Von rau bis hedonistisch
Wie verändert die Kreislaufwirtschaft das Interiordesign?

Wenn es um stilistische Vielfalt im Sinne der Kreislaufwirtschaft geht, brilliert bisher vor allem das Stuhldesign. An die Ästhetik einer komplett zirkulär gedachten Innenarchitektur tasten sich Pionier*innen und deren Nachfolger*innen schrittweise heran. Wir haben drei Architekt*innen befragt.
Das Wort Nachhaltigkeit wird gern nach Gutdünken ausgelegt. Bei Zirkularität hingegen handelt es sich um eine relativ klare Vorgabe. Die Ellen MacArthur Foundation definiert: „Die Kreislaufwirtschaft ist ein System, in dem Materialien nie zu Abfall werden und die Natur sich regeneriert. In einer Kreislaufwirtschaft werden Produkte und Materialien durch Prozesse wie Wartung, Wiederverwendung, Aufarbeitung, Wiederaufbereitung, Recycling und Kompostierung im Kreislauf gehalten.“
Barbara Buser, in situ: Gebäude retten, Spannung erzeugen
Die Baseler Architektin Barbara Buser kommt aus genau dieser Denkschule. Nach Auslandseinsätzen gründete sie in den Neunzigerjahren die Bauteilbörse Basel und das Bauteilnetz Schweiz. Aus der architektonischen Zusammenarbeit mit dem Architekten Eric Honegger entstand später das Baubüro in situ. Mit sechzig Mitarbeiter*innen und unter großem unternehmerischem Einsatz realisiert in situ Projekte im Bestand, insbesondere auf ehemaligen Fabrikarealen. Ihren Schönheitsbegriff schöpft Barbara Buser aus dem Ursprünglichen: „Für den Raum braucht es Material. Hier im Elsass hatte man früher Lehm und Weiden, und so wurden die Riegelbauten erfunden. Es entstand auf natürliche Weise eine Einheit, die ich schön finde – einfach, weil man auf lokal vorhandene Materialien beschränkt war und damit gemacht hat, was man konnte.“
„Es geht für mich erst einmal ums Weglassen“
Hier knüpft die heutige gestalterische Handschrift von in situ an. „Auch in unseren Projekten muss ich mit dem umgehen, was ich habe. Da geht es für mich erst einmal ums Weglassen. Und dann mag ich es, wenn eine Spannung entsteht, indem ich beispielsweise eine einzelne antike Kommode in ein Betongebäude stelle.“ Barbara Buser schätzt gut gebaute, schlichte Möbel in zurückhaltenden Farben und langlebige, modulare Serien – wie zum Beispiel von USM. „Die Persönlichkeit lässt sich dann mit farbigen beweglichen Gegenständen wie Textilien oder Teppichen ausdrücken, die man beim Umziehen auch mitnehmen kann. Oder mit einer farbigen Wand.“
„Wir werden nichts abreißen“
Für ihr „neuestes Kind“, das Franck-Areal, wird Barbara Buser sogar extra einen Farbladen mit Qualitätsfarbe einrichten, damit keine billige, schädliche Farbe verwendet wird. „Wir werden im Franck-Areal nichts abreißen“, sagt die Architektin freudig. „Falls wir doch ein Mäuerchen oder eine Decke entfernen, dann wird der Beton nicht zertrümmert, sondern in Scheiben geschnitten und wieder verwendet.“ Das koste zwar mehr, sei aber CO2-neutral. Wie sieht die Ästhetik in so einer Fabrikhalle aus? „Wir werden gern in die Bricolage-Ecke gedrängt, aber was soll ich sagen? Es ist sinnvoll, mit den Fundstücken zu arbeiten.“ Gerade in den Kantinen alter Schweizer Fabriken gibt es oft extrem hochwertige Möbel, zum Beispiel von Horgenglarus. Stühle und Tische werden also abgeschliffen, eventuell bemalt oder mit Linoleum belegt. Dann entsteht, zum Beispiel im Restaurant, eine raue Ästhetik, die Buser mag.
Wiebke Ahues, LXSY: Zu einem neuen Gefühl von Wertigkeit
Die Architektin Wiebke Ahues ist seit einem Jahr Partnerin im Büro LXSY in Berlin, das Ende 2022 mit seinem Impact Hub Berlin at CRCLR-House in Berlin-Neukölln für Aufsehen sorgte. Nach einer Ästhetik der Kreislaufwirtschaft befragt, unterscheidet Wiebke Ahues: „Es gibt zum einen die Ebene der biogenen, kompostierbaren Materialien wie Hanfkalk- oder Lehm-Oberflächen, die ja auch ein sehr gutes Raumklima schaffen.“ Diese Materialien sollen aus einer speziellen Nische des ökologischen Bauens heraustreten und eine neue, hochwertigere ästhetische Wahrnehmung ermöglichen.
