Stories

Schöner Schein

von Claudia Simone Hoff, 17.07.2008


“Hässlichkeit verkauft sich schlecht.“ Das stellte vor mehr als einem halben Jahrhundert der amerikanische Industriedesigner Raymond Loewy fest, der mit seiner Lucky-Strike-Verpackung und der Shell-Muschel zur Designikone avancierte. Und jeder von uns hat es wahrscheinlich schon einmal selbst erlebt: In den Supermarktregalen stehen Hunderte von Produkten, alle ähnlich im Preis und vom Inhalt sowieso. Genau 1,6 Sekunden lässt sich der Verbraucher Zeit eine Entscheidung zu treffen. Wie diese getroffen wird? Nach Aussehen oder Markennamen. Und beides hat im Allgemeinen miteinander zu tun. Man denke nur an legendäre Verpackungen wie die Coca-Cola-Konturflasche, die Toblerone-Schokolade oder das Kinder-Überraschungs-Ei.


Gemeinsame Konsumgeschichte

Marken sind unmittelbar mit ihrem Äußeren im Kopf der Verbraucher verankert. Ähnlich wie beim Menschen schließt man vom Äußeren auf das Innere. Eine Verpackung muss also möglichst den Inhalt visuell widerspiegeln oder ihn gar übertreffen. Auch Erinnerungen an unsere Kindheit verbinden wir mit bestimmten Marken und demnach auch mit deren Verpackungen, der gemeinsamen Konsumgeschichte sei Dank. Wer aus der Generation Golf erinnert sich nicht an sprudelnde Ahoj-Brause in kleinen Tütchen, in den Handflächen schmelzende bunte Smarties oder das dreifarbige 50-Pfennig-Dolomiti-Eis? In regelmäßigen Abständen ändern die großen Lebensmittelhersteller ihr Verpackungsdesign. Meist wird dabei so geschickt modernisiert, dass das ursprüngliche Markenbild in seiner Wirkung bestehen bleibt, sich visuell aber trotzdem etwas getan hat.

Bekannte Marken und deren visuelle Erscheinung sind so stark in den Köpfen präsent, dass sich bei Veränderungen manchmal sogar Widerstand regt: so geschehen beim Redesign der Kinder-Schokolade. Da wurde kurzerhand eine „Weg-mit-Kevin“-Kampagne ins Leben gerufen, die unbedingt das neue Kindergesicht auf der Verpackung ändern und „Kevin“ wieder auswechseln wollte. Und das, nachdem bereits das ursprüngliche Kindergesicht auf der Verpackung im Lauf der Jahrzehnte einige grafische Schönheitsoperationen über sich ergehen lassen musste – denn schließlich müssen auch Frisur und Kopf-Form mit der Mode gehen. Mit der Mode gehen manchmal auch neuartige Verpackungsideen, so beispielsweise die Nespresso-Kapseln. Nicht gerade umweltfreundlich folgen sie dem Trend der Convenience-Verpackungen. Zugegeben, der Kaffee schmeckt gut und die Verpackung sieht schön aus, ist jedoch nur für spezielle Kaffee-Maschinen geeignet und macht den Verbraucher damit quasi zum Marken-Sklaven.

Ästhetisierung der Alltagswelt

Man sieht, Verpackungen sind nicht nur schnödes Einpackmittel, sondern durchaus dazu befähigt, Emotionen hervorzurufen. Und so gibt es dann auch eine Armada von Corporate-Design-Agenturen und bekannten Verpackungsdesignern wie Peter Schmidt, die in Aktion treten, wenn eine Verpackung neu geschaffen oder verändert werden muss. Denn was muss nicht alles beachtet werden: Corporate Identity, Corporate Design, Umweltverträglichkeit, Funktionalität, Preis, Palettenauslastung – um nur einige Faktoren zu nennen. Dieser ganze Aufwand dient nur einem Zweck: dem besseren Absatz der Produkte. Und weil die Ästhetisierung der Alltagswelt ungeahnte Ausmaße angenommen hat, wird heute nahezu jedes Produkt mit dem Label „Design“ versehen, in der Hoffnung auf bessere Verkaufszahlen oder, um erneut mit Designpionier Loewy zu sprechen: „Von zwei Produkten, die in Preis, Funktion und Qualität nichts unterscheidet, wird das mit dem attraktiveren Äußeren das Rennen machen."

