Stories

Spielende Räume – London Design Festival 2011

von Norman Kietzmann, 28.09.2011


Es wurde geschwommen, getanzt oder munter gespielt. Das Design Festival London war mehr als eine konventionelle Produktschau und überzeugte vor allem mit seinen interaktiven Installationen, die historische Räumen neu belebten. Im herbstlichen Messemarathon hat die Designschau an der Themse damit bislang die Nase bislang vorn.



Wer den U-Bahn-Eingang vor dem Earls Court verließ, rieb sich zunächst verwundert die Augen. Zwei Panzer standen links und rechts vor dem Eingang des eindrucksvollen Gebäudes, in dem normalerweise die Messe 100% Design stattfindet. Flankiert wurden die stählernen Ungetümer von Soldaten mit Maschinenpistolen und Tarnbemalung, die munter auf die Maschinen kletterten und sich in Siegerpose fotografieren ließen. Was aussah wie ein Vorgeschmack zum Krieg, entpuppte sich jedoch als Werbeaktion eines Softwareherstellers, der auf der Spielemesse Messe Eurogames im vorderen Teil des Earls Court seine Neuheiten präsentierte.

Nicht ganz so martialisch, dafür aber kaum weniger verspielt, ging es auf der 100% Design weiter. So versah der neu gegründete Möbelhersteller Three Foot Three Design einen großzügigen Esstisch mit Schienen, in denen Modelleisenbahnen in Schlangenlinien um die Teller und Gläser herumfuhren. Der Clou: Die aus Buchenholz gefertigte Tischplatte besteht aus quadratischen Modulen, die über jeweils unterschiedliche Schienenverläufe verfügen. Diese können je nach Belieben gedreht und neu wieder zusammengesetzt werden, sodass die Strecke des fahrenden Zugs im Handumdrehen verändert werden kann und selbst die trockenste Dinnerrunde schleunigst wieder in Fahrt kommt.

Sportliche Tische

Bewegt ging es nicht nur auf der 100% Design, sondern ebenso in den zahlreichen Ausstellungen, Showrooms und Galerien weiter, die sich über das gesamte Stadtgebiet verteilten. In der Schau Designjunction, wo 30 überwiegend junge Aussteller in einem Untergeschoss des Victoria House im Stadtteil Clerkenwell ihre Arbeiten präsentierten, wartete das britische Möbellabel Benchmark mit einem eindrucksvollen Tisch von 11,40 Metern Länge auf. Gefertigt wurde dieser aus dem einzigen Stamm einer Eiche, die 1870 in Südfrankreich gepflanzt wurde. Balanciert wurde die mächtige Tischplatte von einer Pyramide aus Stahl sowie vier filigranen Trägern, deren Belastbarkeit von Firmengründer Sean Sutcliffe im sportlichen Selbstversuch unter Beweis gestellt wurde, indem dieser auf Socken über die gesamte Länge des Tisches hin und her hüpfte.

Spielerisch und dennoch alltagstauglich zeigte sich die Schreibtischleuchte CSYS LED Task Light des Londoner Designers Jake Dyson. Der Sohn vom Erfinder des beutellosen Staubsaugers tritt ganz in die Fußstapfen seines Vaters und tüftelte über 18 Monate an einer LED-Leuchte, die mit einer Lichttemperatur mit 2700 Kelvin ein ähnlich warmes Licht wie eine konventionelle Glühbirne erzeugtt. Besonderes Augenmerk wurde auf die Ableitung der Wärme gelegt, die über einen filigranen, auskragenden Arm der Lichtquelle entzogen wird. Die somit erzielte Kühlung steigert die Lebenszeit der Leuchtdioden von 100.000 auf 160.000 Stunden, was bei einer täglichen Nutzung von 12 Stunden einer Lebensdauer von mindestens 37 Jahren entspricht. Ausbalanciert wird die Leuchte von sechs schlanken Rädchen, mit denen die Lichtquelle in Höhe und Breite spielend leicht variiert werden kann.

Nähe zum Wasser

Klar und prägnant zeigte sich auch das Sofa Park Lane, das Christophe Pillet für den britischen Möbelhersteller Modus entworfen hat. Dabei kombinierte er einen strengen Rahmen aus Stahl mit schlanken Sitzkissen und tief liegenden sowie betont breiten Armlehnen. Im Tramshed, einer ehemaligen Tram-Station in Shoreditch stellte unterdessen das Istanbuler Designbüro Autoban sechs neue Produkte für das Label De La Spada vor, darunter der aus Walnussholz gefertigte Daisy Coffee Table sowie das großzügige Bett Suite, das über eine dramatisch überbetonte Rückseite mit einer weichen Polsterung verfügt. Ergänzt wurden die Möbel durch den eleganten Deckenleuchter Zenovitch sowie die in drei Größen erhältliche Tischleuchte Pill aus goldbeschichtetem Stahl.

