Stockholm Furniture Fair 2013 – Weiter im Ensemble
Die Stockholmer Möbelmesse ist zwar klein, aber dafür überaus ergiebig. Während Möbelhersteller aus halb Europa derzeit mit skandinavisch angehauchten Kreationen zu punkten versuchen, kontern die Aussteller in Stockholm mit Authentizität. Die Trends in diesem Jahr: Holz wird in immer filigraneren Formen interpretiert, während weich geschwungene Polstermöbel wieder Mut zum Muster beweisen.
Skandinavien ist ein gelebtes Klischee. Auch die Stockholmer Möbelmesse bemüht sich erst gar nicht, den gesetzten Erwartungen entgegenzutreten. Im Gegenteil: Der Parcours durch Halle A, wo sich die designaffinen Unternehmen aus Dänemark, Schweden und Finnland dicht aneinanderreihen, gleicht einer Leistungsschau in puncto Holz. Dennoch wird hier nicht grob geklotzt, sondern vielmehr fein gedrechselt. Oder anders gesagt: Die Möbel genügen sich nicht darin, mit ihrer natürlichen Materialität zu überzeugen. Es ist die Form, mit der sie ihrer Beschaffenheit einen Sinn verleihen und das vermeintlich Altbekannte auf spielerische Weise neu erkunden.
Raffinesse in Holz
„Es dreht sich alles um Ausgewogenheit, Distanz und Proportion“, sagt er finnisch-schwedische Designer Sami Kallio über die Wahrnehmung der Dinge in ihrer häuslichen Umgebung. Möbel sind keine Raumschiffe, sondern Teil eines gewachsenen Ensembles. Der Stuhl In Between, den Kallio für den dänischen Möbelhersteller &tradition entworfen hat, erzeugt einen bewussten Bruch zwischen seiner industriellen Herstellung und der handwerklichen Erscheinung. Die gebogene Armlehne wird von drei Paneelen gestützt, die Blickachsen durch das Möbel hindurch erlauben. Anstatt den Anschein eines organischen Ganzen zu vermitteln, werden die einzelnen Bauteile als solche inszeniert und bilden dennoch ein stimmiges Ensemble.
Wie Holz geradezu textile Anmutungen erhalten kann, führt Oki Sato alias Nendo vor Augen. Mit seinem Stuhl Cape für Offecct brachte der viel beschäftige Tokioer das Prinzip eines kompakten Sandwichs ins Spiel. Auf einem schlanken Metallrahmen platzierte er eine Sitzschale aus dreidimensional verformtem Sperrholz, während eine weitere Schale den Rücken verdeckt. Das Möbel bringt somit zwei Gegensätze in Einklang: Es macht sich die formalen Freiheiten eines Kunststoffmöbels zunutze und schwimmt gleichzeitig im verkaufssicheren Fahrwasser natürlicher Materialien mit. Der japanische Designer inszenierte zudem als Guest of honor die Installation 80 Sheets of Mountains im Eingangsbereich der Messe, bei der er Drähte zu einer mäandernden Sitzlandschaft auf weißem Grund verformen ließ.
Spielerisches Licht
Hatten die Aussteller der Kölner Möbelmesse imm cologne verstärkt auf den Einsatz von Pastellfarben gesetzt, überwogen in Stockholm nach wie vor natürlich belassene Holzoberflächen. Akzente zu setzten, wird nach skandinavischer Tradition nur drei Arten von Objekten zugestanden: Leuchten, Vasen und Stoffen. Ganz in diesem Sinne agierte das Stockholmer Architekten- und Designertrio Claesson Koivisto Rune mit seiner Pendelleuchte w131 für Wästberg. Deren Schirm aus sandgestrahltem, recyceltem Aluminium gibt es in neun verschiedenen Farben. Während auf der metallischen Hülle leichte Unebenheiten erkennbar sind, erzeugt das mit Stoff bespannte Kabel (dessen Farbe mit der des Leuchtenschirms korrespondiert) einen ebenso weichen wie sinnlichen Akzent. Die Intention des Produkts liegt im Plural. Wirkt eine einzelne Leuchte stets ein wenig verloren, erzeugt eine Gruppe von drei, fünf oder sieben Exemplaren einen spielerischen Schwerpunkt im Raum.
