Mit den Augen fühlen
Was auch immer wir sehen: Wir betrachten nicht nur die Szene vor unseren Augen, sondern immer auch uns selbst. Der visuelle Reiz bewirkt einen Dialog zwischen unserem Inneren und der äußeren Welt. Er spricht unsere Emotionen an – in besonderem Maße gilt das für Gemälde. Was Beleuchtung damit zu tun hat? Eine ganze Menge.
Künstler, Wissenschaftler, Architekten und Lichtdesigner stehen heutzutage in immer intensiverem Austausch – und Museen auf der ganzen Welt profitieren davon. Ein Beispiel ist das kürzlich eröffnete Hoki Museum in Chiba Stadt, Japan. Der Bauherr Masao Hoki wollte seine private Kunstsammlung einem breiteren Publikum zugänglich zu machen – das Architekturbüro Nikken Sekkei und die Lichtplaner SLDA schufen dafür einen würdigen Rahmen.
Neue Kunst in neuen Schläuchen
Das Hoki Museum ist das einzige Museum in Japan, das ausschließlich Werke des Realismus beherbergt. Die Ausstellungsfläche ist in Form eines langen, rechteckigen Schlauches gestaltet, der sich über drei Ebenen „entrollt“: Auf einem Grundstück von 100 Metern Länge bringt der Architekt so 500 Meter Ausstellungsfläche unter. Besonders imposant ist ein 30 Meter weit auskragender Gebäudekörper aus Stahl – weltweit der längste seiner Art. Entlang einer Seite wurde die Fassade durch eine tiefergelegte Fensterreihe förmlich „aufgeschnitten“: Dieses typische Gestaltungselement traditioneller japanischer Architektur gewährt den Ausblick in den Park und sorgt insbesondere in der „blauen Stunde“ für spektakuläre Lichtstimmungen. Weit mehr als nur ästhetischer Clou ist die Verglasung auch von praktischem Nutzen: Natürliches und indirektes Licht kommt zwar bei Ausstellungen selten zum Einsatz, ist aber sehr vorteilhaft für die Betrachtung von Gemälden.
Milchstraße
Eine Speziallösung stellt auch die künstliche Beleuchtung dar. Das Lichtplanungsbüro kam dem Wunsch des Bauherrn nach, die Leuchtkörper möglichst dezent in die Architektur zu integrieren. In einem direkten Vergleich zwischen Halogenlampen und LED fiel die Wahl auf letztere, da LEDs nicht nur langlebig und wartungsfreundlich sind, sondern auch eine individuell optimierte Austarierung ermöglichen. Die einzelnen Gemälde wurden durch Punktbeleuchtung und Lichtumrandung von der Umgebung abgegerenzt, die Lichtgebung erfolgt, je nach Größe des Gemäldes, durch 10 bis 30 mit weißen und amber-farbenen LED-bestückten Downlights. Ihr Durchmesser von 64 mm ermöglicht den gewünschten Neigungswinkel von 45 Grad, die exakte Positionierung und Ausrichtung erfolgte in Abstimmung mit dem jeweiligen Künstler.
Viele Architekten und Lichtdesigner bedauern die für eine Beleuchtung mit LED-Spots unumgängliche „Durchlöcherung“ der Decke. SLDA machten aus der Not eine Tugend: Die unregelmäßige Anordnung der Leuchten vermittelt den Eindruck eines „Sternenbandes“. Eine besondere Wirkung entfaltet dieses Konzept im Kellergeschoss: Decken, Wände, und Fussboden sind schwarz, was Lichtdesigner prinzipiell vor eine besondere Herausforderung stellt. Hier wurde sie optimal gelöst: Die Spots gruppieren sich in Clustern an der Decke und lösen die einzelnen Gemälde aus dem Hintergrund heraus, das Streulicht verstärkt den Fokus auf die Gemälde.
Madonna mit neuer Aura
Im Gegensatz zu Japan liegt Schwäbisch Hall fast vor der Tür: In der dortigen Johanniterkirche ist seit kurzem die Schutzmantelmadonna zu sehen, gemalt im 16. Jahrhundert von Hans Holbein dem Jüngeren. Das Gemälde war vormals im Städel-Museum beheimatet und wurde im Jahr 2011 für einen Rekordpreis vom deutschen Unternehmer Reinhold Würth erstanden.
Die Beleuchtung sollte dem Wert des Bildes Rechnung tragen: So setzt das moderne LED-Lichtsystem Microtools aus dem Hause Zumtobel die Grand Dame der Kunstgeschichte geschickt in Szene, ohne selbst in den Vordergrund zu treten. Als platzsparende Lösung sind die1,2 W starken LED-Chips für die Kunstbeleuchtung optimal: Die frei beweglichen Lichtköpfe zählen zu den kleinsten auf dem Markt und bleiben für den Betrachter nahezu unsichtbar, ohne deshalb an Lichtqualität einzubüßen. Doch Gemälde sollen nicht nur gesehen, sie müssen auch geschützt werden: eine heikle Aufgabe für die Beleuchter, denn jedes Licht beeinhaltet auch schädigende ultraviolette und infrarote Strahlung. Für die Bereiche Kunst und Kultur entwickelte Zumtobel deshalb spezielle LED-Produkte, die mittels reduzierter IR- und UV-Strahlungsanteile einen idealen Wärmehaushalt in Kunstvitrinen und eine sensible Beleuchtung lichtempfindlicher Exponate ermöglichen. Dank der erheblich reduzierten Wärmestrahlung können die Spots gefahrlos nahe an den Exponaten platziert werden.
