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Pulsierendes Nordlicht – Die Stockholmer Möbelmesse 2009

von Norman Kietzmann und Hannah Bauhoff, 11.02.2009


Sie ist klein und gilt (noch) als Geheimtipp: Die Stockholmer Möbelmesse, die am 08. Februar nach fünf Tagen zu Ende ging. Neben namhaften skandinavischen Herstellern haben auch zahlreiche deutsche und italienische Aussteller die Vorzüge der Möbelschau im hohen Norden entdeckt. Während die Kölner Möbelmesse noch vor zwei Wochen erheblichen Leerstand verkraften musste, ist die Stockholmer Messe auch in ihrer 57. Ausgabe weiterhin ausgebucht und baut ihre Kapazitäten sogar eifrig aus. Verkehrte Welt? Ganz und gar nicht, wie wir finden, und haben uns das bunte Treiben in der schwedischen Hauptstadt bei Schneeregen und Schneematsch genauer angesehen.


Dass sich die kleine Stockholmer Möbelmesse immer mehr zum Pflichttermin gemausert hätte, war in den vergangen Jahren bereits öfters zu hören. Gilt sie doch als Schlüsselereignis für den gesamten skandinavischen Markt, auf dem neben Schweden auch Finnen, Dänen und Norweger mit ihren neuen Produkten zu sehen sind. Gehören Aussteller wie Swedese, Offecct oder Fritz Hansen längst zu Global Playern, die sich auch auf dem Parkett von Mailand souverän bewegen, ist der Großteil der Aussteller bisher vor allem auf dem skandinavischen Markt präsent. Bisher. Denn genau darin liegt letztendlich auch der eigentliche Reiz dieser Messe. Sie ist einerseits ein Forum für eine junge, aufstrebende skandinavische Designszene, deren Ambitionen, international stärker mitzumischen, der Messe zusätzlichen Wind verleihen. Andererseits entdecken immer mehr Unternehmen aus anderen Teilen Europas die Messe, die den skandinavischen Markt für sich erobern wollen. Insgesamt 170 neue Aussteller konnte die 57. Stockholmer Möbelmesse mitsamt der parallel in den Messehallen stattfindenden „Nordic Light Fair“in diesem Jahr verbuchen. Gehören Vitra, Sedus und Wilkhahn schon zu alten Bekannten, sind in diesem Jahr besonders viele italienische Aussteller nach Stockholm gegangen, darunter Moroso, Magis oder Flos. Um den Titel als größte skandinavische Möbelmesse muss sich Stockholm deswegen aber nicht sorgen: von den insgesamt 750 Ausstellern kamen nach wie vor 669 aus den nordischen Staaten.

Aufstrebende Messe

Galt die Stockholmer Möbelmesse lange als Geheimtipp, mischen sich immer mehr internationale Besucher unter die drei Hallen des Messegeländes südlich der Innenstadt. Vor allem in der designorientierten Halle C geht es aufgrund des Besucherandrangs stürmisch und entspannt zugleich zu. Dass die Stockholmer Möbelmesse eine Messe mit Zukunft ist, zeigt nicht nur die Tatsache, dass in diesem Jahr alle Stände ausgebucht waren – trotz des Debakels, das die imm cologne nur zwei Wochen zuvor verkraften musste. Wenn im Februar 2010 die Messe in ihre nächste Runde geht, werden ihre Kapazitäten von derzeit 56.500 Quadratmetern auf über 70.000 Quadratmeter erweitert werden. Die Chancen, diese auch zu füllen, stehen gut. Denn auch, wenn die Messe rein zahlenmäßig noch immer weit von Mailand oder Köln entfernt ist, hat sie sich mit ihrem Fokus auf zeitgenössisches Design ein kontinuierlich wachsendes Steckenpferd gesucht.

