Design als Klebstoff
Junge Gestaltende sorgen für frischen Wind in Köln – Teil 1

Die Kölner Designszene erfindet sich neu: Junge Talente bringen frischen Wind und innovative Projekte ins Spiel. Mit einer Mischung aus Funktionalität, Experimentierfreude und internationaler Vernetzung trotzen sie der Krise in der Möbelbranche.
Seit 2017 prägt das Format „Generation Köln“ die Newcomer*innen-Szene der Rheinmetropole: Mit Ausstellungen, Möbeln und weiteren Produkten werden die Themen Design, Handwerk und Nachhaltigkeit immer wieder neu diskutiert. In diesem Januar fehlte die Plattform rund um die Gestalter*innen Karoline Fesser, Clemens Grund, Tim Kerp und Thomas Schnur jedoch beim Festival Passagen. „Alle sind mit ihren Jobs beschäftigt. Man geht den eigenen Dingen nach“, so der Industriedesigner Schnur. Die entstandene Lücke füllten neue, vielseitig aufgestellte Talente, die gute Vernetzung – auch mit etablierten Designer*innen, individuelle, entschlossene Positionen und einen frischen internationalen Wind ins Kölner Designgeschehen brachten.
Open-Source-Kosmos
So etwa bei diesem Projekt: Das gemeinsame Interesse an Alltagsgegenständen hat Dustin Jessen vom „Verlag der Dinge“ und Thomas Schnur aktuell zusammengebracht. Entstanden ist ein robuster Kleiderbügel aus Kunststoff-Rezyklat. „Aufgrund von Gewinnmaximierung durch Materialreduktion und so weiter werden Plastikkleiderbügel immer dünner produziert. Deshalb brechen sie schnell, wenn man schwerere Kleidungsstücke aufhängt. Mit RCH, dem Recycled Coat Hanger, wollen wir dagegenhalten“, erklärt Schnur. Idee und Ästhetik mit klarer Linienführung und asymmetrischer Form überzeugen. RCH sei aber weit mehr als eine Produktneuheit: „Es ist ein Projekt mit sehr viel Tiefe, ein ganz eigener Kosmos!“, so Thomas Schnur. Der Kleiderbügel entsteht lokal im Manufakturkontext des „Verlag der Dinge“, einem jungen, in Essen ansässigen Designunternehmen. Dort werden ausgediente Plastikprodukte gesammelt – Monoblock-Stühle, Plastikwannen oder Behältnisse von Pflanzen – und nach Farben sortiert. So ergibt sich auch die Farbpalette für den RCH aus den Produkten, die rezykliert werden. Mit selbst gebauten Maschinen wird das Plastik dann geschreddert, erhitzt und im Spritzgussverfahren in neue Form gebracht. Die Baupläne zu den Maschinen wiederum stammen von „Precious Plastic“. Diese gemeinnützige Plattform aus den Niederlanden entwirft Plastikverarbeitungsmaschinen und stellt die Baupläne dazu nach dem Open-Source-Prinzip im Netz zur Verfügung. Das Ziel: Der weltweite Plastikmüll soll reduziert und das ausgediente Material in Neues umgewandelt werden.
Spezialist für neue Themen
Peter Otto Vosding, der nach seinem Studium in Darmstadt, Köln und dem schwedischen Lund nun sein eigenes Büro für Industriedesign führt, machte zwischenzeitlich Station bei der Designagentur Kaschkasch. Inzwischen entwickelt er Möbel, Leuchten und Konsumgüter für namhafte Marken wie Bolia, Casalis und Tecta. „Wir sind Spezialisten darin, neue Themenfelder schnell zu erfassen und die richtigen Fragen zu stellen. Folglich sind wir nicht auf eine spezielle Produktkategorie oder einen Industriezweig festgelegt“, sagt Peter Otto Vosding. Eine offene Haltung, die ungewöhnliche Ideen hervorbringt. Dazu zählt Logs, ein Spiegel für den dänischen Hersteller Woud, der von skandinavischen Birkenwäldern inspiriert ist: Er besteht aus fünf beziehungsweise drei gleich großen, länglichen Elementen, die unterschiedliche Färbungen aufweisen und nebeneinander gereiht – auch in verschiedenen Höhen – platziert werden. Mithilfe eines speziell entwickelten Montagesystems lassen sich Installation und Neuanordnung so einfach wie möglich gestalten.
