Menschen

Puzzle für die Wand

Interview mit Paolo Zilli, Associate Director bei Zaha Hadid Architects

Wand und Boden werden dynamisch – dank neuer Fliesen. Zaha Hadid Architects haben das Dekor Diamond für die Serie Marvel Meraviglia von Atlas Concorde gestaltet. Es erlaubt neue Anwendungen, die die Kreativität ein Stück weit an die Nutzer*innen weitergeben. Der Entwurf stammt von Paolo Zilli, dem stellvertretenden Direktor von Zaha Hadid Architects. Mit ihm sprachen wir in seinem Londoner Büro über spielerische Bausätze, kreatives Regelbrechen und Vorbilder im Orient.

von Norman Kietzmann, 27.11.2023

Sie haben für Atlas Concorde das Dekor Diamond für die Kollektion Marvel Meraviglia entwickelt, die während der Cersaie 2023 vorgestellt wurde. Wie sind Sie an die Aufgabe herangegangen?
Die Fliesen-Dekore, die wir auf dem Markt gesehen haben, folgen im Grunde immer demselben Prinzip: Man entwickelt ein Muster, von dem man denkt, dass es schön ist. Dann wiederholt man es endlos und wählt dabei die Farbe und Materialität. Vielleicht fügt man etwas Metall hinzu, Gold oder Chrom zum Beispiel. Das ist der gesamte Fliesen-Markt. Wir haben einen anderen Ansatz gewählt und haben gemeinsam mit Atlas Concorde erforscht, wie weit wir die Regeln dehnen können.

Worin liegt die Stärke Ihres Entwurfs?
Das Dekor erinnert an eine Kristallstruktur, in die wir ein Element eingefügt haben, das eine Störung darstellt. In diesem Falle ist es die Drehung zweier Fliesen: einer Raute und eines Hexagons. Im Zusammenspiel mit verschiedenen Farben entsteht so eine unerwartete Dynamik, die die strikte Wiederholung rigider Geometrien hinter sich lässt. Wir haben also erst einmal innerhalb der Regeln gespielt. Und dann haben wir gegen eine Regel verstoßen, die in der Branche so tief verwurzelt ist, nämlich die Wiederholung desselben Typs. Dadurch wird es erst interessant.


Welche Anwendungen ergeben sich daraus?
Die Lösung, die wir jetzt entwickelt haben, gibt eine Richtung vor, die horizontal oder vertikal verlaufen kann. Je nachdem, wie man es sehen will. Das Muster kann eine Art räumliche Barriere schaffen oder auch eine Richtung aufzeigen. An der Wand oder auf dem Boden kann eine Farbe rechts und eine andere Farbe links zum Einsatz kommen. Dazwischen erzeugt man einen Übergang. So entsteht eine Art Wanderung zwischen den Tönen, eine Metamorphose. Auf diese Weise kann man Orientierung in Gebäuden schaffen und Menschen von einem Raum in einen anderen Raum leiten. Das ist ein wirklich interessanter Aspekt. Denn wenn man das Muster als Informationssystem benutzt, ist das Wort Dekoration zu vermeiden. Auf einmal hat es eine hohe Funktionalität. Ich glaube, Zaha Hadid wäre damit sehr zufrieden. Die Idee, reine Dekoration zu machen, wäre für sie nicht akzeptabel gewesen.
 
Kann man die Fliesen frei verlegen?
Vorerst nicht. Das System, das wir auf Anraten von Atlas Concorde entwickelt haben, ist ein Bausatz, der wie ein Puzzle aufgebaut ist. Man kann also nicht einfach eine Fliese neben die andere legen, es sei denn, man fängt an, die Kacheln von den Netzen zu lösen. Es gibt sechs Netze mit jeweils sechs Kacheln, die bereits fest angeordnet sind. Diese werden von den Installateur*innen nebeneinander an die Wand oder auf den Boden gelegt und dann kommt die Fugenmasse oben drauf. Durch die Verwendung der Netze lässt sich die Installation zu einem vernünftigen Preis realisieren. Wenn die Fliesen Stück für Stück aufgebracht werden müssten, wären die Kosten natürlich deutlich höher. Auch braucht es dann bei der Ausführung ein anderes Know-how.