„Es wird kleinteiliger.“
„Zweitens gibt es die Ebene der Wiederverwendung von Materialien und darum, diese stimmig in einen neuen Zusammenhang zu setzen. Hier möchten wir jeweils den kleinsten Nenner für so viel Material wie möglich finden. Das heißt, es wird kleinteiliger.“ Oft bietet es sich an, im Rahmen gebräuchlicher Raster mit Mitteln der Gliederung und Fügung zu arbeiten, wie bei einer Holz- oder Metall-Lattung. Auch die Arbeit im Wilden Verband sei eine Möglichkeit, erklärt Wiebke Ahues die Methoden von LXSY. „Dennoch führt das nicht zwingend zu einer collagierten Ästhetik“, so Ahues. „Wir können eine gemeinsame Farbsprache entwickeln und zum Beispiel mit Lasuren arbeiten, die unterschiedliche Materialien tonal angleichen. Ein bekanntes Verfahren ist hier etwa das Schlämmen von Backstein.“
„Die collagierte Ästhetik muss nicht sein.“
Zudem gibt es Materialien, die man großflächiger einsetzen kann. „Im Küchenbereich stehen viele MDF-Platten zur Wiederverwendung zur Verfügung, oder auch im Messerückbau. Diese können wir neu beschichten und/oder lackieren“, sagt Wiebke Ahues. Auch die Furnierung ist eine Möglichkeit. Zudem kommen inzwischen erste fugenlose Bodenbeläge auf den Markt, die sich rückstandsfrei entfernen und sortenrein trennen lassen. Es gibt aber auch Fälle, wo collagierte Optiken zur Nutzung passen. „Es geht nicht um die Eins-zu-Eins-Nachahmung einer heutigen Ästhetik, sondern um die Auseinandersetzung mit einem neuen Verständnis von Ästhetik“, meint Wiebke Ahues. „Ich gehe davon aus, dass sich unsere Sehgewohnheiten ändern werden. Dass wir uns intuitiv wohler fühlen in Räumen, die zirkulär gestaltet sind. Und dass wir dann vielleicht auch Unbehagen empfinden, wenn wir spüren, dass das nicht so ist.“
Fabian Freytag: Eine neue Form des kreativen Schaffens
Betrachtet man die Interieurs von Fabian Freytag, so fühlt man sich von raueren Gestaden in einen fröhlichen Hedonismus versetzt. Seit 2012 betreibt der Architekt und Designer sein gleichnamiges Berliner Büro und hat sich international einen Namen gemacht. „Die Kreislaufwirtschaft verändert auf jeden Fall die Ästhetik der Innenarchitektur“, sagt Freytag. „Bei den Leuchten auf der Euroluce in diesem Jahr hat man gesehen, dass sie kleinteiliger, weil reparierbar werden. Das Fügen wird gefeiert – und die Materialien werden wieder für das eingesetzt, was sie können.“
„Es hat gedauert, sich so ein Netz aufzubauen“
Oft habe man im Design zuletzt Materialien zu etwas gezwungen, was eigentlich gar nicht in ihnen stecke. Man denke nur an Leuchten aus hauchdünnem Naturstein oder an die beliebten riesigen Glasfronten – und alternativ an (Teppich-)Kacheln, die einzeln austauschbar sind oder Lampenschirme aus Stoff. Schon sind wir mitten im Kreislauf-Thema. Bei Fabian Freytag hat es vor zwei, drei Jahren klick gemacht. Inzwischen sourct er für seine Projekte nahezu zu 100 Prozent regional und arbeitet mit dem, was vor Ort verfügbar ist. „Es hat gedauert, sich so ein Netz aufzubauen“, sagt er.
„Mir macht es Spaß, tradierte Ästhetiken mit Neuem zu beleben“
„Aber wir hatten Bock auf diese Reise. Ich erlebe es als eine Bereicherung, sich dem Material unterzuordnen und daraus Lösungen zu entwickeln.“ Längst hat das Fabian Freytag Studio auch die Kunst entwickelt, Materialien zu gestalten, die der Markt gerade nicht will. Granit zum Beispiel sei im Moment so eine Herausforderung. Man habe Spaß daran, eine tradierte Ästhetik mit neuen Werkstoffen zu beleben. Und, natürlich, mit edlen Vintagemöbeln zu arbeiten. So entsteht eine viel bessere Ästhetik, findet Fabian Freytag – und ein völlig neuer Typ des kreativen Schaffens.
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