Die Kuckuck-Connection
Der Tag ist ein Stück in vierundzwanzig Akten: Nicht klingelnd, nicht summend, sondern singend verkünden Kuckucksuhren den Übergang von einer Stunde zur anderen. Hing die Existenz der Schwarzwalduhr vor zehn Jahren noch am seidenen Faden, ist sie nun wieder heiß begehrt. Ihr früheres Manko – die vermeintliche Spießigkeit der Heimat – gilt plötzlich als ihre Stärke. Sie stiftet Identität in einer Zeit, die nach Konstanten Ausschau hält und mit Referenzen an Vergangenes die Nerven zu beruhigen versucht. Erfunden wurde die Uhr von einem einfallsreichen Tischler. Ihr Gehäuse ersann kein geringerer als der Hausarchitekt der Badischen Bahn.
Ein Prophet gilt selten als im eigenen Land. Der Kuckucksuhr erging es dabei kaum anders. Wer in Deutschland seine Wohnung mit der schrulligen Uhr aus dem Schwarzwald ausstaffierte, erntete – zumindest in der Generation der unter Siebzigjährigen – eher ein mitleidiges Lächeln. Zu sehr atmeten die von Hand geschnitzten Ungetümer mit ihren Bauern-, Jagd- und Kirmesszenen den Mief der alten Zeit, als dass die Moderne bei ihnen hätte Milde walten lassen. Sie waren hoffnungslose Fälle für hoffnungslose Fälle. Ihr Ende schien lediglich eine Frage der Zeit.
Im Ausland sah man die Sache unbefangener. Hätten sammelwütige Amerikaner und Japaner die Kuckucksuhr nicht schon vor Jahrzehnten für sich entdeckt, hätte ihre letzte Stunde tatsächlich längst geschlagen. Neunzig Prozent aller Kuckucksuhren werden heute exportiert. Eine sichere und zugleich unsichere Bank: Als die Anschläge des 11. September die Reiselust aus Übersee zum Erliegen brachten, mussten die meisten der rund siebzig Manufakturen um ihre Existenz bangen.
Adaption der Tradition
Von diesen Zuständen sind die Uhrenbauer aus dem Ländle heute weit entfernt. Denn in der Not nahmen es selbst die Traditionalisten mit dem Erbe nicht allzu streng. Statt der ewig gleichen, historischen Motive wurde die Uhr mit bunten, schrillen und mitunter auch recht sonderbaren Gewändern in die Gegenwart übersetzt. Was für deutsche Augen noch seltsamer anmutet als die ohnehin schon seltsamen Originalentwürfe aus dem 19. Jahrhundert, ist in Japan und China längst ein Renner. Und selbst in manchen Berlin-Mitte-Wohnungen sind die Gefühlsmaschinen mit Heimat-Appeal wieder anzutreffen. 110.000 Kuckucksuhren wurden 2011 hergestellt. In diesem Jahr dürfte die Zahl noch weit darüber liegen. Denn obwohl im Schwarzwald längst geschnitzt wird, was die Messer hergeben, können die Manufakturen die Nachfrage kaum bedienen.
Dass die Kuckucksuhr wieder Trend ist, ist kein Zufall. Schließlich ist die Uhr mit dem Vogel ein Kuriosum der Warenwelt, das seinesgleichen sucht. Zu jeder Stunde fährt ein hölzerner Kuckuck aus dem reichlich verzierten Bauernhaus heraus und kündigt den Beginn einer neuen Stunde an. Eigentlich sonderbar, dass dieses Ding in Deutschland erfunden wurde, das sonst eher den Anschein einer präzise hämmernden Maschine gibt, als mit Witz und Absurditäten assoziiert zu werden.
Die Miniaturisierung der Welt
Für den Erfolg der Uhr hat zweifelsohne ihre heimatverbundene Behausung eine Rolle gespielt. Schaute der Kuckuck bei den ersten Uhrenmodellen lediglich aus einer Öffnung seitlich des Zifferblatts heraus, erhielt sie erst 1850 ihre Behausung mit Schindeldach. Robert Gerwig, der Direktor der Furtwanger Uhrmacherschule, lobte damals einen Wettbewerb zur Neugestaltung der Uhr aus. Durchsetzen konnte sich der Karlsruher Architekt Friedrich Eisenlohr mit seiner Idee, den Kuckuck mitsamt Uhrwerk in ein typisches, Schwarzwälder Bahnwärterhäuschen zu platzieren. Ganz aus der Luft gegriffen war dieser Vorschlag nicht. Denn Eisenlohr hatte ab 1839 sämtliche Bahnhöfe der Badischen Hauptbahn auf der Strecke von Mannheim nach Freiburg entworfen und dabei auch Pläne für über 300 Wärterhäuschen entlang der Trasse angefertigt.
Seitdem treibt die Kuckucksuhr immer neue Blüten. Aus dem „Bahnhäusle“ wurden opulente Bauernhöfe mit Tieren und Personen. Jagd- und Waldmotive kamen hinzu und wurden mit aufwendigem Schnitzwerk wie Bühnenbilder arrangiert. Sind in der Formgebung kaum Grenzen gesetzt, herrschen im Inneren dagegen strenge Regeln. Uhrwerke aus Quarz sind verboten, um als „Original Schwarzwälder Kuckucksuhr“ zertifiziert zu werden. Ebenso darf die Fertigung ausschließlich in der namensgebenden Region stattfinden und nicht im Erzgebirge oder der Schweiz. Angetrieben werden die Uhren von einen 1-Tage-, 3-Tage- oder 8-Tage-Werk, das durch das Nach-Oben-Ziehen der Gewichte – die zumeist die Gestalt von Tannenzapfen haben – wieder aufgezogen werden.
Neue Formen – Neue Märkte
Dass es wieder aufwärts geht mit der Kuckucksuhr, ist vor allem den zeitgenössischen Modellen zu verdanken, die in den USA, China und Japan gut angenommen werden. Allein im vergangenen Jahr haben sich die Umsätze in diesem Segment verdoppelt, das auch medial enorme Resonanz erfuhr. Als Vorreiter galt hierbei der Künstler und Uhrengestalter Stefan Stumbel, dessen kunterbunte Schwarzwalduhren nicht nur in die Gemächer von Prominenten wie Karl Lagerfeld Einzug gehalten haben. Vor dem Karlsruher Landesmuseum ließ er im Juni 2012 ein Gerüst installieren und mit einem großformatigen Plakat behängen. Darauf zu sehen: Eine riesige Kuckucksuhr als Eingang zum Museum, das durch einen lasziv geöffneten Kussmund betreten wird. Die Botschaft ist klar formuliert: Heimat kann Spaß machen. Kuckuck hin oder her.
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