Holistic Thinking

Inwieweit unsere Sehgewohnheiten inzwischen von bunten Farben und mehr oder weniger extravaganten Formen beeinflusst sind, wird an zwei Beispielen deutlich. Andreas Gurskys Fotografie „99 Cent“ zeigt das Innere eines amerikanischen Supermarkts, in dem ausschließlich Produkte für 99 Cent angeboten werden. Was würde noch von diesem Foto übrigbleiben, wenn man die verschiedenen Farben und Typografien der Verpackungen weglassen würde? Nicht viel. Wie wenig wirklich, zeigt das dänische Projekt „FLOWmarket“: Verpackungen sind hier auf ihre Grundform  zurückgeworfen und die Beschriftung mit der immergleichen Typografie schlicht in Schwarz-Weiß gehalten. Der Clou bei den Beschriftungen liegt allerdings eher in ihrer inhaltlichen Konnotation: So heißen die Produkte hier schon mal „tolerance“, „ups and downs“, „a feeling of safety“, „balance“, „holistic thinking“ oder „time for each other“ – ein kleiner Seitenhieb auf die großen Markenhersteller, die in den letzten Jahren fast krampfhaft versuchen jedes noch so banale Produkt mit (Un-)Sinn zu belegen.

Was hat Dada mit Bahlsen zu tun?

Lebensmittelhersteller erkannten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Notwendigkeit guter Gestaltung. Diese damals neuartige Sicht der Dinge ging in Deutschland vom 1907 gegründeten „Deutschen Werkbund“ aus, der Industrie, Gestalter und Künstler miteinander vereinen wollte. So entstanden enge Kooperationen zwischen Kreativen und Unternehmen, die berühmteste ist wohl die Zusammenarbeit von Peter Behrens mit der AEG, aber auch Dr. Oetker und Bahlsen taten sich in gestalterischen Fragen hervor. Man hatte frühzeitig entdeckt, dass luxuriöse Verpackungen Prestigegewinn und somit höhere Verkaufszahlen bedeuteten. Die Dr. August Oetker Nahrungsmittel KG, zu der auch die Frischeparadiese gehören, wurde berühmt durch portionsweise abgepacktes Backpulver. Bereits im Jahr 1900 wurde der weiß-rote „Hellkopf“, das Signet der Marke, gestaltet und ist bis heute auf sämtlichen Verpackungen in Verwendung. Auch Bahlsen engagierte schön früh Künstler mit der Gestaltung ihrer Verpackungen, so beispielsweise Heinrich Vogeler und den Dada-Künstler Kurt Schwitters. Auch die braune „Schlankhalsflasche“ von Maggi ist bis heute in leichter Abwandlung in Gebrauch und das rot-gelbe Etikett prägt das Bild aller Maggi-Produkte: auch noch mehr als 100 Jahre nach ihrer Gestaltung.

Jean Nouvel und der Schoko-Flop

Schokolade ist süß und macht glücklich. Normalerweise. Anders war es 2006, als Nestlé die neuen PET-Verpackungen der Cailler-Schokolade lancierte. Man hatte es sich so schön ausgedacht: Jean Nouvel entwarf die neuen Verpackungen und man hoffte wohl, dass sein Glanz als Architekt auf die Schokolade und vor allem die Verkaufszahlen zurückfallen würde. Genau der umgedrehte Effekt war dann aber der Fall: Der Kunde und vor allem auch die Supermärkte nahmen die aufwändige Verpackung und die damit verbundene Preiserhöhung nicht an, was folgte war ein starker Umsatzrückgang. 80 Gramm Abfall bei 140 Gramm Inhalt passte nicht mehr in heutige Zeiten, in denen Klimawandel, CO2-Ausstoß, Treibhauseffekt und Ökobilanz auf der Agenda stehen. So nahm man die für 40 Millionen Schweizer Franken lancierte Verpackung bereits kurze Zeit später wieder vom Markt und kehrte zurück zur guten alten Schokoladentafel-Verpackung.

Von chinesischen Glückssymbolen und japanischer Faltkunst


Viel könnte philosophiert und geschrieben werden über die länderspezifischen Vorlieben bei Verpackungen. Als Westeuropäer ist man des Öfteren erstaunt über Formen und Farben der Verpackungen in asiatischen Ländern. In China beispielsweise dominieren farbenfrohe, mitunter grelle Verpackungen, traditionelle Symbole, eine konkrete, auf uns kitschig wirkende Bildsprache und die Vorliebe für optische Effekte. Das japanische Verpackungsdesign entspricht wahrscheinlich eher dem westeuropäischen Geschmack, kommt es doch um einiges schlichter und raffiniert im Detail daher. Fast immer spielt dabei die Natur eine Rolle. Und so kann es schon mal sein, dass ein Keks so schön verpackt ist, dass man ihn am liebsten gar nicht auswickeln würde.

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Links

Deutsches Verpackungsmuseum

www.verpackungsmuseum.de

Kinderschokoladen-Aktion

www.weg-mit-kevin.de

Projekt "FLOWmarket"

www.theflowmarket.com

Forschungsarbeit

Reklamekunst der Keksfabrik Bahlsen

webdoc.sub.gwdg.de/diss

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