Piero Fornasetti: Der Meister des Ornaments
Zwischen Illusion und Alltag: Die erste Fornasetti-Retrospektive in der Mailänder Triennale.

Piero Fornasetti (1913-1988) hatte eine ehrgeizige Mission: Der umtriebige Mailänder Gestalter hat die Oberfläche geradewegs zurück ins Design geholt. Anlässlich seines 100. Geburtstags widmet die Mailänder Triennale dem Meister des Ornaments die erste, umfassende Retrospektive. Kuratiert wurde die mehr als 1000 Exponate umfassende Schau von seinem Sohn Barnaba, der das Erbe seines Vaters behutsam in die Gegenwart transferiert.
Besonders leicht hatte er es nicht. Denn Piero Fornasetti kam genau im falschen Moment. Der Mailänder Maler, Grafiker und Illustrator begnügte sich keineswegs damit, zweidimensionale Dinge zu gestalten. Er richtete seinen Fokus auch auf Tische, Stühle, Kommoden, Vasen und eine Vielzahl anderer Dinge der dritten Dimension. Indem er mit fantasievollen und ironischen Motiven die Oberfläche in Szene setzte, geriet er geradewegs zwischen die Fronten. Für die Modernisten waren seine Entwürfe zu traditionell. Für die Traditionalisten waren sie zu avantgardistisch.
Im Reich der Phantasie
Piero Fornasetti schlug mit seinen Dekoren nicht nur der Funktion ein Schnäppchen. Er wollte das Ornament wieder dorthin zurückführen, wo es einst Laufen gelernt hatte: in den Alltag. Unterstützung fand er dabei von einem Modernisten, der wie kein anderer seiner Generation die Qualität der Oberfläche und des Ornaments zu schätzen wusste: Gio Ponti. Der spätere Erbauer des Mailänder Pirelli-Turms und langjährige Kreativdirektor der Porzellanmanufaktur Richard Ginori begann in den dreißiger Jahren eine Zusammenarbeit mit Fornasetti und machte ihn zu seiner „Geheimwaffe“.
Neben der Ausstattung von Apartments und Villen übertrug er ihm die Einrichtung der Erste-Klasse-Kabinen des Transatlantic-Liner Andrea Doria sowie die Dekoration des Casinos von San Remo. „Alles muss heute immer rational, praktisch und funktional und sparsam sein. Wenn wir von so vielen Gedanken eine Auszeit brauchen, müssen wir zurück auf die alten Dinge schauen. Fornasetti bringt uns dazu, das Dekorative auf eine zeitgemäße Weise zu sehen und zu lesen“, erklärte Gio Ponti.
Späte Anerkennung
Fornasetti selbst war ein Besessener, der mit eiserner Disziplin arbeitete und sich sein eigenes Universum schuf. Anstatt auf die Suche nach Herstellern zu gehen, wählte er den Weg der Eigenproduktion und ließ die meisten seiner Entwürfe direkt in seiner eigenen Werkstatt in Mailand anfertigten. Mehr als 13.000 Objekte gestaltete Fornasetti, der am 10. November 100 Jahre alt geworden wäre, bis zu seinem Tod 1988. Mehr als tausend seiner Arbeiten sind derzeit in der Mailänder Triennale zu sehen, die ihm nun – mit ungewöhnlicher Verspätung – seine erste Retrospektive widmet.
„Fornasetti, der vom italienischen Kultursystem der fünfziger und sechziger Jahre ausgeschlossen wurde, bietet heute eine originale und einmalige Sichtweise. Ihn nach all den Missverständnissen, Verboten und dem Desinteresse in der Vergangenheit in der Triennale zu zeigen, unterstreicht seine wertvolle wie fruchtbare Rolle“, sagt Silvana Annichiarico, Direktorin des Triennale Design Museums. Dass die Arbeiten Fornasettis wieder in den Fokus gerückt sind, ist nicht zuletzt seinem Sohn Barnaba zu verdanken. Der heute 63-jährige hatte das Studio und die Werkstatt nach dem Tod seines Vaters übernommen und nun auch die Mailänder Ausstellung kuratiert.
Überwindung der Zeit
„Ich glaube nicht an Perioden oder Zeiten. Ich lehne es ab, den Wert von einem Objekt nach seiner Zeit zu bemessen. (...) Ich mag die Vorstellung, modische Dinge zu schaffen, die nie aus der Mode kommen“, erklärte Piero Fornasetti einst. Die Überwindung dieses Widerspruchs gelang nicht zuletzt durch einen behutsamen Umgang mit Farbe sowie einer schlüssigen Verbindung von Dekor und Objekt. Traten die Gebrauchsgegenstände die Jugendstils als dreidimensionales Ornament in Erscheinung, sind Fornasettis Objekte von ihrer Form her geradezu puristisch funktional.
Die Dekore bespielen quadratische Tischoberflächen, zylindrische Schirmständer und Kerzen oder – wie bei seinen bekanntesten Arbeiten – die Oberflächen von Tellern. Gleich ein ganzer Raum ist diesen keramischen Arbeiten gewidmet, auf denen Fornasetti sein bekanntestes Motiv verwendete: Das Gesicht der Opernsängerin Lina Cavalieri, das in über 350 verschiedenen Dekoren variiert wurde. Mal erscheint Lina als griechische Statue, als Schmetterling, als Schlachtschiff oder mit Schnurrbart, Schleier und Masken verfremdet. Die Teller werden an Wänden gruppiert und bilden eine raumgreifende, plastische „Tapete“. Fornasetti übertrug das Motiv der gereihten Teller schließlich in eigene Tapetenmuster und vollzog eine fließenden Übergang zwischen Fläche und Raum.
Von der Zeichnung in den Raum
Der Schlüssel zum Design lag für ihn stets in der Zeichnung: „Wer nicht vorhat, ein Spezialist zu werden, sollte das Zeichnen erlernen. Danach kann man alles machen: etwas erfinden, planen, organisieren, das ein Objekt, ein Auto, eine Seite oder das Cover eines Buches sein kann“, bemerkte Piero Fornasetti. Seine Vorliebe für theatralische, bühnenartige Räume brachte er 1951 mit der Ausstattung der Casa Lucano zum Ausdruck, einem Projekt, das er zusammen mit Gio Ponti realisiert hatte. Ionische und korinthische Kapitelle zieren die Rücken von Stühlen, vom Boden bis zur Decke reichende Paneele zeigen die Profile antiker Götterstatuen, während Obelisken und Säulen die Seitenwände eines Paravents zieren.
Dass zu den Bewunderern Fornasettis auch Philippe Starck gehört, überrascht kaum. „Er vermochte ein dreidimensionales Objekt mit einem zweidimensionalen, grafischen Design zu kombinieren und expressive Perspektiven durch Trompe-l’œils und optische Illusionen auszudrücken“, erklärt der Pariser Designer. Vor allem Paravents spielten in den Räumen Fornasettis eine wichtige Rolle. Ganze 32 Paneele umfasst das Modell Stanza Metafisica aus dem Jahr 1958, das Fornasetti eigens zum Meditieren entworfen hatte. Das Objekt bildet nicht nur einen Raum im Raum. Es lässt den Betrachter vollends eintauchen in eine Welt, in der sich grafische Illusionen mit der Funktionalität des Alltags verbinden.
Piero Fornasetti: 100 anni di follia pratica
noch bis 9. Februar 2014 in der Mailänder Triennale
La Triennale di Milano
Fornasetti
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