Post-Ikea-Generation

Genau hierin liegt zugleich aber auch die Herausforderung für das neue skandinavische Design. Es muss sich von der großen Marke mit den vier Buchstaben emanzipieren und Produkte entwickeln, die nicht nur günstig, sondern auch gut sind. Gleichzeitig muss es den Mut entwickeln, aus dem Schatten der Überväter Alvar Aalto, Arne Jacobsen oder Finn Juhl hervorzutreten und deren Qualitäten weiterentwickeln. Dass sich mit Designern wie Monica Förster, „Claesson Koivisto Rune“ oder „Form us with Love“ bereits eine neue Generation gebildet hat, die ganz selbstverständlich für die renommierten internationalen Marken entwirft, gibt der Stockholmer Möbelmesse zusätzlich Substanz. Es entsteht der Eindruck, dass hier wirklich etwas entsteht. Auch auf längerfristige Perspektive.

Niederlande als Vorbild

Wie ernst es der Messe mit ihren internationalen Ambitionen ist, zeigt auch die Wahl der Niederlande als Gastland 2009. Schließlich haben es die Holländer vollbracht, innerhalb der letzten fünfzehn Jahre die zurzeit erfolgreichste Designszene Europas hervorzubringen, die nach ihren frühen, experimentellen Jahren ganz selbstverständlich für die etablierten Marken arbeitet. „Von den Niederländern lernen, heißt siegen lernen“, könnte vielleicht ganz sinnbildlich das Motto für Stockholm lauten. Als Ehrengast konnte die niederländische Designerin Ineke Hans den Eingangsbereich der Messe mit einer loungeartigen Installation bespielen, die die Besucher auf ihren schlichten, hölzernen Möbeln zum Verweilen einlud. Zu einer wahren Andacht geriet unterdessen im großen Konferenzzentrum der Messe der Vortag von Trendexpertin Li Edelkoort – die als Direktorin der Design Academy Eindhoven selbst entscheidend beigetragen hat, die niederländische Designszene aufzubauen. Unter den Gästen waren auffallend viele junge Gestalter, die ihren Zukunftsprognosen über die „Farm der Zukunft“ aufmerksam lauschten – auch wenn diese anno 2009 nicht unbedingt mehr wirklich neu waren.

Besinnung auf die eigene Stärken

Dass viele von ihnen die Ratschläge Edelkoorts ohnehin nicht mehr nötig haben, wurde auf der Plattform „Greenhouse“ deutlich, auf der sich zahlreiche Jungdesigner und Designhochschulen auf der Messe präsentierten. Denn ein naturnahes und naturbewusstes Lebensgefühl, das für südländische Gestaltungsweisen tatsächlich einen Richtungswandel bedeutet, liegt Gestaltern aus dem hohen Norden gewissermaßen schon im Blut. Aus der Sicht der Trendexperten könnte man die Situation auch anders deuten: Skandinavien ist derzeit so angesagt wie zuletzt in den Fünfziger Jahren, als die kalte, technische Moderne von hier ganz selbstverständlich mit Fragen der Ökologie, natürlichen Materialien sowie – ganz wesentlich – auch mit ergonomischen Aspekten verfeinert wurde. Diese Aspekte in die Gegenwart zu transferieren, könnte auch dem neuen skandinavischen Design verstärkt Auftrieb verleihen.

