Aus der Linie wird ein Kreis
Reparatur und Wiederverwertung in der Möbelindustrie

In der Möbelindustrie etablieren sich Dienstleistungen rund um Reparatur und Wiederverwertung von gebrauchten Produkten – auch in großen Stückzahlen für das Projektgeschäft. Verschiedene Hersteller zeigen, wie das zirkuläre Wirtschaften gelingen kann. Eine Übersicht.
Jedes Jahr am „Earth Overshoot Day“, am „Tag der aufgebrauchten Ressourcen“, wird uns vor Augen geführt, wie sehr wir über unsere Verhältnisse leben. Ein Ausweg aus der Krise ist die in den vergangenen Jahren viel propagierte Kreislaufwirtschaft: Statt immer wieder neue Ressourcen wie biologische und mineralische Rohstoffe, Wasser oder Böden zu verbrauchen, soll möglichst viel vom bereits Vorhandenen wiederverwertet werden. In der extrem ressourcenintensiven Bauwirtschaft heißt das, den Gebäudebestand zu erhalten und für neue Nutzungen zu transformieren. Bezogen auf die Innenarchitektur bedeutet das zugleich, möglichst viele gebrauchte Materialien und Produkte zu recyceln und wieder einzusetzen. Die Auftraggeber*innen kommerzieller Planungsprojekte haben beispielsweise ein Interesse daran, weil sich so die Nachhaltigkeitsbilanz ihrer Bauprojekte verbessern lässt. Das kann bei den begehrten Zertifizierungen angerechnet werden.
Die Wertschöpfung verlagert sich
Die Wende hin zum Wirtschaften in Kreisläufen stellt allerdings auch die bisher praktizierten linearen Geschäftsmodelle grundsätzlich infrage. Heute verdient ein Großteil der Unternehmen Geld mit dem Verkauf neuer Produkte. Was im Verlauf eines Lebenszyklus mit dem Produkt passiert, liegt meist außerhalb ihres Geschäftsfelds. Wenn künftig gebrauchte, recycelte und wiederaufbereitete Produkte zum Regelfall werden sollen, werden ganz auf die Neuherstellung ausgerichtete Geschäftsmodelle nicht mehr wie bisher funktionieren. Die Wertschöpfung wird sich – zumindest teilweise – verlagern auf den Handel mit Gebrauchtwaren, auf Services wie Wartung, Reinigung, Reparatur und ähnliche Dienstleistungen.
Auch in der Möbel- und Designbranche hat der Umbau zur Kreislaufwirtschaft begonnen: Es gibt Rücknahmesysteme, Reparaturservices sowie einen Zweitmarkt für benutzte, generalüberholte Möbel – und das alles in einem aufs Objektgeschäft abzielenden Maßstab mit entsprechend großen Stückzahlen. Es geht nicht um das schöne Einzelstück aus dem Vintageladen für das Zuhause, sondern um die Sitze eines Auditoriums oder die Bürostühle einer Versicherung. Adressat*innen dieser Programme sind Unternehmen, Innenarchitekt*innen und Architekt*innen, Bestandshalter*innen und Immobilienentwickler*innen.
Kreislaufwirtschaft als Standortvorteil
Der Schweizer Möbelhersteller Girsberger setzte als eines der ersten Unternehmen einen Reparaturservice für große Stückzahlen unter dem Namen „Remanufacturing“ auf. Dabei handelt es sich um ein herstellerunabhängiges Angebot, das heißt, das Unternehmen arbeitet auch Möbelstücke auf, die es nicht selbst hergestellt hat. Zu den Projekten, die Girsberger in den vergangenen Jahren realisiert hat, gehört die Bestuhlung von Konzert- und Vortragssälen, Kongresszentren und Restaurants. Bei Aufträgen mit solch großen Stückzahlen werden zuerst einzelne Möbel begutachtet und ein Beratungsgespräch vor Ort geführt. Zum Service gehört auch, den ganzen Prozess von der Abholung bis zur Auslieferung der überholten Stücke und ihrer Abnahme zu betreuen. Wenn notwendig, richtet Girsberger eine mobile Werkstatt in einem Container vor Ort ein.
Auch der deutsche Möbelhersteller Thonet übernimmt bereits seit Längerem Reparaturmaßnahmen bei größeren Planungs- und Architekturprojekten – und baut diesen Service aktuell weiter aus, als integralen Teil der Produktion. In der Fabrik soll es bei den Abläufen keinen Unterschied zwischen einem bereits benutzten und einem neuen Stuhl geben. Ähnlich wie bei Girsberger gibt es auch bei Thonet alle dafür notwendigen Gewerke wie Holz- und Metallverarbeitung, Polsterei oder Lackiererei. Der Umbau hin zur Kreislaufwirtschaft könnte sich deshalb als Standortvorteil für die europäischen Möbelhersteller erweisen. Anders als Marken, die ihre Produkte bei Subunternehmen produzieren lassen, verfügen Unternehmen mit eigener Fertigung über die notwendigen Kompetenzen und Lagerflächen, um Services rund um die Wiederverwendung anbieten zu können. Kommt ein Stuhl dagegen aus China, ist es wohl kaum praktikabel und weder ökologisch noch wirtschaftlich sinnvoll, ihn zur Reparatur zum Hersteller zu transportieren – und anschließend wieder zurück.
