Vom Château zum Minimal
Überall dort, wo Wein angebaut und verarbeitet wird, gibt es auch ein Haus. Die Architektur dieses Hauses fällt mal mehr, mal weniger gelungen aus. Wurden in vergangenen Jahrhunderten schlossähnliche Anlagen mit theatralischer Inszenierung wie in Bordeaux, an der Loire oder im Burgund gebaut, entstehen auch heute architektonisch ambitionierte Projekte. Dort wird Wein gekeltert, verkostet und verkauft. Die Entdeckung der Architektur zur Verkaufsförderung von Produkten hat – wen wundert es? – auch vor der Wein-Herstellung keinen Halt gemacht. Und so haben sich namhafte Architekten wie Herzog de Meuron, Zaha Hadid, Frank Gehry, Ricardo Bofill oder Santiago Calatrava an die Arbeit gemacht und mit ihren Wein-Architekturen mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Von diesen Stars soll hier jedoch weniger die Rede sein, denn Designlines hat sich auf die Reise begeben und ist in Deutschland und Österreich auf einige (versteckte) Architekturjuwelen gestoßen.
Erweckt aus dem Dornröschenschlaf
Eines ist klar: Wein ist eine sinnliche Erfahrung, Wein ist Genuss. Doch in marktwirtschaftlich diffizilen Zeiten reicht ein gutes Produkt allein längst nicht mehr aus, um die Sehnsucht des Kunden nach perfekt inszenierten Erlebnissen zu befriedigen. Architektur und Design sind deshalb mehr als ein nettes Surplus – sie werden zum Überlebensfaktor. Denn der anspruchsvolle Kunde von heute möchte mit allen Sinnen genießen. Das ist nicht nur in der Automobil- und Modeindustrie so – auch beim Weinanbau und -verkauf. Und ist der Wein samt Kellertechnik auf den aktuellen Stand gebracht und damit die Qualität des Produkts gesichert, kann oder muss der nächste Schritt erfolgen: die Investition des Weinunternehmers in ein angemessenes architektonisches Umfeld mit ansprechendem Interieur. Und so entstehen allenthalben ambitionierte Neu-, Um- und Anbauten. Während in Deutschland der verkaufsfördernde Aspekt von guter Architektur und gutem Design im Weinbaugewerbe erst langsam entdeckt wird, ist man in Spanien, den USA und unserem Nachbarland Österreich schon einen Schritt weiter.
Meilenweit voraus im Alpenland
Insbesondere im Burgenland – der EU-Förderung für das ehemals wirtschaftlich schwach entwickelte Bundesland sei Dank – sind in den letzten Jahren zahlreiche Gebäude für den Weinbau entstanden, die sich durch eine hohe gestalterische Qualität hervortun. Dabei müssen Architekten und Bauherren eine Balance zwischen traditionellen Bauformen und avantgardistischer Architektur finden. Denn zuweilen kommt es zu Proteststürmen innerhalb der ortsansässigen Bevölkerung, wenn beispielsweise ein Gebäude in der heimatlichen Idylle zu gewagt erscheint. Kein Wunder, wirken insbesondere die kubischen Bauten auf ungeschulte und konservative Augen doch manchmal wie Fremdkörper in den sanften Hügellandschaften.
Das Weingut Hillinger des Architekturbüros Gerner Gerner plus beispielsweise ist so ein minimalistischer Glas-Beton-Bau, der durchaus zum Aufreger taugen könnte. Gelegen auf einer burgenländischen Anhöhe mit herrlichem Ausblick, werden hier jährlich 800.000 Flaschen Wein abgefüllt. Und auch das Weingut Loimer in Niederösterreich traut sich was: Ganz in Schwarz sind die zwei Gebäudequader gestaltet. Während einer halb im Weinberg vergraben ist, öffnen die großen Fenster des Verkostungsraums den Blick in den Innenhof. Dieser antwortet in seiner geometrischen Gestaltung mit einer von Betonplatten eingefassten Rasenfläche auf die Strenge der Architektur. Weit weniger eckt hingegen ein anderer Neubau an: das Weinwerk des Architekturbüros Hofmann, Keicher, Ring nahe Würzburg. Hier vereinen sich Tradition und Innovation auf’s Schönste, was der Fassade aus grünem Glas mit einer Verkleidung aus vertikal angeordneten Eichenholzbalken geschuldet ist. Im Innenraum werden auf 300 Quadratmetern Grundfläche die auf dem Gut produzierten Weine verkostet und verkauft. Übrigens: Bereits in den zwanziger Jahren gab es Bauherren, die architektonisch einiges wagten: Das Weingut der Familie Kreutzenberger im pfälzischen Kindenheim ist so ein Fall. Hier baute der Architekt Marcel Prott ein weißes kubisches Gebäude ganz in Bauhaus-Manier.
