Was gibt es nicht alles an Gold, was in Wahrheit gar nicht gülden glänzt: schwarzes Gold, grünes Gold und rotes Gold. Der Werkstoff Porzellan wurde jahrhundertelang als „weißes Gold" bezeichnet. Wohl deshalb heißt eine Ausstellung, die derzeit im Zürcher Museum Bellerive gezeigt wird, genauso. Hier sind sie zu sehen die Preziosen der Porzellankunst. Und nicht nur Liebhaber alter Porzellane mit großen Namen kommen am Zürichsee auf ihre Kosten – nein, es gibt auch ein Nilpferd in einer Schale von Hella Jongerius oder skurril-schauerliche Skulpturengruppen von Barnaby Barford zu bestaunen.
Die Ausstellung zeigt, welche Vielfalt der Werkstoff Porzellan ermöglicht: Da gibt es gefaltete Objekte wie die des zeitgenössischen Schweizer Keramikers Andreas Steinemann, eine üppige Kaffeekanne aus der Mitte des 19. Jahrhunderts aus der berühmten ungarischen Porzellanmanufaktur Herend oder ein schlichtes weißes Service aus den 1950er Jahren, das Ursula Klasmann für die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten entwarf. Veritable Kunstwerke werden in der Schau neben Gebrauchsporzellan – wie es der ein oder andere Besucher vielleicht zuhause im Schrank stehen hat – präsentiert. Porzellan eignet sich durch seine Härte und Isolierqualitäten nicht nur für den gedeckten Tisch, sondern kommt auch in der Industrie und Medizin zum Einsatz. Im 19. Jahrhundert findet Porzellan dann auch Einzug in die bürgerlichen Haushalte, nachdem der wertvolle Werkstoff ehemals nur den Fürstenhöfen vorbehalten gewesen war.
Von der höfischen Preziose zum Massenartikel
Denn aktuelle Forschungen haben ergeben, dass Porzellan bereits 1300 v. Chr. in China gebrannt wurde. Allerdings brachte Marco Polo erst im Jahr 1295 einige Stücke nach Europa. Und hier galt es lange als große Kostbarkeit, was seinen Beinamen „weißes Gold“ erklärt. An europäischen Fürstenhöfen wurde Porzellan eifrig gesammelt. August dem Starken verdankt das Grüne Gewölbe in Dresden beispielsweise die Entstehung einer 20.000 Stücke umfassenden, immens wertvollen Porzellansammlung, die von Zeugnissen der chinesischen Ming-Periode bis hin zu japanischen Imari- und Kakiemon-Porzellanen des frühen 17. und 18. Jahrhunderts und zum Meißner Porzellan reicht. Meißen gilt übrigens in Europa als der Hersteller, dem es als erstes gelang, Porzellan zu produzieren. Im 19. Jahrhundert hatten Porzellanmanufakturen wie Meißen, Nymphenburg oder Herend dann ihre erste Hochblüte: Nun hielt der Werkstoff auch Einzug in die bürgerliche Wohnstube.
Porzellan ist auch heute wieder
en vogue, trotz oder gerade weil uns der chinesische Markt mit billiger, seelenloser Massenware überflutet oder namhafte Porzellanhersteller wie
Rosenthal in letzter Zeit eher durch Negativschlagzeilen von sich reden machten. Trotzdem drängten sich auf dem diesjährigen Hoffest der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin wieder die Besucher und spazierten mit prallgefüllten Tüten davon, obwohl von Schnäppchenpreisen nun wirklich nicht die Rede sein konnte. Dass es beim Porzellan-Shopping nicht nur um Designklassiker wie dem Service
„Urbino“ von Trude Petri (1931) geht, beweisen viele zeitgenössische Designer. Sie werden von den Porzellanmanufakturen beauftragt und wagen sich – oft auch mit betont künstlerischem Anspruch – an Kreationen mit dem Werkstoff, der vor allem durch seine feine und transparente Anmutung besticht.