Könnte man den Bausatz nicht auch völlig frei interpretieren?
Wir haben darüber diskutiert, ob wir eine Software entwickeln, die Mitarbeiter*innen von Baufirmen auf ihren Mobiltelefonen installieren. Sie könnten sie nutzen, um mithilfe der Parametrik jede einzelne Fliese in der richtigen Position, mit der richtigen Farbe und in der richtigen Richtung zu verlegen. Dann sagte man uns, dass es im Augenblick noch zu komplex ist. Aber wer weiß, es könnte in Zukunft tatsächlich der Schritt zu etwas Neuem sein. Als vor zehn Jahren die neuen Fliesen-Großformate aufkamen mit Maßen von 120 mal 300 Zentimetern, konnten die Installateur*innen noch nicht damit umgehen, weil niemand die benötigten Cutter bedienen konnte. Heute ist es eine Selbstverständlichkeit. Diese Großformate haben die Welt der Fliesen enorm verändert.

Wo haben Sie Inspiration für die Kollektion gefunden?
Ich komme aus Rom. Dort lebte im 12. Jahrhundert die Cosmati-Familie, die über viele Generationen hinweg gelernt hat, wie man den Boden mit Einlegern aus Glas und Marmor dekoriert. Sie hat dieses Wissen von Generation zu Generation weitergegeben und Arbeiten von außergewöhnlicher Raffinesse und Schönheit geschaffen. Man findet ihre Böden bis heute in einigen Kirchen in der Stadt. Der Ursprung aller möglichen Geometrien liegt natürlich in der arabischen Welt. Vor ein paar Jahren bin ich mit meiner Frau nach Spanien gereist, um die Alhambra und die Kathedrale von Córdoba zu sehen.

Zwei Meisterwerke der maurischen Architektur. Welche Erfahrungen haben Sie dort gesammelt?
Auch wenn die Fliesen-Muster sehr komplex erscheinen: In Wirklichkeit ist es immer die gleiche Geometrie, die um 90 Grad nach links oder rechts gedreht wurde. Daraus entsteht eine unglaubliche Vielfalt an Möglichkeiten. Diese Vorbilder haben natürlich für das Diamond-Dekor aus der Marvel-Meraviglia-Kollektion eine wichtige Rolle gespielt. Denn es ist eine Sprache, die es schon seit vielen Jahrhunderten gibt und die so einen Moment der Ewigkeit einbringt. Wir sind nun einen Schritt weiter gegangen und haben die Komplexität erhöht.

Sie arbeiten seit 22 Jahren für Zaha Hadid Architects. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Gründerin, die 2016 verstorben ist?
Sie konnte kühn sein und war ein Genie. Gleichzeitig war sie sehr schüchtern, was sie selbst nicht mochte. Sie hat in den Siebzigerjahren im Libanon einen Abschluss in Mathematik gemacht. Die Architektur kam erst danach. Sie hatte also die Fähigkeit, abstrakt zu denken. Weil sie den Status quo infrage gestellt hat, ist sie von allen herausgefordert worden. Daher kam sie manchmal etwas schroff rüber. Meistens deshalb, weil die Leute sie in der Öffentlichkeit angesprochen haben, wo sie sich nicht wohlfühlte. Aber auf privater Ebene war sie wirklich nett. Sie sagte immer: „Es ist einfach, Dinge zu planen, die ein normaler Entwickler lieben würde. Aber warum soll ich mein Leben damit vergeuden, etwas zu entwerfen, das nicht revolutionär ist?“ Sie erkannte, dass sie diese Art von Rolle hatte und dachte: Lasst es uns richtig machen, lasst uns forschen. Etwas anderes kam für sie nicht infrage.

www.atlasconcorde.com

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Atlas Concorde

Atlas Concorde ist einer der Hauptakteure im weltweiten Keramikpanorama und bietet ein komplettes Produktsystem aus Wand- und Bodenbelägen. Dazu die auf große Platten spezialisierten Marke Atlas Plan für Küchenarbeitsplatten, Tische und Einrichtungselemente, sowie Atlas Concorde Habitat, das Projekt für die Badezimmerausstattung. Als idealer Partner für Kunden und Planer zeichnet sich das Unternehmen durch seine innovative industrielle Produktionsweise aus.

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