Secondhand vom Hersteller
Ebenfalls ein Pionier in Sachen Kreislaufwirtschaft ist der schwedische Büromöbelhersteller Kinnarps. Das Unternehmen reinigt und repariert nicht nur abgenutzte Bürostühle, es hilft auch bei Umzügen und verwaltet das Möbelinventar. Wenn es schnell gehen soll, kommt ein Werkstatt-LKW direkt zum Büro, um die Ausstattung zu warten. Auch bei Fritz Hansen in Dänemark hat man bereits Erfahrungen mit Reparaturen – bislang aber nur auf explizite Anfrage. „Jetzt verankern wir es strategisch in unserem Geschäftsmodell“, sagt Lars Hardboe Galsgaard, Geschäftsführer für Vertrieb und Markenmanagement. Das Unternehmen bewirbt unter dem Namen „ReFurbish“ Services rund um die Stuhlmodelle von Arne Jacobsen. Statt wie bisher mit ein paar Fällen pro Jahr rechnet Hardboe Galsgaard künftig mit Tausenden Stühlen. „Wir erwarten, dass dies ein immer größerer Teil unseres Geschäfts sein wird.“ Aber man geht noch einen Schritt weiter: Derzeit baut der Hersteller unter dem Namen „ReCrafted“ einen eigenen Zweitmarkt für die Arne-Jacobsen-Modelle auf. Dafür werden gebrauchte Möbel zurückgekauft, überarbeitet und in neuwertigem Zustand weiterverkauft.
Ein ähnliches Rücknahmesystem hat der deutsche Polstermöbelhersteller COR mit dem Programm „CORever“ gestartet, wenn auch bislang nur für Privatkund*innen. Alte Polstermöbel werden abgeholt, gereinigt und aufgearbeitet. Das umfasst beispielsweise, Bezüge und Polsterungen auszubessern oder bei Bedarf zu erneuern. Die Sofas und Sessel werden dann zum Verkauf angeboten, die Preise liegen unter denen für Neuware. Wie bei anderen Herstellern auch erhofft man sich bei COR, dass sich solche Services zu einem neuen, einträglichen Geschäftsmodell entwickeln. Gerade in Zeiten sinkender Verkaufszahlen könnte der Umbau zur Kreislaufwirtschaft der Industrie neue Einnahmemöglichkeiten erschließen.
Neu produziert oder gebraucht?
In den Niederlanden kann man heute schon erkennen, wohin die Entwicklung gehen wird. Denn aufgrund staatlicher Vorgaben – bei öffentlichen Vergabeverfahren sollen möglichst gebrauchte Materialien und Produkte zum Einsatz kommen – hat sich längst ein Markt für Wiederverwertetes etabliert. Der niederländische Büromöbelhersteller Vepa hat bereits große zirkuläre Planungs- und Einrichtungsprojekte umgesetzt, etwa für das Verteidigungsministerium oder das Versicherungsunternehmen Nationale-Nederlanden.
Mittlerweile kommen aber auch vermehrt Anfragen aus Deutschland, wie der Vepa-Manager Arnoud van Spijk sagt. Zu den Kunden hierzulande gehören Großbanken und Pharmaunternehmen. Treiber hinter dieser Entwicklung dürften – neben unternehmenseigenen Nachhaltigkeitszielen – neue EU-Vorgaben sein. Etwa der „Circular Economy Action Plan“, der unter anderem die längere Haltbarkeit von Produkten durch Reparieren und Recyceln zum Ziel hat. Vepa fasst seine Aktivitäten zum kreislaufgerechten Wirtschaften unter dem Label „Fair Furniture“ zusammen. Dazu gehört ein Reparaturservice für Unternehmenskunden, aber auch ein eigener Zweitmarkt für aufbereitete Büromöbel. Dieses Angebot ist herstellerunabhängig: Vepa kauft gebrauchte Möbel, arbeitet sie auf und hält sie als Basisausstattung am Lager vor. Wenn Kund*innen Möbel kaufen möchten, stehen nicht nur verschiedene Modelle oder Farben zur Auswahl. Die Entscheidung kann dann auch zwischen „neu produziert“ und „gebraucht“ fallen.
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