Traubenverarbeitung im freien Fall
Aber nicht nur marketingtechnische Überlegungen, sondern vor allem auch neue Herstellungsstandards wie Stahltanks oder die klimatisch kontrollierte Gärung verlangen nach neuen Räumen. Architektur für die Herstellung von Weinen ist demnach stark abhängig von den sich verändernden Produktionsabläufen. Wie abhängig, zeigt sich am Beispiel des Weinguts Heinrich in der österreichischen Weingemeinde Gols: Der Architekt Werner Schüttmayr hat die Weinproduktion neun Meter tief in die Erde verlegt. An den drei, übereinander geschachtelten Sichtbeton-Etagen zeichnet sich der Herstellungsprozess des Weins ab: oben findet die Trauben-Anlieferung statt, darauf folgen die Sortierung und die Abbeermaschine, auf der nächsten Ebene die Gärtanks mit der Maische, von denen aus der Wein dann direkt in die Barrique-Fässer des um eine Ebene tiefer gelegenen Weinkellers fließt.
Retrolook im Verkostungsraum
Ist das Produkt in Flaschen abgefüllt, muss es an den Mann gebracht werden. Und was könnte schöner sein, als den Wein gleich an seinem Herstellungsort zu verkosten. Während man auf dem südafrikanischen Weingut Waterkloof von der Verkostungslounge durch raumhohe Glasfenster direkt auf die Weinfässer schauen kann, hat man auf dem 150 Jahre alten Weingut Julius in Gundheim bei Worms, zu dem insgesamt 19 Hektar Weinberge gehören, eine andere Lösung bevorzugt: Hier wurde ein an das Weingut angrenzendes Feuerwehrgerätehaus zum Verkostungsraum umgebaut – und prompt mit dem „Architekturpreis Wein 2010“ belohnt. Das Architekturbüro raum & architektur hat dazu eine alte Bruchsteinmauer in den Raum integriert. Dieser wird durch verschiedene kreisförmige Elemente bestimmt: runde Beleuchtungsmulden in der Decke und in der Wandverkleidung zur Straße hin sowie kreisförmige Nischen. Darin sind die ökologisch angebauten Weinkreationen des Weinguts ausgestellt und warten auf den genussfreudigen Käufer.
Übrigens gibt es sogar Weingüter, in denen man sich stilvoll betten kann. Die Weinwelt Loisium im österreichischen Langenlois beispielsweise wartet mit einem gestalterischen Bonbon – oder sollte man besser sagen einer gestalterischen Auslese? – auf: Denn der New Yorker Architekt Steven Holl baute hier ein Hotel. Gar keine schlechte Idee, insbesondere wenn man von dem köstlichen Grünen Veltliner am Abend zuvor nicht genug bekommen konnte.
Buchtipp:
Architekturzentrum Wien (Hrsg.):
Weinarchitektur – Vom Keller zum Kult
Ostfildern (Hatje Cantz) 2008 (3. Auflage)
224 Seiten, 228 farbige Abbildungen
ISBN 978-3-7757-2195-0
29,80 Euro
Links
Die Vinothek für Entdecker
www.designlines.deWeinverkostung in der Holzbox
www.designlines.deWeingut Krispel
www.krispel.atWeingut Loimer
www.loimer.atWeingut Leo Hillinger
www.leo-hillinger.comReifekeller Arachon
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www.loisium.atWeingut Kreutzenberger
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