Tauchte Marcel Wanders den Showroom von Moooi durch Video-Projektionen in eine fiktive Unterwasserwelt, präsentierten die Jungdesigner Max Frommeld und Arno Mathies nur wenige Meter entfernt in Tom Dixons Ausstellungsplattform The Dock ein transportables Ruderboot, das aus einer Kunststofffolie von 250 mal 150 Zentimetern Größe in nur zwei Minuten gefaltet werden kann. Um die Tauglichkeit ihres Entwurfs unter Beweis zu stellen, bedurfte es für die beiden Absolventen des Londoner Royal College of Arts keiner Umwege. Schließlich bespielt The Dock die Räume einer ehemaligen Werft und verfügt über einen direkten Wasseranschluss an den Grand Union-Kanal im Nordosten der Stadt.

Konstruktive Leichtigkeit

Von Booten ließ sich auch das Londoner Designteam Barber Osgerby für seine Ausstellung Ascent in den Räumen der Galerie Haunch of Venison inspirieren. „Dinge, die entwickelt wurden, um schnell durch die Luft oder das Wasser zu gleiten, besitzen eine innere Schönheit“, erklärte Jay Osgerby, der selbst als Kind mit dem Rudern begann. Seine Faszination für die Konstruktion von hölzernen Booten übersetzte er mit seinem Büropartner Edward Barber in eine siebenteilige Kollektion, die die Ästhetik von Effizienz und Geschwindigkeit mit wohnlichen Qualitäten in Einklang brachte. Dient das finnenartige Objekt Foil V, das einen filigranen Rahmen aus Holz mit einer Beschichtung aus Bronze kombiniert, als Skulptur an der Wand, wurde dieselbe Rahmenstruktur in achtfacher Ausführung zum voluminösen Leuchter Planform Array V kombiniert und mit handgefertigtem japanischem Papier überzogen.

Von sinnlicher Materialität zeigte sich ebenso die Arbeit der Londoner Stylistin und Designerin Faye Toogood, die ihre Kollektion Delicate Interference in Zusammenarbeit mit dem Auktionshaus Phillips de Pury in der Galerie Claridge‘s präsentierte. Wurde ihr Schmuckhalter Alter Piece aus Stahl, patinierter Bronze sowie in Regenbogenfarben changierendem Glas gefertigt, kam im Inneren des Objekts Trapped Sphere Oil tatsächlich pechschwarzes Öl zum Einsatz. Dieses wurde in eine Kugel aus Glas gefüllt und anschließend von einem Würfel aus transparentem Harz verschlossen. Die hohe Viskosität des Öls führt dabei zu einem besonderen Effekt: Wird der Würfel auf den Kopf gestellt, fließt das Öl nicht abrupt herunter, sondern benötigt mehr als eine ganze Woche, um diesen Weg hinter sich zu bringen. Das Material mit dem schmuddeligen Image dient auf diese Weise als Indikator einer unerwarteten Entschleunigung, deren Ausgang durch die Veränderung der Fließrichtung stets aufs Neue bestimmt werden kann.

Minimalistische Eingriffe

Eine direkten Auftrag des London Design Festivals erhielt David Chipperfield, der auf dem unwirtlichen Vorplatz der Royal Festival Hall am Südufer der Themse einen temporären Pavillon realisierte. In starkem Kontrast zur Formensprache des plumpen Siebziger-Jahre-Baus sowie der benachbarten Hayward Gallery und ihrer kaum weniger brutalistischen Architektur konzipierte der Brite eine filigrane Aneinanderreihung gläserner Scheiben. Zusammengesetzt in Sandwich-Bauweise wurde jeweils zwischen zwei Scheiben mit Kupfer und Aluminium bedampfte Stoffe eingesetzt, die der Härte des Glases eine weiche, sinnliche Textur gegenüberstellen. Die Scheiben, die in einem Abstand von rund einem Meter gereiht wurden, erzeugten in ihrer Überlagerung einen spannenden Raum, der nicht nur von Kindern genutzt wurde, um sich ihn ihnen zu verstecken oder mit Skateboards hindurchzubalancieren.

Platzierte Amanda Levete in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren von Arup eine filigrane Spirale aus gebogenem Eichenholz vor dem Eingang des Victoria & Albert Museums, die sich dynamisch aus dem Gebäude in den Stadtraum hinaus bohrte, schuf John Pawson einen Raum von andächtiger Stille. In Kooperation mit Swarovski Crystal Palace installierte er im südwestlichen Treppenhaus der St. Paul‘s Cathedral eine großformatige Kristalllinse auf einem verspiegelten, halbkugelförmigen Sockel. Eine weitere Linse an der Decke des Treppenhauses steigert den Effekt und spiegelt den spiralförmigen Treppenaufgang ins Unendliche.

