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Möbel aus Müll

Abfall der einen wird Geschäftsmodell der anderen: Wir stellen drei Start-ups vor, die uns unseren Müll in Form von Möbeln verkaufen.

von Stephan Burkoff, 09.04.2018

Für die einen klingt Upcycling nach Sperrmüll, Flohmarkt oder ausgewaschenen Joghurtbechern, für die anderen nach einem guten Geschäftsmodell. Wir stellen drei Start-ups vor, die auf Kreislaufwirtschaft setzen, uns unseren Müll verkaufen und: diesen im Zweifel sogar noch mal zurücknehmen.

Ist die Geschichte des Kunststoffs, wie Fabio Novembre kürzlich in einem Interview (DEAR Nr.1/2018) behauptet, eine Geschichte voller Missverständnisse? Von dem äußerst praktischen, preiswerten und flexiblen Werkstoff Plastik können wir uns jedenfalls als Konsumgesellschaft nur schwerlich trennen. Mit all den Folgen, die wir derzeit täglich auf sämtlichen Kanälen vorgehalten bekommen. Auch wenn europäische Länder die Plastiktüte bannen: Unser Auswurf an Polyethylen und verwandten Werkstoffen ist gigantisch.

Die Kreislaufwirtschaft und Ressourcenmanagement gewinnen daher als Themen zunehmend an Bedeutung, das lineare Wirtschaftsmodell „Kaufen, benutzen, entsorgen“ stößt an seine Grenzen. Nachdem der Mobilitätsmarkt, unendliche Welten der Dienstleistung und Bringdienste weitestgehend erschlossen sind, drängen Entrepreneure in das Feld des Umweltschutzes, dem quasi schuldgefühlfreien Konsum. Sie haben das Geld. Sie haben die Ideen.

Klare Kante aus Berlin
Ein Beispiel ist die in Berlin von kunststofferfahrenen Gründern entwickelte Marke Pentatonic. Warum nicht etwas Neues aus alten PET-Flaschen schaffen und dabei auch noch den Megatrend der Individualisierung integrieren? Pentatonics Produkt basiert auf einem Verbundsystem für Stuhl- und Tischkompositionen. Das Unternehmen bezeichnet sich als erste kreislaufwirtschaftliche Möbelmarke. Verkauft wird direkt an den Konsumenten – ohne Zwischenhändler, ohne stationären Handel. Die Marke produziert selbst und will alles kontrollieren. Dabei herausgekommen ist ein modulares Möbelsystem, das sich nicht nur für zuhause und das Büro eignet und dabei so wandelbar ist, dass man es immer wieder neu konfigurieren kann. On top kommt, dass Pentatonic es, wenn man es wirklich nicht mehr haben möchte, sogar zurückkauft: defekt oder heil, zu 15 Prozent des Einstandspreises. Das Gleiche gilt für die Wassergläser aus alten Displays oder Akustikpanelen aus PET. Bei Pentatonic gibt es keinen federführenden Designer. Das Produkt wird von Materialwissenschaftlern, Maschinenbauern, Ingenieuren und Designern im Team gestaltet. Eine Einzelleistung herauszustellen liegt dem Unternehmen fern. Bis auf das zentrale Verbindungselement der Stuhl- und Tischkollektion, das auch patentiert werden soll, ist alles eine Gruppenleistung. Keine Schrauben, keine Klebstoffe – den Aufbau übernimmt er Kunde selbst und ohne Werkzeug, in einer eigenen Konfiguration. Das klingt nach Ikea mit gutem Gewissen.

Weiche Rundungen aus Belgien
Auch Kinderspielzeug wird heute mehrheitlich aus Kunststoffen gefertigt. Auch wenn dessen Haltbarkeit oft Generationen überdauert, verbindet man Holzspielzeug mit einer gewissen Waldorfästhetik: Es ist einfach nicht mehr cool genug. Mit dem Ergebnis, dass heutige Kinderzimmer in Fluten von Plastik ertrinken – insbesondere, weil die oft sehr preiswerten Spielzeuge so ausgelegt sind, dass oft schon vor dem kindlichen Interesseverlust die Sollbruchstelle knackt. Häufig sind sie weniger als sechs Monate in Verwendung. Zeit also für EcoBirdy. Vanessa Yuan und Joris Vanbriel, die Gründer des belgischen Start-ups, lassen altes Plastikspielzeug zu neuen Möbelstücken werden. Ihre erste Kollektion von Kindemöbeln präsentierte das junge Unternehmen auf der Designmesse Maison & Objet in Paris im Januar 2018. Als Ergebnis der zweijährigen Forschung zum Thema kamen dabei ein Kinderstuhl und ein Tisch, eine Aufbewahrungsbox und eine Leuchte heraus. Für diese erste Kollektion nutzte EcoBirdy ausschließlich europäischen Plastikmüll.

Der Recyclingprozess bei Ecobirdy

Sorgfältige Sortierung und Reinigung soll garantieren, dass das recycelte Material frei von Schadstoffen ist. Die Möbelstücke mit weichen Kanten und glatten Oberflächen sind pflegeleicht und stabil. In einem schönen Film zum Projekt, wird vorgestellt, wie es funktioniert: Altes Plastikspielzeug wird eingesammelt, sortiert, verarbeitet und kommt hernach in neuer Form ins Kinderzimmer zurück.

Harte Platte aus Dänemark
Auch in der Textilindustrie fallen große Mengen an Polymer-Abfall an. Und dabei nicht nur in Form von Zuschnittresten oder Alttextilien, sondern auch als Abrieb und, naja, Flusen, denn ein großer Teil der zu verwertenden Textilien stammt aus industriellen Wäschereien, die Hotelwäsche und Handtücher sowie Krankenhaus- und Restaurantuniformen verarbeiten. Seinen eigenen derartigen Abfall verwertet der dänische Textilverlag Kvadrat. Gemeinsam mit dem Start-up-Label Really werden aus ebendiesen Textilresten und Alttextilien Faserplatten hergestellt.

Das entstehende Material ist so stabil wie Holz und dabei viel flexibler. Die sogenannten Solid Textile Boards, ein hochentwickelte High-Density-Material, soll andere Materialien in Möbeln und Architektur ersetzen. Noch befindet sich das Material im Teststadium. Seinen ersten Auftritt hatte Really zum Salone del Mobile 2017 mit einer Kollektion an Möbeln, die der Designer Max Lamb erarbeitet hatte. Er entwarf zwölf Bank-Prototypen, die vor allem mit der flächigen Anmutung des Materials spielten. In diesem Jahr ist das Unternehmen mit seiner zweiten Kollektion in Mailand vertreten. Gezeigt werden Projekte von sieben Designern, die das Potenzial von Solid Textile Board für Möbel und Innenräume ausloten sollen. So schön kann Umweltliebe sein.

Am Ende bleiben vermutlich alle drei Beispiele nicht mehr, als ein heißer Plastiktropfen auf den kalten Stein – auch wenn das die Investoren wahrscheinlich anders sehen. Ratsam wäre es dennoch, schlicht weniger Müll zu produzieren, statt einen geringen Anteil dessen wieder in unsere Wohnungen und Büros zu holen. Wobei: Wenn die Kreislaufwirtschaft zu einem ernstzunehmenden Modell würde und alles was rein, auch wieder raus käme, nun ja, dann kämen wir ins Geschäft. Es kommt doch alles irgendwie zurück. Das sollte man nie vergessen.

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