Von Schnecken, Vögeln, Hasen und anderem Getier
So hat die niederländische Designerin
Hella Jongerius nicht nur die Vasenserie „Jonsberg“ aus Steinzeug und Feldspatporzellan für die „PS Kollektion“ des schwedischen Möbelriesen
IKEA entworfen, sondern auch für die altehrwürdige Porzellanmanufaktur
Nymphenburg ihre Kreativität unter Beweis gestellt. Neben dem opulenten Set „Vier Jahreszeiten“ und dem Service „Nymphenburger Skizzen“ entstand auch eine „Tierschale mit Nilpferd“, die in der Zürcher Ausstellung gezeigt wird. Dabei hatte die Designerin die Qual der Wahl: Jongerius wählte fünf von siebenhundert Tierfiguren aus dem Formenarchiv der Manufaktur aus und platzierte sie in weißen Schalen. Die naturalistisch bemalten Schnecken, Vögel, Nilpferde, Rehe und Hasen wurden jeweils mit einem zweiten Muster aus dem Dekor-Repertoire von Nymphenburg ergänzt – ganz gleich, ob es sich ursprünglich um die Bemalung einer Suppenterrine oder das Federkleid eines Perlhuhns handelte. Und so ist der Körper des Nilpferds bei Hella Jongerius von einem handbemaltem türkisfarbigen Blütenteppich überzogen.
Die Kuratorinnen der Zürcher Ausstellung, Eva Ahfus und Therese Müller, haben aber auch Porzellane ausgewählt, die nicht nur dem elitären Geschmack entsprechen, sondern durchaus massentauglich sind, ohne dabei ins Banale abzudriften. So wird beispielsweise der löchrige, schneeweiß glasierte
Papierkorb aus Porzellan in den Museumsregalen präsentiert, den
Konstantin Grcic 1999 für Nymphenburg erdacht hat. Und ein Speiseservice von Ursula Klasmann aus dem Jahr 1950 macht Lust auf mehr: Die Entwerferin hatte es für die Wiener Porzellanmanufaktur Augarten geschaffen, für die sie dreißig Jahre lang als künstlerische Beraterin tätig war. Zwar ist es heute nicht mehr im Programm erhältlich, jedoch in Form und Farbe (weiß mit Platinrand) durchaus auf der Höhe der Zeit.
Störung der Heimeligkeit
Ebenfalls auf der Höhe der Zeit – nur in eine ganz andere Richtung verweisend – sind die Kreationen des britischen Künstlers Barnaby Barford. Dass der Engländer an sich exzentrisch ist, glaubt man bei Anblick seiner Figurengruppen sofort. Gekonnt spielt er mit den Erwartungen und geschulten Augen des (altmodisch-konservativen) Porzellanliebhabers und tut nichts lieber als diese zu brechen. Und dabei kann es schon einmal brutal zugehen: Die Skulptur „Ring-a-Ring-a-Roses“ steht zwar in Zusammenhang mit einem Kinderlied, zeigt aber ganz unidyllisch – umgeben von einem Kranz aus Porzellanrosen – tanzende weibliche Figuren mit Pistolen in den Händen. Da mutet eine andere Porzellan-Szenerie des Briten doch geradezu heimelig an, zumindest auf den raschen Blick: „Family Feast“ zeigt nicht etwa ein gediegenes Familienfest à la
happy family – nein, hier werden die hungrigen Mäuler mit amerikanischen Fastfood gestopft.
Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung „Weißes Gold“ im Museum Bellerive:
Donnerstag, 17. September 2009, 18.30 Uhr
Porzellan – Zerbrechliche Utopien
Susanne Schneemann, Kunsthistorikerin, Bern
Donnerstag, 24. September 2009, 18.30 Uhr
Alles bleibt immer wieder neu – Porzellan im Wandel von Design, Lifestyle und Marketing
Franziska Kessler, Creative und Design Consultant , Zürich
Donnerstag, 22. Oktober 2009, 18.30 Uhr
Aufbruch in die Moderne
Petra Werner, Kuratorin, Porzellanikon Hohenberg, Deutsches Porzellan-Museum
„Weißes Gold“
Museum Bellerive
Höschgasse 3, Zürich
Noch bis zum 25. Oktober 2009