Origami für den Büroangestellten
Die Geschichte des Klappstuhls ist lang und lässt sich bis ins alte Ägypten zurückverfolgen. Auch der faltbare Stuhl fürs Büro wurde vergleichsweise früh entwickelt: Im Zuge der Industrialisierung und dem gestiegenen Verwaltungsaufkommen wollten die Gestalter auch eine dem Zeitgeist entsprechende Sitzmöglichkeit erschaffen, war doch Dynamik schon vor 100 Jahren der neue Leitbegriff. Für diese Entwicklung stehen Klassiker des Stuhldesigns wie der B751 von den Gebrüdern Thonet aus den 1930er Jahren und der SE18 von Egon Eiermann aus den 1950er Jahren. Nur einen zusammenklappbaren Tisch für das Büro entwickelte lange Zeit niemand, waren doch die technischen Mittel zu begrenzt und die Materialien noch zu schwer zu handhaben.
Mittlerweile tüfteln immer mehr Hersteller und Gestalter an leicht zu demontierenden Einrichtungen, sollen die Bürowelten doch immer offener und flexibler werden. Stand ein Konferenztisch früher noch ein Menschenleben lang am selben Platz, ist seine Verweildauer heute wesentlich begrenzter. Das viel diskutierte Phänomen Open Office ist eben nicht nur eine neue Bezeichnung für das gute alte Großraumbüro, sondern ist vor allem als Verhaltenscodex zu verstehen: Alles ist überall möglich und nichts ist von Dauer, was im Übrigen auch für die Angestellten gilt. Funktionen überlagern und verändern sich nach Belieben, und die Räume müssen die täglich wechselnden Bedürfnisse blitzschnell in einen physischen Zustand übersetzen können. Und da dies am Ende doch durch Menschenhand und ohne professionelle Hilfe geschehen muss, braucht es leichte Möbel und einfach zu bedienende Techniken für den rückenmüden Büroangestellten.
Büro-Voodoo
Eines der ersten Büro-Möbelsysteme mit Klapptechnik war Tempest des dänischen Möbelproduzenten Howe aus der 1970er Jahren, das noch heute vertrieben wird. Howe begann mit der Entwicklung von Klappmöbeln schon wesentlich früher, nur lag der Fokus auf Orten mit geringer Bewegungsfläche wie beispielsweise U-Booten. Der Wogg 6 des Schweizer Designers Ludwig Roner für den Hersteller Wogg aus dem Jahr 1986 erweiterte das Klappspektrum um eine Vergrößerungsoption. Durch die Klappbarkeit der seitlichen Tischplatten lässt sich der Tisch verlängern – dazu kann man die Tischbeine so wegklappen, dass am Ende ein kompaktes und leicht zu transportierendes Paket entsteht.
1994 wurde auf der Orgatec das Möbelprogramm Confair von Wilkhahn präsentiert, dessen Grundgedanke genau der war: endlich ein geeignetes Einrichtungskonzept für die Veränderungsprozesse im Büroalltag zu schaffen. Teil von Confair war auch der Falttisch des Designers Andreas Störiko, den es zuerst eigentlich gar nicht geben sollte – zu kompliziert erschien die technische Handhabung eines großen Falt-Konferenztisches für den Hersteller. Doch der Designer ließ nicht locker und überzeugte Wilkhahn schließlich mit seinem Konzept. Andreas Störiko hatte mit dem Falttisch ein mobiles „Werkzeug“ entwickelt, mit dem der Benutzer sein Einrichtungs-Setting selber und stetig an unterschiedliche Situationen anpassen konnte. Für Wilkhahn war dies der entscheidende Aspekt: die aktive Beteiligung als eine Art „interaktive Konferenzmethodik“. Wie in einer Werkstatt werden den Mitarbeitern flexible, kleinteilige und mobile Einrichtungsmodule zur Verfügung gestellt, mit denen sie das jeweils benötigte Einrichtungslayout selber bestimmen und konfigurieren können. Dahinter steckt die pädagogische Erkenntnis, dass der Einsatz der eigenen Bewegungsmotorik das Erinnerungsvermögen fördert – eine Art Memory für Erwachsene.