Die Highlights der Messe

Ein Beispiel für ein gelungenes Zusammenspiel aus Design und Ergonomie zeigt die Kooperation zwischen dem Büromöbelhersteller Officeline und Designerin Monica Förster, deren Drehstuhl Lei eigens für die Körperhaltung von Frauen entworfen wurde und langjährige Studien in ein bis dato noch nicht auf Markt befindliches Produkt übersetzte.  Andere Gestalter verbinden praktische Ansätze mit raffinierten Details: So verfügt der Kleiderständer Rodeo von „Form us with love“ über Bügel, die mit Nadelfilz bespannt wurden und somit „lautlos“ sind. Innovation in Strickbereich zeigt die Stockholmer Label "Knitsbymeter" mit ihrer Serie ungewöhnlicher Kissen und Wolldecken. Ein Stück Micro-Architektur bringt der Tisch Etage von „Claesson Koivisto Rune“ in die heimischen vier Wände. Organisch weich dagegen der Drehstuhl RIN von Hiromichi Konno für Fritz Hansen. Deutlich zurückhaltender zeigt sich das schwedische Label Muuto mit einem minimalistischen Kerzenständer von „Norway Says“, Swedese mit einem schlichten Sofa von "Cleasson Koivisto Rune" sowie das Label Nonuform mit einem beinahe unsichtbaren Wandregal. Deutlich exzentrischer dagegen der Kleiderständer Major von Fredrik Färg, der beinahe wie eine Requisite aus dem Film „Das Cabinett des Dr. Caligari“ wirkt. Einen Klassiker des skandinavischen Designs legte Svenskt Tenn mit einer Reedition des Button-Hockers von Josef Frank wieder auf. Präsentiert wurde diese in einer Ausstellung, die der Gründer und Kreativdirektor des Modelabels „Acne“, Jonny Johansson, als eine Art temporäres „Atelier“ im Showroom von Svenskt Tenn in der Stockholmer Innenstadt inszenierte.

Satelliten in der Stadt

Nur einen Steinwurf weit entfernt präsentierte das Leuchtenlabel „Wästberg“ seine Neuheiten mit einer Installation, die „Claesson Koivisto Rune“ – mittlerweile zu den absoluten Platzhirschen der Stockholmer Messe 2009 aufgestiegen – in den Räumen des altehrwürdigen Hotel Berns gestalteten. Hinter Vitrinen aus grünlich schimmerndem Glas waren die Leuchten nur aus einem bestimmten Winkel zu betrachten und verschwanden ansonsten im Dunkel des Raumes auf geradezu mystische Weise. Der große Salon des Berns mit seinen prunkvollen Kristallleuchtern gab der Installation den Rahmen eines Ballsaales und ließ die Leuchten wie Objekte auf einer Bühne erscheinen. Eine weitere Installation zeigte Monica Förster im Foyer des „Nordic Light Hotels“, das als offizielles Hotel der Messe zugleich zum Treffpunkt der internationalen Gäste wurde. Förster ließ sich von Alfred Hitchcocks „Vögel“ inspirieren und ersann einer Serie von dunklen Mobile-Objekten, die zu Tausenden an Bändern quer den Eingangsbereich des Hotels gespannt wurden. Die Eröffnungsparty zu ihrer Arbeit geriet zugleich zu einem der gesellschaftlichen Höhepunkte der Messe wie auch der Cocktail von „Form us with Love“ am darauf folgenden Tag im Hotel „Nordic Sea“.

Aussicht

Was wird bleiben von dieser Messe? Stockholm hat einmal mehr gezeigt, dass es sich zu einem selbstbewussten und doch nicht überschätzten Standort entwickelt hat. Dass die Strukturen im Vergleich zu Mailand oder Köln noch klein sind, muss dabei kein Nachteil sein. Schließlich kann die Messe somit deutlich flexibler und schneller reagieren als ihre schwergewichtige Konkurrenz. Es mag bezeichnend sein, dass viele junge Gestalter, die sich auf den Ausstellungen der Hochschulen präsentieren, im gleichen Moment bereits die ersten Entwürfe bei etablierten Firmen lancieren konnten. Werden die Jungdesigner in Köln weggesperrt wie Narren in einen Käfig, sind sie in Stockholm längst ein integraler Teil der Messe und erzielen mit ihren Ideen auch Umsätze. Nachwuchs wird hier nicht als Bedrohung sondern als entscheidende Chance begriffen – nicht zuletzt auch von der Wirtschaft selbst. Angesichts dieser Botschaft kann sich die Stockholmer Möbelmesse eines sicher sein: Wer einmal hier war, wird wieder kommen.


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Links

Stockholm Furniture Fair

www.stockholmfurniturefair.com

Stockholm Design Week

www.stockholmdesignweek.com

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