Momentané: Gründlichkeit à la Bouroullec
Wer möchte das nicht manchmal, den Augenblick festhalten? Und das gleich auf 1000 Quadratmetern? So viel Platz jedenfalls steht Ronan und Erwan Bouroullec zurzeit im Paris Musée des Arts Décoratifs für ihre Ausstellung Momentané zur Verfügung, die noch bis zum 1. September zu sehen ist. Auf Deutsch bedeutet der Titel „augenblicklich“ und deutet damit das Konzept an: eine Momentaufnahme, die Retrospektive ist und zugleich den aktuellen Stand der Dinge in der Arbeit des französischen Designerduos zeigt – von raumumspannenden Installationen bis hin zu kleinen Skizzenblättern.
Obwohl die Brüder mit bretonischen Wurzeln zusammen noch keine 80 Jahre alt sind, gehören sie bereits zu den einflussreichsten Gestaltern. Die Branche feiert sie als diskrete Helden des französischen Designs, ihre Werke werden von Museen auf der ganzen Welt gesammelt, kürzlich wurden sie zur Kölner Möbelmesse als Designer des Jahres 2013 ausgezeichnet. Momentané zeigt den ganzen Facettenreichtum ihrer Arbeit: Möbel, Objekte, Skizzen, Videos und Fotografien aus der mittlerweile 15-jährigen Zusammenarbeit von Ronan und Erwan. In den Fokus der Ausstellung rückten die Franzosen jedoch eines ihrer Lieblingsthemen: die Aufteilung des Raums.
Surrealistischer Schleier
Der Teilung und Strukturierung von Räumen widmen die Bouroullecs dann auch den hallenartigen Haupttrakt der Ausstellung, den sie mit den verschiedenen Raumteiler-Produkten aus ihrem Portfolio inszeniert haben. Den Anfang macht eine bis zu zwölf Meter hohe Wand aus den Polyester-Wolken der Nuages-Module (2002). Durch deren Hohlräume sieht der Besucher eine abstrakte Landschaft, strukturiert durch weitere Wände aus Raumteilern, wie den Algues von Vitra (2004), den North Tiles (2006) und Clouds (2009) von Kvadrat oder den Twigs (2004).
Vor allem den Algues, bereits ein Designklassiker des Schweizer Möbelherstellers Vitra, haben Ronan und Erwan Bouroullec hier eine besondere Rolle zukommen lassen: Ein Vorhang aus den kleinen Kunststoffelementen rankt sich in der Mitte des Raums vom Boden bis zur Decke, so dass dieser Bereich von zwei Seiten betreten werden muss. Auch optisch prägt der Algenvorhang die Wahrnehmung des Betrachters, indem seine filigranen und dekorativen Elemente einen surrealistischen Schleier über die jeweils andere Raumseite streifen.
Von der Skizze zum Serienprodukt
Das Thema Strukturierung des Raums ist in den zwei Seitenschiffen der Ausstellungsfläche ebenfalls präsent, wenn auch nur in einer Nebenrolle. Den linken Nebentrakt beispielweise zoniert das Baukasten-Vorhangsystem Ready made curtain, ebenfalls für Kvadrat (2013). Dort geht es um die Arbeitsplatzkonzepte der Bouroullecs. Im gegenüberliegenden Trakt bedienen sich die Brüder ihrer Raumteilersysteme, um die hier ausgestellten Objekte rund ums Design für Zuhause dem Betrachter auf lebendige Weise nahezubringen. So teilen beispielsweise die Lampen Lianes (2010) den Wohnzimmerbereich auf vertikaler und die Regale Self Shelf (2004) das Arbeitszimmer auf horizontaler Ebene.
Daneben setzen die Bouroullecs in der Ausstellung unzählige ihrer Skizzen und Fotografien in Szene. Und geben damit einen Einblick in den Herstellungsprozess ihrer Objekte, angefangen von der skizzierten Idee bis hin zur industriellen Serienfertigung. Es fällt jedoch oft schwer, diese kreativen Vorstufen ihren jeweiligen Endprodukten zuzuordnen – wenn es sie überhaupt immer gibt. Unter dem Aspekt der Funktionalität betrachtet, bringen allerdings vor allem die Skizzen weitere Facetten der fertigen Produkte zum Vorschein. Sie lassen erahnen, wie viel Zeit und Aufwand die Brüder aufwenden, um ihre eigene Ansprüchen und die ihrer Kunden zu erfüllen.
Arbeiten in der Landschaft
Dass die Bouroullecs auch konzeptionell denken, beweist ein aktuelles Projekt für Vitra: Mit Workbay (2012) entwickelten sie ein System von Stellwänden für Büroarbeitsplätze, in denen sich der Nutzer wie in einer natürlichen Landschaft orientiert und instinktiv die jeweilige Arbeitssituation von Offenheit, Rückzug oder Gemeinschaft auswählt. In der Ausstellung können die Besucher selbst testen, wie sich die von Workbay gebildeten Räume anfühlen. Ausprobieren lässt sich auch Textile Field (2011), das auf dem Boden der Haupthalle für ein visuelles Highlight sorgt und erstmals im Londoner Victoria & Albert Museum gezeigt wurde. Wie ein überdimensionaler Teppich lädt die Installation den Besucher zu einer Ruhepause ein. Oder zur Meditation über die unsichtbare Gründlichkeit, dem Erfolgsrezept der Gebrüder Bouroullec.
Ronan et Erwan Bouroullec: Momentané
Musée des Arts Décoratifs, Paris
bis 1. September 2013
FOTOGRAFIE Studio Bouroullec
Studio Bouroullec
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