte: Es sah genauso aus wie das Plastikspielzeug – und war tatsächlich auch aus Plastik. Der Citroën Méhari war, genaugenommen, ein Citroën 2CV, dem man die Karosserie weggenommen hatte. Von der „Ente“ hieß es immer, die Citroën-Chefs hätten „vier Räder mit einem Regenschirm“ darüber bestellt, aber sie bekamen vier Räder, vier Türen, vier Kotflügel, sechs, schließlich acht Scheiben, eine Heckklappe und ein Rollverdeck. Das war zu viel. Es musste noch radikaler gehen. 20 Jahre nach der Erfindung der Ente ließ man nur noch Motor, Chassis, Windschutzscheibe und Räder übrig und baute eine Plastikwanne darüber, die auf ein Gerippe aus Stahlprofilen genietet wurde und zu der es als Extras zwei lächerliche Plastiktürchen und eine Art Zeltdach gab. Das war’s.
Eigentlich war das Vehikel als Ultraleichtfahrzeug für den militärischen Einsatz im Sand entworfen worden, aber es war für wirkliche Kriegseinsätze zu schwächlich motorisiert, weswegen es der Zivilbevölkerung überlassen wurde, die aus dem Ernstfallvehikel ein Gerät fürs offene Leben machte: Fischer, Touristen, Hippies, Aussteiger, Menschen, die die Beobachtung des DAX gegen die Beobachtung des Dachses eingetauscht hatten, fuhren den Méhari, die Botschaft war Amour statt Armee. Vom Mai 1968, dem das Antiauto ideologisch sehr nahe war, bis zum Oktober 1987 wurden insgesamt 144.953 Méhari gebaut.
Das erste Mal in meinem Leben fuhr ich einen Méhari, als ich bei Freunden von Freunden in Cap Ferret einen im Garten ihres Hauses stehen sah und ihn so gebannt anschaute, dass mir die Gastgeberin (welche die herrlich trockene Art der Hanseatin, die sie ist, mit der Nonchalance der Französin, die sie auch ist, verbindet) schließlich mit einem knappen „Hier, fang!“ die Zündschlüssel zuwarf. Ich setzte mich in, nein, auf den Méhari, der leicht wippte wie das Dromedar, nach dem er benannt ist. Der Fahrersitz erinnerte an das Mobiliar, auf dem man bei Elternabenden im Kindergarten hockt. Ich fingerte den winzigen Zündschlüssel irgendwo unter dem quasi senkrecht stehenden Lenkrad in eine Ausbeulung in der Plastikkarosserie. Am Tag zuvor hatte ich unten am Bassin, wo die Austernbänke sind, einen Fischer gesehen, der das Innere seines Méhari mit dem Gartenschlauch reinigte. Auf die Pritsche kann man Fischkisten oder die Einkaufstüten stellen, aber wenn man zu sportlich in die Kurve geht, sind sie danach auch wieder leer. Trotzdem steht der Méhari für das, was allgemein die Lehre des Sommers fürs Leben ist: Alles muss einfacher, leichter, offener, wärmer werden.
Ich zog den Choke und legte den Rückwärtsgang ein, und der Méhari machte einen fröhlichen Satz nach hinten. Die Kinder, vom Lärm des Zweizylindermotors aufgescheucht, sprangen auf die Ladefläche, es sah aus, als hätte sich der Whirlpool selbstständig gemacht – sechs Kinder in einer Plastikwanne. Ich fuhr um einen Rond-Point, und das Auto nahm gefühlt einen 45-Grad-Neigewinkel an: der berühmte 2CV-Effekt, der ja auch eine Hommage an das Motto der Stadt Paris ist. Fluctuat nec mergitur – von den Wogen geschüttelt, wird sie doch nicht untergehen. Die Kinder jubelten. Ich verließ die Straße (der Méhari stammt aus einer Zeit, als man das Leben nicht vom Worst-, sondern vom Best-Case-Szenario her betrachtete, also nicht über Frontalzusammenstöße und Airbags und Gurtstraffer nachdachte) und rumpelte über eine Sandpiste ans Meer. Der Dyane-Boxermotor schnatterte jetzt wie ein Rasenmäher auf Dope, der Méhari hüpfte erfreut an den Dünen entlang, das Getriebe heulte mit dem Wind um die Wette, der nicht über, sondern in den Wagen hineinfuhr, was an dem elend heißen Tag ein Vergnügen war: Offener konnte ein Leben sich nicht anfühlen. Ich setzte die Kinder am Strand ab, wendete in einer Sandfontäne und fuhr vorbei am alten Leuchtturm und an der reizenden kleinen Schmalspurbahn, die die Touristen von der Fähre an den Atlantik bringt, Richtung Bordeaux. So musste sich das Autofahren in den frühen Tagen angefühlt haben, als das Auto noch eindeutig der Nachfolger des Pferdes war und nicht der der Kutsche, also bevor die Karosseriebauer dem großen Galoppier- und Luftzirkus mit Türen und Scheiben ein Ende machten. Es ist Autofahren in seiner reinen Form: keine Servolenkung, keine Airbags, keine Massagesitze, kein Infotainment, sondern eine Intensivierungsmaschine: Die Sonne brennt stärker, der Wind reißt an den Haaren, das Lenkrad an den Armen, das Motörchen, das sich ein paar tiefere Töne abringt, dröhnt in den Ohren, die Plane flattert wie eine Fahne im Sturm, man riecht das warme Harz der Pinien und das Meer, und immerhin gibt es ABS. Nicht das Bremssystem, sondern die Karosserie: Sie ist aus Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymerisat, kurz ABS.
Auf der Schnellstraße fühlt man sich dann eher, als sei man in einer Tupperdose auf eine Autobahn geschossen worden, tonnenschwere Touaregs und Cayennes donnern vorbei, hinter deren abgedunkelten Scheiben die klimatisierten Insassen auf ihre iPhones starren, auch die Fahrer, es ist ein wenig beunruhigend: Weiter als bis auf die stillen, weiß verstaubten Plätze des sommerlich verlassenen Bordeaux mag man mit dem Méhari nicht unbedingt fahren. Trotzdem ist er natürlich eigentlich das Auto der Stunde: leicht, offen, ein Vehikel des ewigen Sommers und ein Beweis, dass Spaß und Sparen kein Gegensatz sein müssen, ein Haushaltsgerät eher als ein Statussymbol, fähig, sechs große oder neun kleine Leute luftgekühlt an einen Atlantikstrand zu befördern, fünf Kisten Wein und Fisch und Austern vom Markt zu holen oder als Doppelbett auf vier Rädern zu dienen: Was will man mehr?
Wer unbedingt auch Méhari fahren will, kann sich einen gebrauchten oder einen aus Alt- und Neuteilen neu gebauten kaufen (www.mm-mehari.de) – oder sich über drivy.com ab 60 Euro am Tag einen mieten.