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Ton, Steine, Onyx, Wachs

Die Neuheiten der Fliesenmesse Cersaie 2023 in Bologna

Gebrannte Vielfalt: Wand und Boden werden mit Fliesen neu belebt. Wohin die Branche steuert, zeigt die Keramikmesse Cersaie in Bologna. 2023 standen Marmor, Travertin und Onyx ebenso hoch im Kurs wie Farbmuster und Reliefe. Auch geheimnisvolle Wachsstrukturen durften nicht fehlen.

von Norman Kietzmann, 04.10.2023

Fliesen sind Atmosphären-Verstärker. Vorbei ist die Zeit, als sie sich nur im Badezimmer und in der Küche heimisch fühlten. Die gebrannten Erden sind zu neuen Favoriten der Inneneinrichtung aufgestiegen, die Wände und Böden im Wohn- und Essbereich sowie die allerheiligsten aller Gemächer bespielen: Schlafzimmer. Die Gründe liegen in den technischen Entwicklungen der vergangenen Jahre: Riesenformate von bis zu 160 mal 320 Zentimetern sind heute ebenso möglich wie das fotorealistische Bedrucken oder die Gestaltung mit feinen Oberflächenstrukturen. Die Fliese ist so wandelbar wie kein anderes Element in der Inneneinrichtung. Doch keine Sorge, dass Sie hierbei die Übersicht verlieren könnten. Wir haben uns auf der weltweiten Leitmesse der Fliesenbranche, der Cersaie in Bologna, umgeschaut und die Trends für Sie zusammengefasst.

 
Intensive Marmordekore
Die Tendenz zum Naturstein-Look hält weiter an. Allerdings muss es nicht nur weißer oder schwarzer Marmor sein. Das Farbspektrum wird weiter aufgefächert. Satte Grün-, Rot- und Brauntöne sind zu sehen. Entweder subtil in den Äderungen oder sie dominieren den gesamten Stein. Auffällig ist in diesem Jahr das Spiel mit dem Maßstab: Mitunter werden die Dekore in ihrer Größe nach oben skaliert – ein Effekt, als würde man den Stein unter dem Mikroskop betrachten. Oder verschiedene Steine werden zu wilden Collagen kombiniert. Es geht nicht mehr nur um eine möglichst realistische Nachahmung der Natur. Das Medium Fliese emanzipiert sich von den Vorbildern und wird als eigenständige Kreation in Szene gesetzt. Durch die Kombination von kompakten Marmorfliesen in Hexagon-, Dreiecks- und Rautenformen lassen sich darüber hinaus auch dynamische Muster erzeugen.
 
Warmer Stein
Eine zurückhaltendere Alternative zur Opulenz von Marmor bieten Travertin- oder Granit-Optiken. Ihre Oberflächen warten mit matten Texturen auf, die das Licht absorbieren, anstatt es zu reflektieren. Die Platten zeigen plastische Strukturen, sodass sie an die unregelmäßigen Bruchkanten echter Steine erinnern oder mit winzigen Rinnen und Einschlüssen aufwarten. Warme Farbtöne verstärken die wohnliche Wirkung der keramischen Platten, die nicht nur in raumfüllenden Formaten zum Einsatz kommen. Kleine Fliesen lassen sich zu monochromen Dekoren verdichten, die an Arabesken oder an das Flechtwerk von Körben erinnern und so dem flächigen Material optisch Tiefe verleihen.
 
Mineralischer Schimmer
Wand und Boden verwandeln sich in Kaleidoskope aus irisierenden Farben. „Onyx“ lautet das Zauberwort der Stunde. Von Zurückhaltung ist hier keine Spur. Es wird geglänzt und geschimmert, was das Quarz-Spektrum hergibt. Blaue, violette oder orangene Töne sind zu sehen, ebenso pastellige Grün- und Graunuancen. Sie scheinen von innen heraus zu leuchten, als wären sie vom einfallenden Umgebungslicht regelrecht aufgeladen worden. Die bunten Maserungen, Einschlüsse und Schattierungen sorgen für eine gesteigerte Sinnlichkeit. Sie verwandeln die heimischen vier Wände in mineralische Schatzkammern.
 
Auf den Spuren von Kerzen
Eine Sonderform sind Fliesen, die der Materialität von Wachs nachempfunden sind. Die Oberflächen wirken weich und seidig. Das Licht scheint tief in die Struktur des Materials einzutauchen. So entstehen Motive, die kleine Risse, Hohlräume sowie Spuren von ausgeflossenem und wieder verfestigtem Wachs imitieren. Mit seinen zahlreichen Details und Farbabweichungen offenbart das Material eine raffinierte, geradezu lebendig wirkende Struktur. 
 
Mosaike aus Fliesen
Geometrische Muster teilen sich in zwei Größen: Wenn die Dekore direkt auf die Fliesen aufgetragen sind, darf es kleinteiliger sein. Hier werden oft Formen verwendet, die sich dem rechten Winkel entziehen. Sie wirken organisch, wie von Hand gemacht. Auffällig sind Muster, die aus mehreren einfarbigen Fliesen zusammengesetzt sind – wie stark vergrößerte Mosaike. Die Plattenformate sind meist schmaler und länger als beim traditionellen 15x15-Zentimeter-Standard. Auch werden unterschiedliche Größen und Zuschnitte kombiniert, um Farbfelder mit einer grob verpixelten Anmutung zu erzeugen. Zu welchen Mustern die Platten verbunden werden, obliegt allein den Anwender*innen. Der Fantasie sind bei diesen offenen Farbbaukästen im XXL-Format keine Grenzen gesetzt.
 
Feine Reliefstrukturen
An der Wand erobern Fliesen zunehmend die dritte Dimension. Kreise, Ellipsen und Rillen treten aus der Fläche heraus oder sind darin eingelassen. So entstehen haptische Dekore, die ohne farbliche Abgrenzungen auskommen. Allein der Schattenwurf genügt, um die Keramiken in Hingucker zu verwandeln. Die Kombination von matten und glänzenden Texturen sorgt zudem für eine stärkere Unterscheidung der vor- und zurückgelagerten Ebenen. Einige Fliesen ragen sehr deutlich aus der Wand heraus und in den Raum hinein. Sie erwecken Assoziationen an Betonfertigteile, wie sie einst von Architekten wie Pier Luigi Nervi, Kenzo Tange oder Angelo Mangiarotti verwendet wurden. Ergo: Geflieste Wände sind alles andere als eintönig oder flach. Sie werden um plastischen Tiefgang erweitert.
 
Geerdete Texturen
Immer mehr Fliesen warten mit Oberflächen aus Erde, Ton und Zement auf. Sie versprechen Erdung im Wortsinne. Schließlich sind sie keine Träger einer fremden oder künstlich aufgesetzten Identität. Sie offenbaren ihre ursprüngliche Materialität. Langeweile ist deswegen aber nicht zu befürchten. Eine wichtige Rolle fällt dem Einsatz von natürlichen Pigmenten zu. Sie geben der Keramik sinnliche Farben und betonen die Schönheit des Unvollkommenen. Strukturen von poliertem Beton mit mikroskopisch kleinen Kratzern und changierender Opazität sind zu sehen. Auch hier ist die Botschaft klar: Die Raumgrenzen werden mit Struktur zum Leben erweckt.

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