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Grenzen verschieben

Die niederländische Designerin Sabine Marcelis im Gespräch

Mit einfachen und klaren Formen gestaltet Sabine Marcelis faszinierende Objekte, deren Materialeigenschaften in den Vordergrund treten. Für ihre Entwürfe greift die niederländische Designerin Phänomene aus der Natur auf und lotet die Möglichkeiten des Zusammenspiels von Farbe, Licht und Material aus. Im Interview spricht die 36-Jährige über ihre Zusammenarbeit mit dem Vitra Design Museum, ihre Faszination für Glas und Gießharz und über ihren schlimmsten Albtraum.

von Katharina Horstmann, 29.06.2022

Ob minimalistische Wandleuchten für Ikea, skulpturale Wasserbrunnen für Fendi oder ein monolithischer Block als Badezimmermöbel für ein privates Wohnhaus: Die Projekte von Sabine Marcelis könnten nicht unterschiedlicher sein und zeigen in ihrer Wahl ikonisch anmutender Formen und gegenwartsbewusster Farbgebungen eine unverkennbare Handschrift. Aufgewachsen in Neuseeland, studierte die niederländische Designerin zunächst Industriedesign an der Victoria University of Wellington und setzte anschließend ihr Studium an der Design Academy Eindhoven fort, das sie 2011 abschloss. Seitdem betreibt sie ihr eigenes Studio in Rotterdam mit einem mittlerweile sechsköpfigen Team und zählt heute zu den gefragtesten Designerinnen.

Für das Schaudepot, in dem die Sammlung des Vitra Design Museums präsentiert wird, haben Sie rund 400 Objekte nach Farben arrangiert. Wie kam es zu diesem Projekt?
Ich erhielt einen Anruf von Mateo Kries, dem Direktor des Museums. Er fragte mich, ob ich Interesse hätte, die Präsentation der Sammlung neu zu gestalten. Dann haben wir eine Art Brainstorming gemacht. Da Farbe in meiner Arbeit eine große Rolle spielt, kamen wir recht schnell auf die Idee, die Sammlung nach Farben zu präsentieren – als eine einfache, kühne Geste mit großer Wirkung.

Die Sammlung umfasst um die 20.000 Objekte, darunter etwa 7.000 Möbelstücke und über 1.000 Leuchten. Wie haben Sie die Exponate ausgewählt?
Es gibt eine sehr umfangreiche Bilddatenbank aller Objekte. Zunächst haben wir uns die Kollektion über das System angesehen und später noch einmal vor Ort. Wir haben Farbgruppen gebildet und, da es neun Regale im Schaudepot gibt, uns schnell entschieden, eine Farbe pro Regal zu wählen und diese mit farbigen Vorhängen noch etwas zu akzentuieren. Das Ganze haben wir dann angelegt wie ein Farbrad, das in zwei Hälften geteilt und aufgefaltet wurde. Die Entwürfe stammen von vielen verschiedenen Designer*innen, wobei wir auch auf eine Ausgewogenheit zwischen Frauen und Männern und auch auf eine geografische Breite geachtet haben.

Hat sich die Kollektion dadurch auch für Sie anders erschlossen?
Entwürfe nebeneinander zu stellen, ohne etwas anderes als ihre Farbe zu berücksichtigen, ist sehr interessant. Es hebt die Vielfalt der Materialien, die eine ähnliche Tonalität besitzen, hervor. Für diese Präsentation habe ich auch eine Farbstudie angefertigt. Wir haben also nicht nur die Objekte aus der Sammlung verwendet, sondern auch Archivmaterial, wie Farbstudien von Le Corbusier, Verner Panton und Hella Jongerius. In meiner Untersuchung geht es darum, die Wirkung von Farbe anhand eines Materials - in diesem Fall Gießharz – zu zeigen. So kann man wirklich sehen, wie allein die Farbe und die Oberflächenbehandlung einen großen Einfluss darauf haben, wie man ein Material erlebt.

Spielt der bewußte Einsatz von Material in Ihrer Arbeit auch eine große Rolle?
Mich interessieren Materialien und Produktionsprozesse. Vor allem aber, wie Materialien mit Licht oder mit ihrer Umgebung interagieren können. Die Natur ist eine meiner größten Inspirationsquellen. Wenn man sich seiner Umgebung bewußt ist, gibt es so viel zu entdecken, zum Beispiel wie das Sonnenlicht vom Wasser reflektiert wird. Es sind diese kleinen Details, die ich dauerhaft in meiner Arbeit festzuhalten versuche.

Auffällig ist Ihr Einsatz von transparenten Materialien.
Ja, das ist auch der Grund, warum mich die Arbeit mit Glas und Gießharzen so sehr fasziniert. Die beiden Materialien eignen sich hervorragend für die Nachahmung von Wasser oder Himmel. Meine Möbelentwürfe sind in Bezug auf Form und Erscheinung sehr zurückhaltend, sodass ihre Materialität für sich sprechen kann.