Als Weiterentwicklung folgte zwei Jahre später das Tischsystem Logon sowie im Jahr 2000 Timetable, das unter dem Arbeitstitel „Voodoo“ entwickelt wurde. Und tatsächlich hat der Tisch etwas Magisches, drehen sich die Standrohre mit den Fußauslegern doch wie von Geisterhand ein oder aus, wenn man die Tischplatte vertikal um die Mittelzarge schwenkt. Die Tische lassen sich platzsparend ineinander staffeln und ohne große Probleme transportieren. Die neueste Ergänzung im Programm ist Timetable Shift: eine Kombination des Confair-Designs mit dem Timetable-Plattenschwenkprinzip.
Ola, Akka!
Eine Alternative stellt der aus Aluminium gefertigte Tisch Ola vom Göteborger Design-Duo Akka dar, wurde er doch prompt mit einem der beiden Preise beim diesjährigen [D]³ Contest auf der imm cologne ausgezeichnet und wird ab sofort vom schwedischen Hersteller Materia produziert und vertrieben. Benannt nach dem Vater einer der beiden Gestalter, zeichnet sich der leichtgewichtige Tisch durch seine einzigartige Falttechnik aus: Ohne den Tisch anheben zu müssen, kann man die beiden Füße und die Platte mit wenigen Handgriffen relativ einfach auf- und wieder zuklappen. Und durch das Material Aluminium ist der Tisch wunderbar leicht. Ein Gesundheitsrisiko für den zartbesaiteten Büroangestellten birgt dieser Tisch also nicht.
Dagegen ist der sehr archaisch daherkommende Klapptisch PA01 ISAAC von E15 eher etwas für Trainierte. Er kann seine eh schon imposante Länge durch das Aufklappen der zwei Endstücke fast verdoppeln. Die Auskragung der massiven Tischplatten wird durch das Querstellen der Füße gestützt, – außerdem ist der Tisch in vier Teile zerlegbar. Diese Tischskulptur entfaltet seine Wirkung besonders in den lackierten Varianten. Durch den extra harten DD-Lack wirkt der Tisch wie der Prototyp für ein futuristisches Kleinflugzeug.
Träume sind Schäume
Neben dem konventionellen Wegklappen eines Möbels gibt es auch noch andere Möglichkeiten, um ein Möbel verschwinden zu lassen: zusammenfalten, wegstecken oder einfach an den Nagel hängen. So haben die Designer vom holländischen Studio Gorm eine Art Garderobe für ihr Möbelsystem entworfen. Peg ist eine Modulreihe aus Tischen, Bänken, Hockern und Regalen, die auf einem einfachen Steck- und Schraubsystem basieren. Jedes Teil ist gelocht und kann an einer Wandleiste mit passenden Haken aufgehängt werden. Die Idee entstammt einer Tradition der Shaker, die bereits im 18. Jahrhundert ihre Möbel mit Knöpfen an Leisten befestigten – den sogenannten „pegs“ –, um so ungehindert ihre Häuser reinigen zu können.
Die niederländischen Designer Kapteinbolt haben einen Pop-up-Arbeitsplatz erfunden, der am Anfang wie eine einfache Holzscheibe erscheint. Wie ein Buch kann man ihn aufklappen, wodurch eine stabile Raumecke entsteht. Aus den beiden Wänden faltet sich dann der Arbeitsplatz inklusive Tisch und Sitzfläche heraus. FLKS nennt sich dieses Raumwunder, dass leider etwas zu schwer ist, um es jeden Tag mit nach Hause zu nehmen. Eine wesentlich leichtere Vision schuf Tim Vinke mit Het Kruikantoor, einem Büro auf Rädern, das als ein großer Schaumblock daherkommt, in dem wie in einem geometrischen Formenspiel für Kinder die einzelnen Komponenten eines Büros stecken. Auseinandergebaut ergibt dies zwei Stühle, Tisch, Lampe und Stauraum – und sogar der Stromanschluss ist integriert. Das federleichte Büro ist aus EPS-Schaum gegossen und mit Polyurea-Heißspray lackiert. Ist die Arbeit getan, steckt man die Teile einfach zurück an die dafür vorgesehene Stelle und schiebt die mobile Einheit zu seinem nächsten Bestimmungsort. Das Büro aus Schaum auf Rädern ist das wahrscheinlich am besten geeignete Sinnbild für die Sehnsucht nach der totalen Flexibilität am Arbeitsplatz – hat es doch auch ein bisschen etwas von einem Einkaufswagen, gefüllt mit den wichtigsten Elementen eines Arbeitsplatzes. Nur die Kaffeemaschine fehlt!
www.wilkhahn.de
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