Funktional, spielerisch, experimentell
Allgemein scheint es, als ob die Kölner Szene der gegenwärtigen Krise in der Möbelbranche erfolgreich mit Vielseitigkeit und Weltoffenheit trotzt. „Wir wachsen gerade“, erzählt Meike Papenfuss vom Designstudio Budde. „Wir sind breit aufgestellt und arbeiten neben deutschen überwiegend mit internationalen Kunden aus Dänemark, Italien, den Niederlanden und Spanien.“ Die Brandmanagerin Papenfuss und ihr Partner, der Architekt Johannes Budde, haben ihr Büro in der Coronazeit gegründet. Das heißt, es existierte anfänglich vor allem digital. Das Studio Budde nutzte Social Media und andere Onlinemedien gezielt, um Produkte zu präsentieren, Reichweite zu erzielen und ein Netzwerk mit anderen Kreativen aufzubauen. Genau das hat dem Duo ziemlich schnell Aufmerksamkeit auf internationaler Ebene verschafft. Sie sind bei der Galleria Rossana Orlandi in Mailand gelistet, arbeiten mit Mogg, Metallbude, Viefe, We Do Wood oder SolidNature zusammen. „Wir sehen uns nicht als typisch deutsches Designbüro“, erklärt Johannes Budde. „Unsere Arbeiten sind zwar von Funktionalität geprägt, aber gleichzeitig sind sie spielerisch, experimentell. Manchmal polarisieren sie auch, wie etwa das Marmor-Waschbecken Piano für Serafini.“ Es ist quasi ein gesplittetes Waschbecken aus Marmor-Lamellen, das zum Salone del Mobile 2024 in Mailand vorgestellt wurde. Die Idee dazu hatte Johannes Budde bereits vor zehn Jahren während seines Architekturstudiums. Erst jetzt ergab sich die Chance, mit Marmor das geeignete Material für die Umsetzung zu finden.
Nomadisch aufgestellt
Das zweite Standbein des Büros sind Collectibles an der Schnittstelle zur Kunst, wo Budde über den praktischen, kommerziellen Aspekt hinaus Grenzen auslotet. Aktuell bereitet das Duo in Kooperation mit dem aufstrebenden Kölner Teppichkünstler Ferdinando Colosimo (Nando Studio), der kürzlich bereits mit der Modemarke Gant kooperierte, an einem neuen Objekt: einer Verbindung aus Möbel und Teppich. „Wir sind noch auf der Suche nach einer Ausstellungsmöglichkeit während der Milan Design Week im April“, so Johannes Budde. Das lässt sich sicher umsetzen, denn derzeit ist Budde für ein paar Monate von Köln nach Mailand gezogen. „Wir sind mittlerweile nomadisch aufgestellt, sodass wir jederzeit unsere Koffer packen und woanders weiterarbeiten könnten. Ein großes Privileg!“
„Eine neue Generation entwickelt sich gerade, geprägt von enormer Vielfalt“, sagt Thomas Schnur. Felix Angermeyer vom gleichnamigen und ebenfalls in der Rheinmetropole ansässigen Designstudio ergänzt: „Es passiert unglaublich viel in Köln, auch hinter den Kulissen.“ Und Design ist der Klebstoff, der alles zusammenhält.
Gesellige Möbel, das Kreativviertel Ehrenfeld und die Sexyness der Nachhaltigkeit: Lesen Sie auch Teil 2 unseres Specials über die junge Designszene in Köln.
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