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Aus der Fläche in den Raum

Neues von der Fliesenmesse Cersaie 2024

Von wegen flach! Die Neuheiten der Fliesenmesse Cersaie in Bologna erkunden die dritte Dimension. Auch satte Farben, geometrische Dekore und durchbrochene Oberflächen waren an vielen Messeständen zu sehen. Dazu gesellten sich Nuancen von Terrakotta und Biskuit.

von Norman Kietzmann, 14.10.2024

Die Region Emilia-Romagna ist nicht nur für ihre Küche bekannt. Parmesan-Käse, Balsamico-Essig und sogar die Pasta selbst stammen von dort. Ferrari, Lamborghini und Maserati haben in der Gegend ihren Sitz. Und mittendrin haben sich rund um die Kleinstadt Sassuolo die Fliesenproduzenten Italiens versammelt. Die meisten von ihnen präsentieren ihre Produkte alljährlich auf der Keramikmesse Cersaie in Bologna. Nach und nach wächst aber auch die Zahl jener Unternehmen, die das von Kenzo Tange entworfene Messegelände meiden und stattdessen lieber in ihren Showrooms neben den eigenen Produktionsanlagen den großen Auftritt inszenieren.

Vertiefte Oberflächen
Auffällig war in diesem Jahr, wie stark sich die Fliesenbranche von ihrem ursprünglichen Terrain entfernt hat. An den Messeständen wurden ganze Wohnwelten mit Polstermöbeln, Stühlen und Tischen inszeniert, die zeigen sollten, zu welch spannender, räumlicher Interaktion die gebrannten Erden fähig sind. Vorbei ist die Zeit, als ihnen nur Badezimmer und Küche zugewiesen wurden. Sie durchdringen nun alle Räume des Zuhauses. Dabei spielt Plastizität eine immer größere Rolle.

Zum einen in Form von Reliefstrukturen, die den Oberflächen Tiefe geben. Zum anderen in objekthaften Anwendungen. Fliesen werden als Tischplatten verwendet: entweder als Addition verschiedener Kacheln oder ganzflächig, schließlich können die neuen Fliesen Dimensionen von 300 mal 120 Zentimetern einnehmen. Doch auch für Einfassungen von Waschbecken, als Sideboard-Ablagen oder als Küchenfronten kommen Fliesen zum Einsatz. Sie werden zu einem universalen Tool der Inneneinrichtung. Welche Trends die Neuheiten der diesjährigen Cersaie setzen, haben wir hier für Sie zusammengefasst.

Die Wand als Relief
Konkave und konvexe Ausformungen machen Oberflächen lebendig. Der Grund: Durch die Erweiterung in die dritte Dimension werden Licht und Schatten einbezogen. Je nach Sonnenstand entstehen changierende Farbtöne, die durch Kunstlicht in den Abendstunden eine weitere Ausprägung erhalten. Auf subtile Vertiefungen setzt Atlas Concorde mit der Kollektion Boost Expression von Elisa Ossino. Kreise, Rillen oder andere Motive ragen kaum mehr als einen Millimeter aus der Oberfläche heraus. Und doch sind sie in ihrer feinen Plastizität erfahrbar. Ceramiche Piemme ist eine Kooperation mit der italienischen Kunsthandwerkerin Paola Paronetto eingegangen, die mit ihren großformatigen Keramikvasen für Aufsehen sogt. Deren dreidimensionale Rillenstruktur hat sie auf die Fliesenserie Homey Paper Clay übertragen. Ihre taktilen Strukturen und pastellenen Farben sorgen für eine gesteigerte Sinnlichkeit. „Homey Paper Clay lenkt die Aufmerksamkeit zurück auf das Handwerk und schafft eine Brücke zwischen der industriellen Welt und den Traditionen künstlerischer Keramik“, so das Unternehmen

Durchlässigkeit
Für eine Steigerung der Dreidimensionalität sorgen erhabene und durchbrochene Fliesen, die Höhen von sechs oder sieben Zentimetern aufweisen und damit weit über die üblichen fünf Millimeter hinausgehen. Ihr Territorium ist weniger die Wand als vielmehr die Mitte des Raums. Sie bilden eine durchlässige Ebene, die vom Boden bis zur Decke hinaufreicht. Werden zwei Wände im rechten Winkel verbunden, erzeugen sie genug Stabilität, um auf eine Fixierung an der Decke verzichten zu können. Die Fliese wird zum Ziegelstein, der atmosphärische Kompositionen erlaubt. Ein treffendes Beispiel ist die Kollektion Arialuce, die die Unternehmen Marca Corona und Fornace S. Anselmo gemeinsam entwickelt haben. Die Serie umfasst die dekorativen Elemente Curve, Pertuse und Asole, die geschwungenen, punktförmigen und rechteckigen Aussparungen entsprechen. Auch die Kollektion Reef von Wow Design ist aus stranggepresstem Steinzeug gearbeitet, dessen sandig-matter Farbton an die Natur erinnert. Eine andere Form der Durchlässigkeit hat Iris Ceramica entwickelt: Moonlight ist eine Serie von Keramikfliesen, die mit veränderten Materialstärken spielt. So können einzelne Platten rückseitig durchleuchtet werden, ein Effekt, der normalerweise nur mit dünn gearbeiteten Natursteinen oder Quarzen zu erzielen ist. Auch hiermit eröffnen sich ganz neue Anwendungen für gebrannte Erden.