Als Hingucker entpuppt sich auch der Bezugsstoff Chromatic, den Claesson Koivisto Rune für Väveriet entworfen haben. Dessen Besonderheit ist ein doppelter Verlauf zwischen jeweils zwei verschiedenen Farben. Die Idee dahinter: An Nähten oder Übergängen zwischen einzelnen Polsterelementen soll nicht die identische Farbe weitergeführt, sondern mit bewussten Unterbrechungen der Verläufe die grafische Wirkung von Sesseln und Sofas betont werden. In Bewegung geraten Polstermöbel an ihren Konturen. Anstelle einer strengen kubischen Erscheinung traten in Stockholm weiche, fließende Formen, die sich wie übergroße Kissen um den Benutzer schmiegen. Die Sofa- und Sesselserie Mega, die Chris Martin für das von ihm gegründete Möbellabel Massproduction entworfen hat, setzt in bester Le-Corbusier-Manier auf einen außenliegenden Stahlrahmen. Doch auch dieser Anflug von Strenge wird durch einen leichten Kurvenschlag gebrochen.
Satelliten in der Stadt
Wie spannungsvoll die Gegenüberstellung von zeitgenössischen Möbeln mit prunkvollen, historischen Räumen sein kann, hat der Kurator Beppe Finessi bereits 2009 mit seiner Ausstellung Ospiti Inaspettati in Mailand gezeigt – ein Konzept, das auf dem Salone del Mobile 2012 in vollen Zügen ausgekostet wurde. Auch in Stockholm ließ man sich nicht lange bitten und öffnete bereits zum zweiten Mal in Folge das Hallwyl Museum. Was sich dahinter verbirgt, ist ein 1898 fertig gestelltes Stadthaus einer großbürgerlichen Familie, dessen gesamtes Interieur im Originalzustand erhalten geblieben ist und seit den 1920er Jahren als Museum besichtigt werden kann.
In diesen Räumen zeigte die Designgaleristin Pascale Cottard Olsson eine Einzelausstelung des schwedischen Designers Jens Fager, dessen Arbeit Assises sich drei verschiedenen Typologien widmete: dem Stuhl, dem Sessel sowie der Bank, die jeweils für einen speziellen Raum des Hauses angefertigt worden waren. Wurde der Stuhl mit seinen auskragenden Armlehnen an einer gedeckten Tafel platziert, lud der geräumige Sessel vor dem Kamin zum Sinnieren ein. Im Wohnzimmer gruppierte der 1979 geborene Designer schließlich eine Bank mit einem passenden Stuhl, die sich vor dem Schlund eines riesigen Kamins auf ihre filigranen Konturen reduzierten.
Staubwedel in Roboterhand
Gab Jens Fager zu, beim Entwerfen seinen Vorbildern Vico Magistretti und Børge Mogensen über die Schulter geschaut zu haben, setzte sich der Londoner Designer Michael Anastassiades mit dem Werk von Josef Frank auseinander. Gezeigt wurde die Schau To be perfectly Frank am passenden Ort: im Erdgeschoss des Einrichtungsgeschäftes Svenskt Tenn, für das Josef Frank in den dreißiger Jahren als Designer arbeitete, und das bis heute zahlreich Stoff- und Möbelentwürfe des österreichisch-schwedischen Gestalters im Programm führt. Die Hommage an den Meister versteht Anastassiades als Dialog, für den einige Klassiker in schlankeren Proportionen neu interpretiert wurden. Wie etwa einen Schrank in Gestalt eines übergroßen Vogelkäfigs oder eine Tischgruppe aus Walnuss, deren organisch geformte Tischplatten als Gruppe ein Archipel im Wohnzimmer bilden.
Den atmosphärischsten Raum dieser Messe hat zweifelsohne die Ausstellung Glass Elephant bespielt. In einem Bergstollen, der einst unterhalb der Skeppsholmen-Kirche in den Fels getrieben worden war, gab es zwar keine Dickhäuter zu sehen. Dafür sorgten kaum weniger schwergewichtige Industrieroboter für einen wohlkalkulierten Kontrast zu den Glasarbeiten von neun schwedischen Designern. Dabei bewegten sich die Maschinen keineswegs wie Elefanten im Porzellanladen, sondern näherten sich mit geschmeidiger Präzision den fragilen Exponaten an. Wurden die Glastische von Chris Martin von einem mit Saugnäpfen ausgestatteten Roboter immer wieder neu gestapelt, rückte ein anderer Roboter den Vasen von Ann Wåhlstöm mit dem Staubwedel zu Leibe. Design, so der Tenor dieser Schau, darf nicht nur in andere Welten entführen. Es sollte sich auch selbst nicht immer allzu ernst nehmen.
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