Das Museum als Lounge

Einen Dialog zwischen Gegenwart und Vergangenheit suchten unterdessen auch Ronan & Erwan Bouroullec in einer Zusammenarbeit mit dem Stoffhersteller Kvadrat. Inmitten der Raphael-Galerie des Victoria & Albert Museums platzierten sie ein textiles Feld von 30 Metern Länge und acht Metern Breite, auf dem die Besucher verweilen, sich hinlegen oder einfach miteinander plaudern können. Für Abwechslung sorgt eine farblicher Verlauf, der zwischen einem dunklem Blauton auf der westlichen Seite des Raums zu einem satten Grasgrün auf der gegenüberliegenden Seite changiert. Die Besucher sind damit vor die Wahl gestellt, ob sie die sieben großformatigen Bilderteppiche des Renaissance-Meisters von einem textilen Rasen oder flauschigem Meer betrachten wollen. Design kann mitunter ganz schön entspannend sein.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

London Design Festival

www.londondesignfestival.com

London Design Festival 2010

Smarte Archaik

www.designlines.de

Mehr Stories

Neue Trends im Design

Die Gewinner*innen der ICONIC AWARDS 2023: Innovative Interior

Die Gewinner*innen der ICONIC AWARDS 2023: Innovative Interior

Die neue Opulenz

Extravagante Textilien und Teppiche

Extravagante Textilien und Teppiche

Auf Tuchfühlung

Unterwegs auf dem Münchner Stoff Frühling 2023

Unterwegs auf dem Münchner Stoff Frühling 2023

Japanische Spuren

Glamora stellt die Madama Butterfly Collection vor

Glamora stellt die Madama Butterfly Collection vor

Wahre Raumwunder

Im Buch Small Houses kommen kleine Häuser groß raus

Im Buch Small Houses kommen kleine Häuser groß raus

Knautsch & Kiesel

Die Möbelneuheiten vom Salone del Mobile 2023

Die Möbelneuheiten vom Salone del Mobile 2023

Milan Design Week 2023

Ein Streifzug durch die Fuorisalone-Landschaft

Ein Streifzug durch die Fuorisalone-Landschaft

Der Stoff, aus dem die Träume sind

Camilla D. Fischbacher verwandelt Meeresplastik in Textilien

Camilla D. Fischbacher verwandelt Meeresplastik in Textilien

Licht im Dschungel

Wie Foscarini die Natur in seinen Mailänder Showroom holt

Wie Foscarini die Natur in seinen Mailänder Showroom holt

Wohnlicher Dreiklang

COR feiert das 50-jährige Jubiläum seiner Polsterkollektion Trio

COR feiert das 50-jährige Jubiläum seiner Polsterkollektion Trio

Aus Alt mach Neu

GROHE ist Teil der Revitalisierungs-Bewegung

GROHE ist Teil der Revitalisierungs-Bewegung

Willkommen Zu Hause

Garderoben und Einrichtungslösungen für das Entree

Garderoben und Einrichtungslösungen für das Entree

Gestaltungsvielfalt in neuen Tönen

Kollektions-Relaunch bei Project Floors

Kollektions-Relaunch bei Project Floors

Best-of Outdoor 2023

Neue Möbel für Garten und Terrasse

Neue Möbel für Garten und Terrasse

Komfort unter freiem Himmel

Neue Outdoormöbeltrends vom italienischen Hersteller Fast

Neue Outdoormöbeltrends vom italienischen Hersteller Fast

Best-of Tableware 2023

Neuheiten für den gedeckten Tisch & Branchentrends

Neuheiten für den gedeckten Tisch & Branchentrends

Starkes Schweden

Neues von der Stockholm Design Week 2023

Neues von der Stockholm Design Week 2023

Der Pilz-Visionär

Ausstellung über Angelo Mangiarotti in der Mailänder Triennale

Ausstellung über Angelo Mangiarotti in der Mailänder Triennale

Made in Lebanon

Die Beiruter Kreativszene zwei Jahre nach der großen Explosion

Die Beiruter Kreativszene zwei Jahre nach der großen Explosion

Ein Möbel für alle Fälle

Nachhaltige Systemmöbel von Noah Living

Nachhaltige Systemmöbel von Noah Living

Magie und Frieden

Die Neuheiten der Maison & Objet und Déco Off in Paris 2023

Die Neuheiten der Maison & Objet und Déco Off in Paris 2023

Raus aus dem Möbeldepot

Mobile Einrichtungslösung aus alten Abfalleimern setzt auf Upcycling

Mobile Einrichtungslösung aus alten Abfalleimern setzt auf Upcycling

Adaptives Multitalent

Das Gira System 55 wird 25

Das Gira System 55 wird 25

In den Kreislauf gebracht

JUNG erarbeitet sich Cradle to Cradle-Zertifizierung für komplexes Produktsortiment

JUNG erarbeitet sich Cradle to Cradle-Zertifizierung für komplexes Produktsortiment

Blick nach vorn

Neues von der Sammlermesse Design Miami 2022

Neues von der Sammlermesse Design Miami 2022

Wie aus einem Guss

Systemdesign à la Gira

Systemdesign à la Gira

Born in Beirut

Fünf Designpositionen aus dem Libanon

Fünf Designpositionen aus dem Libanon

Best-of Fliesen 2022

Dekorative Neuheiten für Wand und Boden

Dekorative Neuheiten für Wand und Boden

Das einfach intelligente Zuhause

Per Plug-and-play zum Smarthome mit JUNG

Per Plug-and-play zum Smarthome mit JUNG

Farbenfrohe Nachhaltigkeit

Bolon präsentiert seine erweiterten Kollektionen Artisan und Botanic in Berlin

Bolon präsentiert seine erweiterten Kollektionen Artisan und Botanic in Berlin