Geometrie
Fliesen definieren keinen neutralen Hintergrund, sondern werden bewusst als Hingucker inszeniert. Geometrische Dekore waren allerorts auf der Cersaie zu erspähen. Das Spektrum reichte dabei von klaren Formen wie Kreisen, Halbkreisen, Rechtecken, Sechsecken und Achtecken bis hin zu irregulären Körpern. Die Fliese selbst wird als eine kompakte, geometrische Komposition verstanden, deren Wirkung durch eine zigfache Aneinanderreihung multipliziert wird. Die Kollektion Fluid von Quintessenza Ceramiche entstand aus der Idee, Farbe auf grafische Weise zum Leben zu erwecken. Fast scheint es, als wären die Glasuren geschmolzen und hätten sich durch Einwirkung der Schwerkraft deformiert. Das Ergebnis ist ein flirrender, fast schon halluzinogen anmutender Effekt. „Die Farben vermischen sich und werden lebendig, indem sich ständig verändernde Pigmentabdrücke auf der Keramik bilden, die die Grenzen des Gewohnten durchbrechen“, bringt der Hersteller die Wirkung auf den Punkt

Mix and Match
Geometrische Formen bestimmen nicht nur die Fliesen an sich. Sie lassen sich auch durch die Kombination von verschiedenfarbigen Platten erzeugen, die somit die Rolle von großformatigen Mosaiksteinen übernehmen. Nach dem Mix-and-Match-Prinzip entstehen Dekore, die ganze Wände und Böden bespielen, ohne in Monotonie zu verfallen. Verschiedene Farbkompositionen bis hin zu Ton-in-Ton-Anordnungen ermöglicht die von Tekla Evelina Severin entworfene Kollektion Färgblock für Quintessenza Ceramiche, die endlose, anpassbare Kombinationen erlaubt: durch die Addition von einfarbigen oder von verschiedenfarbigen, geometrischen Dekoren, was je nach Drehung zu unterschiedlichen Erscheinungsbildern führt. Für eine Variation der Fliesengrößen sorgt die Kollektion Kimono von Decoratori Bassanesi. Die Designerin Federica Biasi ließ sich von traditionellen japanischen Gewändern inspirieren. Kompakte, längliche Fliesen werden in kräftigen Farben kombiniert, deren Wirkung durch doppelte Feuerung und den Einsatz von Emailleglasuren intensiviert wird.

Terrakotta & Biskuit
Fliesen mit Naturstein- und Holzdekoren stehen weiterhin hoch im Kurs. Auffällig war auf der diesjährigen Cersaie bei monochromatischen Anwendungen jedoch vor allem eines: Terrakotta. Die warme Tonalität entspricht der Natur des Materials, das noch immer im globalen Maßstab zu über 80 Prozent mit weißer Glasur verkauft und damit in seiner Ursprünglichkeit kaschiert wird. Doch nun weitet sich die Palette. Matte Oberflächen betonen den Ursprung von Erde und Lehm. Etwas Archaisches spielt hierbei herein. So wie in der Kollektion SensiTerre, die Matteo Thun zusammen mit Benedetto Fasciana für Florim gestaltet hat. Als Vorbild diente die Terrakotta-Vasen-Serie Venere Bianca, bei der rostbraune Oberflächen von weiß getünchten Rillen akzentuiert werden. Thun übertrug das Motiv auf modulare Keramikoberflächen, die in sechs Erdtönen und vier taktilen Oberflächen erhältlich sind. Worum es geht? „Italienische Handwerkskunst zu unterstreichen und traditionelle Keramik mit moderner Technologie zu verbinden“, erklärt das Unternehmen. Und noch etwas fällt auf: Wird die warme Farbigkeit von Terrakotta stark aufgehellt, entsteht eine Palette aus zarten, zwischen Hellrosa, Pastellgelb und Off-White changierenden Farben, die an Biskuits erinnern. Ergo: Fliesen sind nicht gleich Fliesen. Das Spektrum wird selbst in kulinarische Sphären geweitet.

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