Das Waschwunder aus Marseille
Seifen aus Frankreich haben Hochkonjunktur. Als sogenannte Naturseifen avancieren sie auf den Seiten internationaler Lifestylemagazine und im ausgewählten Produktsortiment teurer Kosmetikläden und Online-Shops zum Must-Have am Badewannenrand. Hergestellt von stolzen Handwerkskünstlern in kleinen Manufakturen entsprechen sie dem zeitgenössischen Verständnis von Exklusivität und weltgewandtem Qualitätsbewusstsein. Die Region um die südostfranzösische Hafenstadt Marseille, der größten Stadt in der Provence, ist das weltbekannte Herz französischer Seifenproduktion.
Die „Savon de Marseille“ steht als Synonym für über Jahrhunderte gepflegte Tradition. Marseiller Seife wurde und wird für alles empfohlen: zur Körperpflege, zur Wäsche von Seide, Spitze und Babykleidung, zur Zahnpflege, gegen Flecken und Krämpfe. Mit ihr wurden Hauswände gereinigt und Blattläuse bekämpft. Doch ist die Bezeichnung „Savon de Marseille“ mittlerweile kein geschützter Begriff mehr. Der Kenner achtet auf die Art der Produktion und den Gehalt an pflanzlichem Öl.
Eine Jahrtausend alte Kunst
Auf einer Tontafel der Sumerer findet sich das erste bekannte Seifenrezept der Menschheit. Die älteste vollständige Quelle, in Keilschrift auf das Täfelchen geritzt, stammt aus der Zeit von 2.500 vor Christus. Am Reinigungsprinzip des heute so beliebten Kosmetikprodukts hat sich über die Jahrtausende nichts geändert: Aus verbrannten Pflanzen und Hölzern gewannen die Sumerer alkalische Pottasche – der Begriff alkalisch stammt von dem arabischen Wort al-quali und bedeutet nichts anderes als Pflanzenasche – die mit Ölen verkocht wurde. Durch die chemische Reaktion des Öls mit der Lauge entsteht eine Substanz, die Seife, die zum einen die Oberflächenspannung des Wassers herabsetzt, und zum anderen ansonsten wasserunlösliche Fette, Bestandteil der meisten Arten von Schmutz, im Wasser löst. Doch kam das alkalische Gemisch in damaliger Zeit nicht zur Reinigung, sondern als Heilmittel für Verletzungen zum Einsatz. Der Reinigungseffekt, aus heutiger Sicht verantwortlich für die vermeintlich heilende Wirkung, blieb von den Sumerern noch unerkannt. Erst Jahrtausende später priesen die Römer die körperpflegende Wirkung der Seife. Sie hatten sich den kosmetischen Gebrauch in ihren germanischen und gallischen Provinzen abgeguckt.
Seife in ihrer heute bekannten Form geht auf die Künste arabischer Seifensieder im 7. Jahrhundert zurück. Sie ersetzten als erste die Pottasche durch alkalische Salze und erhitzen die Bestandteile so lange, bis ein Großteil des Wassers verdunstete, die ölige Masse fest wurde und sich portionieren ließ. Das Seifenstück war erfunden. Das Wissen gelangte über das arabisch besetzte Spanien nach Frankreich, das neben Spanien als erstes Zentrum der abendländischen Seifenproduktion galt.
Le Savon de Marseille
Marseille wächst zur führenden mediterranen Seifenmetropole heran. Das Geschäft blüht und im 16. Jahrhundert entwickelt sich die Seifenherstellung vom Handwerksgewerbe zur Kleinindustrie. Marseiller Seifensieder beliefern nicht nur den Norden ihres eigenen Landes, sondern treiben regen Handel mit Deutschland, England und Holland. 1660 gibt es 7 Seifenmanufakturen in Marseille, die jährlich 20.000 Tonnen Seife produzieren.
Colbert, als Finanzminister des Sonnenkönigs bekannt für seine straffe Wirtschaftspolitik, legte den Grundstein für den Ruhm der Marseiller Seife.
1688 erlässt Colbert ein Edikt, das detaillierte Produktionsanweisungen vorgibt, und erschafft mit diesem Reinheitsgebot ein noch heute gültiges Qualitätssiegel. Ausschließlich pures Olivenöl durfte zur Herstellung der „Savon de Marseille“ verwendet werden. Als besonders hochwertig galten Seifen mit mindestens 72 Prozent reinen Öls. Auch wurde festgelegt, dass während des Trocknungsprozesses die Fenster offen zu halten seien. Bei Tag und bei Nacht, mit Ausnahme von schlechtem Wetter. In den Monaten Juni, Juli und August hatte die Arbeit zu ruhen. Wer sich an Colberts Produktionsvorschriften nicht hielt, riskierte enteignet und aus der Provence ausgewiesen zu werden.
Noch heute wahren Manufakturen wie beispielsweise die Savonnerie Marius Fabre oder die Savonnerie Rampal Latour aus Salon de Provence die damals begründeten Traditionen. Von Generation zu Generation wird das Wissen in den kleinen Familienbetrieben weitergegeben. Die Werkstätten haben Museumscharakter. Die Herstellung der Seife ist ein langwieriger Prozess mit verschiedenen Etappen, über die der Seifensieder wie ein Künstler wacht. An Tagen, an denen der Mistral weht, stehen die Fenster auch heute noch offen, damit der Wind den Trocknungsprozess vorantreibt. Das ist sympathisch und kommt bei Touristen wie Käufern gut an.
Nur wenige Seifenhersteller der Region überlebten die stetige Modernisierung der Haushalte im letzten Jahrhundert. Synthetische Reinigungs- und Putzmittel und die massenhafte Verbreitung technischer Haushaltshilfen wie der Waschmaschine stellten eine nicht zu schlagende Konkurrenz dar. Erst das Öko-Bewusstsein der 1980er Jahre leitete auch eine Renaissance der „Savon de Marseille“ ein. Als französisches Kulturgut wirbt sie mit Natürlichkeit, Regionalität und Traditionsbewusstsein – Werte, die sich weltweit verkaufen lassen.
FOTOGRAFIE ©Marius Fabre
©Marius Fabre
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