Menschen

Heilende Räume

Matteo Thun und Antonio Rodriguez im Gespräch

Das Badezimmer ist aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Sinnliche Materialien und warme Farben vertreiben die sterile Kälte. Worauf es bei der Bäderplanung ankommt, erklären uns zwei, die sich auskennen: der Mailänder Architekt Matteo Thun und sein Büropartner und Designchef Antonio Rodriguez. Ein Gespräch über riesige Fliesen, böse Fugen und barrierefreie Raumwunder.

von Norman Kietzmann, 11.05.2022

Welche Rolle spielt das Badezimmer heute?
Antonio Rodriguez: Das Badezimmer ist ein Ort geworden, an dem man sich erholt. Und zwar nicht nur physisch, sondern auch geistig. Darum hat das Bad seine Position im Grundriss verändert. Früher wurde es oft ohne Fenster geplant. Heute wird es dort platziert, wo es am meisten Tageslicht erhält. Das zeigt die Wichtigkeit, die wir dem Badezimmer nun zumessen. Im Hospitality-Bereich ist das Bad zum wichtigsten Raum geworden. An ihm lässt sich der Standard eines Hotels ablesen. Die Zimmer sind häufig ähnlich eingerichtet. Aber die Badezimmer machen den Unterschied.

Wird das Badezimmer größer?
Matteo Thun: Tendenziell reduzieren sich die Quadratmeter eher, als dass die Bäder wachsen. Im Schnitt liegen sie zwischen 3,9 und 4,5 Quadratmetern. Darum ist es wichtig, nicht von Wassertempeln oder Spas zu sprechen, sondern von wirklich kleinen Zimmern. Im Hotel- und Hospitalgeschäft, in dem wir hauptsächlich tätig sind, sollen die Kosten eines fertig ausgestatteten Badezimmers im Durchschnitt zwischen 6.000 und 8.000 Euro liegen. Damit ist der Spielraum minimal.

Worin liegt die größte Herausforderung bei der Umsetzung?
Matteo Thun: Die Logik einer sehr schnellen und einfachen Installation ist entscheidend. Denn der größte Kostentreiber ist die Arbeitsstunde des Installateurs. Um die Einbauzeiten zu reduzieren, ist es wichtig, einfache Grundrisse zu gestalten – zu Ungunsten der Badewanne und zu Gunsten der Dusche. Zu Ungunsten eines Brausekopfs und zu Gunsten einer Handbrause, die man auch als Kopfbrause verwendet. Thermostate, die bis zu 300 Euro kosten, sind nicht notwendig. Dasselbe gilt für Regulative wie den Brühschutz. Allein das Wort bringt mich zur Weißglut. Es besteht keine Gefahr, sich zu verbrühen. Man muss es nur richtig einstellen.

Wie sieht es bei den Fliesen aus?
Matteo Thun: Ich würde ganz plakativ sagen: Die klassische Fliese ist passé. Und zwar nicht aus ästhetischen, sondern aus hygienischen Gründen. Das Problem ist die DIN-Fuge, die nach deutschem Gesetz zwischen 2,0 und 2,5 Millimeter breit sein muss. Sie ist ein Schmutzfänger, um den man nicht umher kommt. Diese DIN-Norm muss dringend revidiert werden.

Worin besteht die Alternative zur Fliese?
Matteo Thun: Fugenlos an der Wand mit einem waschbaren Putz zu arbeiten. Am Boden können verschiedene Harze zum Einsatz kommen. Auch auf eine Stoßleiste am Boden sollte man verzichten, weil sie Schmutzansammlungen generiert und sehr schwer zu säubern ist. In Hotels und Hospitälern geht es wirklich darum, die Putzminuten zu reduzieren. Und natürlich um Hygiene! Fuge null ist das Gebot Nummer eins.

Antonio Rodriguez: Eine Alternative, mit der wir oft arbeiten, sind Fliesen mit Zuschnitten von bis zu drei mal zwei Metern. Durch die neuen Großformate lässt sich eine Wand mit einer Fliese verkleiden, ohne dass es eine Fuge gibt. Sie sind extrem einfach zu reinigen. Auch sind sie resistent gegen die Reinigungsmittel, die gerade im Hotelbereich oft sehr aggressiv sind und bei einer klassischen Verlegung mit kleineren Fliesen die Fugen angreifen. Zusätzlich können wir mit verschiedenen Farben, Mustern und Oberflächen bei der Einrichtung spielen.

