Die junge Internationale
Kuratorin Anniina Koivu über die The Lost Graduation Show auf dem Supersalone
Auf dem Supersalone in Mailand zeigt die von Anniina Koivu kuratierte Ausstellung „The Lost Graduation Show“ 170 spannende Abschlussprojekte junger Designer*innen. Wir haben die Leiterin des Theorie-Masterstudiengangs an der ECAL, der Hochschule für Kunst und Design Lausanne über das Konzept der Nachwuchsschau befragt.
„The Lost Graduation Show“ – das ist ein ganz schön dramatischer Titel, denn im Kopf wird schnell aus „Lost Graduation“ eine „Lost Generation“. Für wen also bietet die Ausstellung eine Plattform?
Ein bisschen Provokation ist immer gut für einen Titel. Seit zwei Jahren haben wir keine Abschluss-Ausstellungen der Hochschulen gesehen. Also sind wir es, das Publikum und die Designbranche, die es verpasst haben, innovative Ideen und neue Sichtweisen auf Design zu sehen. Zugleich befinden sich die Absolvent*innen in einer Art Schwebezustand: Voller Energie und frisch von der Hochschule warteten und warten sie darauf, ihr Debüt im internationalen Kontext der Branche zu geben. Aber durch die derzeitige Situation gab es bisher keine Möglichkeiten dazu. Mit dieser Ausstellung möchten wir also junge Designer*innen aus der ganzen Welt auf einer großen Bühne zusammenbringen.
Was können wir von der Ausstellung erwarten?
„The Lost Graduation Show“ begann mit einem Aufruf an allen internationalen Designschulen. Aus den zahlreichen Einsendungen wählten wir etwa 170 Abschlussprojekte aus, an denen 48 Designschulen und 200 junge Designer*innen aus Asien, Süd- und Nordamerika, dem Nahen Osten und Europa beteiligt waren.
Insgesamt bietet die TLGS ein breit gefächertes Bild davon, wo sich junges Design befindet – und wohin es sich entwickelt.
Und wie werden die einzelnen Entwürfe präsentiert?
Präsentiert werden auf dem Supersalone in Mailand physische Prototypen und gut gemachte Mockups. Parallel dazu haben wir eine Online-Show auf Instagram: @thelostgraduationshow. Das Ziel ist es, die Ausstellung und die Arbeiten der Absolvent*innen einem noch größeren Publikum zugänglich zu machen. Wir hoffen, dass die digitale Präsentation auch als Rekrutierungsplattform für alle dienen kann, die direkt mit den jungen Designer*innen in Kontakt treten möchten. Das Ausstellungsdesign stammt von Camille Blin und Anthony Guex, die eine homogene, modulare und gleichzeitig flexible Landschaft aus 9.000 Ytong-Blöcken entworfen haben. Das Material wurde großzügigerweise von Xella gesponsert. Ist die Show zu Ende, werden die Blöcke in ihren ursprünglichen Produktionszyklus zurückkehren.
Was unterscheidet die Ausstellung „The Lost Graduation Show“ vom Salone Satellite?
Zum ersten Mal stehen junge Designer*innen im Mittelpunkt des Supersalone, in den Hallen 2 und 4, und präsentieren ihre Werke neben Herstellern und etablierten Designer*innen! Es ist auch wichtig zu betonen, dass „The Lost Graduation Show“ eine kuratierte Ausstellung ist, die die Werke auf eine gleichberechtigte und neutrale Ebene stellt, damit man sie sehen und verstehen kann. Es handelt sich nicht um eine typische Ausstellung, bei der einzelne Designer*innen oder Schulen ihre Werke selbst bewerben.
Können Sie uns einen kleinen Vorgeschmack geben: Wer ist dabei und was sind Ihre persönlichen Highlights?
Es ist schwierig, seine Favoriten auszuwählen. Ich hoffe, dass die Besucher*innen sich die ausgestellten Werke genau ansehen und sich ihre eigene Meinung darüber bilden, was warum ihr Interesse weckt. Die Vorschläge sind vielfältig. Sie umfassen ein breites Spektrum von Arbeiten aus allen Bereichen des Designs, von Produkt- über Möbel- bis hin zum Beleuchtungsdesign. Die ausgewählten Arbeiten erforschen viele Bereiche. Dazu gehören Materialforschung und nachhaltiges Design, Mobilität, Services und integratives Design, Medizin, Sport und Outdoor-Design. Einige Projekte sind aus den spezifischen, „eingeschlossenen“ Umständen entstanden, die wir erlebt haben. Bei diesen Projekten geht es um Komfort, Heilung oder einfach nur um Verbesserungen in unserem täglichen Leben. In anderen Fällen tüftelten Designer*innen an Lowtech-Fabriken und erfanden die Art der Designproduktion neu. Wieder andere sind auf der Suche nach besseren Gemeinschaftsräumen und denken über öffentliche Räume nach, die die Menschen gemeinsam nutzen können. Allen Vorschlägen gemeinsam aber ist das Bewusstsein, dass mit Materialien sorgfältig und respektvoll umgegangen werden sollte.
Mit was beschäftigten sich die jungen Designer*innen sonst noch in ihren Projekten und Produkten?
In der Ausstellung wird deutlich, dass die neue Generation die Dinge mehr und mehr selbst in die Hand nimmt, alternative Materialien vorschlägt, den Produktionsprozess und den Vertriebszyklus neu erfindet. Und eine wichtige Botschaft zum Schluss: Diese jungen Gestalter*innen haben verstanden, dass Design auch vom Ende her betrachtet werden muss. Was passiert mit einem Gegenstand, wenn seine Lebensdauer zu Ende ist? Konkreter gefragt: Wie können Recyclingprozesse die Herangehensweise bereits zu Beginn eines neuen Projekts beeinflussen?