An Ihr Studio ist auch eine Werkstatt angeschlossen. Experimentieren Sie viel?
In meinem Team gibt es einen Designer, der sich zu 100 Prozent mit der Erforschung von Werkstoffen beschäftigt. Wir experimentieren ständig, auch mit neuen spannenden, super nachhaltigen Materialien. Und dann gibt es immer Möglichkeiten, diese Experimente in einem Projekt einzusetzen und es zum Beispiel Museums- oder Galerieausstellungen zu zeigen, falls kein konkreter Kundenauftrag vorliegt.

Wie gehen Sie an Projekte heran?
Wenn wir mit einem Projekt beauftragt werden, denken wir zunächst darüber nach, was aufregend und unerwartet sein könnte. Als FENDI uns zum Beispiel bat, Möbel für ihr zehntes Jubiläum bei der Design Miami zu entwerfen, fand ich das nicht interessant und habe mich erst einmal mit der Unternehmensgeschichte auseinandergesetzt. Dort taucht immer wieder das Thema Wasser auf. Wir entwickelten die Idee, anstatt Möbel zehn Brunnen für die zehnjährige Zusammenarbeit mit der Messe zu gestalten.

War FENDI auch bereit, darauf einzugehen?
Ich habe ihnen das Konzept präsentiert, ohne zu wissen, wie man Brunnen überhaupt herstellt. Als sie den Vorschlag angenommen hatten, ging es nur noch darum, einen Weg zu finden, die Idee umzusetzen. Ich habe das große Glück, ein super motiviertes und leidenschaftliches Team hinter mir zu haben, sodass wir einfach loslegen und Projekte zum Laufen bringen können.

Das Projekt zeichnet sich ebenfalls durch eine sehr bewußt gewählte Farbgebung aus…
Ja, das ist ein gutes Beispiel. FENDI ist eine Marke mit einer sehr klaren Markenidentität. Es ging darum, unsere Welten zusammenzubringen, um etwas Neues zu schaffen. Für mich lag es nahe, ihre Farben zu verwenden, aber auf meine spezielle Art.

Sie scheinen seit dieser Arbeit Gefallen an dem Brunnenmotiv gefunden zu haben? Für Ihre Ausstellung im Barcelona-Pavillon haben Sie eine Kollektion entworfen, die auch einen Brunnen aus Glas umfasst.
Ja, das war eine perfekte Gelegenheit, wieder mit Wasser zu spielen. Bei dem Projekt ging es darum, Materialität aus den architektonischen Oberflächen des Gebäudes herauszuholen, wozu auch eine Wasseroberfläche gehörte. Dafür haben wir zwei der größten Glasplatten verwendet, die man biegen kann: dreieinhalb mal eineinhalb Meter. Das Wasser wurde von unten hochgepumpt und zwischen die Scheiben gepresst, sodass es an den Rändern überlief. Aber man konnte nichts von dem System darunter sehen. Es sieht einfach wie ein schwebender Glasbogen aus, der mit Wasser überflutet wird.

Zu den Highlights des diesjährigen Salone del Mobile gehörte die Ausstellung Monumental Wonders, die OMA für den niederländischen Natursteinhersteller SolidNature konzipiert hat und in der ein Badezimmer von Ihnen vorgestellt wurde.
Vor ein paar Jahren habe ich ein Badezimmerensemble aus gelbem Epoxidharz für ein Privathaus in den Niederlanden entworfen, wobei ich die Art des Badezimmers neu durchdacht und ein Badezimmer ohne Wände gestaltet habe. Es ist also ein einziges Objekt, oder eher eine Skulptur, der alle Funktionen innewohnen. In Mailand habe ich eine ähnliche Idee gezeigt, aber anstelle von Harz, das in meinem eigenen Studio hergestellt wurde, handelte es sich um ein neues Design aus leuchtend rosa Onyx, das von SolidNature hergestellt worden ist.

Ihr Repertoire ist sehr vielfältig und erstreckt sich von industriellen Serien über kommissionierte Objekte zu künstlerischen Installationen. Was motiviert sie an einem Projekt?
Ich glaube, ich mag es einfach sehr, verschiedene Dinge zu machen. Es geht immer um die Herausforderung, um etwas, von dem ich nicht weiß, wie ich es machen soll, und darum, es herauszufinden. Außerdem kann die Arbeit an einem Projekt ein anderes Projekt beeinflussen. Es gibt also immer Dinge, die wir entdecken, während wir versuchen zu produzieren.

Was treibt sie an, immer wieder neue Wege zu gehen?
Mein Vater ist Ingenieur. Als ich klein war, hat er uns oft Bilder von Maschinen gezeigt. Das hat bei mir das Gefühl ausgelöst, die Dinge verstehen zu wollen. Ich hoffe, dass ich diese Neugierde nie verlieren werde. Aber mein schlimmster Albtraum wäre, dass ich mich wiederhole. Ich bekomme viele Anfragen von Marken oder Kunden, etwas zu machen, das wir schon einmal gemacht haben. Und das möchte ich vermeiden. Ich möchte immer ein bisschen weiter gehen, etwas Größeres wagen. Die Grenzen verschieben.

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Studio Sabine Marcelis

sabinemarcelis.com

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