Wie wichtig ist der Aspekt der Sinnlichkeit?
Antonio Rodriguez: Absolut wichtig. In einem Raum, in dem man entweder nackt oder leicht bekleidet ist, möchte man sich entspannen können. Und dazu braucht es eine angenehme Umgebung. Wir verwenden nie kalte, sondern immer warme Farben. Auch Holz spielt eine wichtige Rolle. Viele Menschen haben Vorbehalte gegen Holz im Badezimmer. Aber wir schauen auch auf die japanische Tradition, wo Holz immer im Bad Verwendung fand. Dass nun Farbe ins Spiel kommt und nicht mehr alles weiß ist, zeigt sich auch bei den Armaturen. Chrom ist nahezu verschwunden. Wir haben es bei unseren Projekten regelrecht verbannt. Stattdessen verwenden wir Oberflächenbehandlungen in Bronze oder Messing, die sehr viel wärmer sind.

Matteo Thun: Die Pandemie beschleunigt einige Prozesse, die ohnehin schon Thema waren. So ist die „Touch Free“-Idee sehr viel wichtiger geworden. Unsere Kunden im Interiorbereich möchten, dass man ohne Berührung die Armatur, den Seifenspender oder den Handtrockner bedient. Das wollen wir umsetzen.

Wie nutzt man das Badezimmer effizienter aus?
Matteo Thun: Der Waschtisch sollte möglichst viel Ablageplatz haben und idealerweise mindestens 120 Zentimeter breit sein. Auch sollte der Waschtisch komplett aus Keramik bestehen. Also kein Becken zum Aufbau- oder Unterbau. Das Becken sollte in die Keramik integriert sein. Die Belastung sollte unsichtbar in der Wand abgeführt werden. Auch sollte die Armatur nicht aus dem Waschtisch kommen, sondern aus der Wand, beziehungsweise aus einem Spiegelschrank. Damit optimiert man die Ablageflächen. Die Badewanne sollte durch eine begehbare Dusche ersetzt werden, die möglichst keine beweglichen Glasteile hat. Der Spritzschutz sollte fix installiert sein und der Handtuchtrockner in der Wand integriert sein.

Welche Rolle spielt Barrierefreiheit?
Antonio Rodriguez: Im Bereich Barrierefreiheit hat sich enorm viel getan. Wer krank oder behindert ist, möchte sich nicht anders fühlen müssen. Darum ist es wichtig, dass ein barrierefreies Badezimmer wie ein normales Badezimmer aussieht. Das schaffen wir heute ganz gut, weil sich viele Dinge schon in diese Richtung entwickelt haben. Bei der Dusche ist die Duschwanne heute ebenerdig eingelassen, was wiederum einen leichten Zugang erlaubt. Auch ist die Dusche heute ein offener Raum, dessen Größe einer Badewanne entspricht. Das gibt eine ganz neue Qualität und hat enorm geholfen, Barrieren aufzulösen: nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern für alle.

Es geht um Inklusion?
Antonio Rodriguez: Genau. Die Zimmer, die wir für Behinderte einrichten, sind in ihrer Anmutung exakt dieselben wie solche für Nichtbehinderte. Man kann den Unterschied nicht erkennen. Denn all die Dinge, die es braucht, sind in den Wänden verschwunden. Wenn es die Notwendigkeit gibt, benutzt man sie. Wenn nicht, dann verschwinden sie aus dem Blickfeld.

Kann Architektur heilen?
Matteo Thun: Ja, absolut. Wir planen zurzeit drei Privatkliniken und zwei Reha-Kliniken. Wir arbeiten an Gesundheitsstrukturen, von denen wir glauben, dass sie in Zukunft immer mehr in das Hotelgeschäft hinein wandern. Das heißt, es findet eine Verbindung zwischen Hospital und Hospitality statt. Der Patient wird zum Gast und der Gast wird immer mehr als Patient respektiert. Das kann eine Diät sein, die richtige Ernährung oder der Ausblick in die Natur. Ich glaube, dass man sich immer mehr mit Sensorik und Haptik der Oberflächen beschäftigen wird. Aber vor allem auch mit Hygiene.

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Matteo Thun & Partners

www.matteothun.com

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