Renaissance wie neu geboren
Zur gleichen Zeit wie Hans Holbein der Jüngere lebte in Italien der Renaissance-Maler Lorenzo Lotto. Lange Zeit unbeachtet, erlebte nun sein Werk selbst eine spektakuläre “Wiedergeburt": Zu verdanken ist das einer neuen Beleuchtungsphilosophie, die auf bislang einzigartige Weise wissenschaftliche Erkenntnisse und künstlerische Techniken miteinander verknüpft.
Hollywood hat längst die publikumswirksame 3D-Technologie für sich entdeckt: Mit Popcorn und Brille lässt sich das Publikum in ferne Welten entführen. Was, wenn diese Möglichkeit auch bei zweidimensionalen Bildern möglich würde? Es wäre nichts weniger als eine Revolution. Und genau die ereignete sich 2011 in der Scuderie del Quirinale in Rom. Während bisher in punkto Gemäldebeleuchtung die gleichmäßige, flächige Beleuchtung als Dogma galt, stellten Serena Tellini und Francesco Iannone vom italienischen Lichtdesignbüro Consuline dieses Konzept nun auf den Kopf: 57 Gemälde Lorenzo Lottos wurden durch punktuelle Beleuchtung interpretiert und modelliert.
It's all about soul
Was haben Neurowissenschaft, Spiegelneurone und Empathie mit der Beleuchtung von Gemälden zu tun? Spiegelneuronen sind Nervenzellen im Gehirn, die bei der Betrachtung einer Szene bestimmte Reize auslösen, die wiederum, so die Theorie, die Fähigkeit zur Empathie maßgeblich beeinflussen. Das Team von Consuline schuf unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dem noch jungen Feld der Neuroästhetik eine Beleuchtung, die im Betrachter Empathie mit der Szene auf dem Gemälde auslöst.
Zweimal malen
So, wie jeder Mensch einen einmaligen Fingerabdruck hat, hat auch jeder eine einmalige Art der Wahrnehmung – keine zwei Menschen sehen dasselbe. Schuld ist unser Gehirn, das visuelle Informationen nach Gutdünken vervollständigt: Interpretation macht letzten Endes die Faszination des Sehens aus. Dieser Interpretation Raum zu bieten, war das Ziel von Consulines. Iannone spricht in diesem Zusammenhang von "lückenhaftem weißen Licht": Weißes Licht wird durch LEDs erzeugt, wobei spektrale Bereiche gezielt ausgeblendet werden. Diese "Lücken" füllt das Gehirn des Betrachters aus und "malt" so ein einzigartiges, dreidimensionales Bild.
Das Konzept in der Scuderie del Quirinale wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Leuchtenhersteller Targetti erarbeitet, welcher die insgesamt 167 speziell entwickelten LED-Projektoren bereitstellte. Basierend auf einer sorgfältigen Analyse der einzelnen Farbpigmente erhielten die Leuchten à 42 Watt eine binokulare Optik mit holografischen Sperrfiltern, die bestimmte Wellenlängen unterdrücken; weiße UV- und infrarot-freie LEDs von 3450 Kelvin arbeiten die einzelnen Farben optimal heraus. Begeistert zeigte sich anlässlich eines Besuchs José Manuel Durão Barroso, Präsident der Europäischen Kommission: Er wünschte sich, dass künftig alle Ausstellungen auf diese Art beleuchtet werden sollten. Das allerdings dürfte so schnell nicht zu realisieren sein, denn der Aufwand ist immens.
Abenteuer Kunst
Immens ist allerdings auch der Mehrwert. Ein Kunstwerk ist dazu gemacht, den Betrachter zu berühren – sei es durch das Auslösen von Emotionen, sei es durch das Anregen von Gedanken. Die angemessene Beleuchtung kann diese Wirkung verstärken. Im Gegensatz zum Film bieten Gemälde dem Betrachter die Möglichkeit, sich für eine beliebige Zeitspanne hinein zu versenken (oder wenigstens so lange, bis das Museum schließt). Zwar werden wir nie erfahren, wie Lorenzo Lotto die Szenen tatsächlich gesehen hat, die wir heute betrachten. Doch wir können der Betrachtungsweise eines Gemäldes eine neue Dimension abgewinnen.
Ausführliche Berichte zum Hoki Museum und der Lorenzo-Lotto-Ausstellung finden sich in:
Professional Lighting Design, Ausgabe Nr. 78, 2011
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