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Dialog durch die Zeit

Der Schweizer Galerist und Restaurator Reha Okay im Gespräch

Schluss mit Retro: Jetzt schlägt die Stunde der Originale. Vor 25 Jahren gründete Reha Okay in Basel das Unternehmen Okay Art. Sein 350 Quadratmeter großer Schauraum an der Landskronstrasse hat sich zu einer Adresse für Designpreziosen der Zwanziger- bis Achtzigerjahre entwickelt. Der Vintage-Galerist sammelt und verkauft nicht nur, er restauriert vor allem. Ein Gespräch über Kratzer, Patina und Aura.

von Norman Kietzmann, 21.08.2024

Herr Okay, erklären Sie uns bitte, was Sie eigentlich genau machen.
Ich rette Möbel. Ich reise viel umher, bekomme Angebote von schönen Stücken. Und die sammle ich. Dann kommen sie zu uns in die Werkstatt, werden gereinigt, restauriert und anschließend dokumentiert, wofür wir ein eigenes Fotostudio haben. Außerdem vermieten wir unsere Möbel und Objekte für Filme, Fotoshootings, Ausstellungen und sogar Partys, die unter einem speziellen Thema stehen, wie zum Beispiel die Zwanziger- oder Siebzigerjahre. Wo der Bedarf immer größer wird, ist die Restaurierung. Wir machen Nachhaltigkeit auf hohem Niveau, hat uns mal jemand gesagt. Das gefällt mir sehr.


Warum wächst das Interesse an einer Aufarbeitung?
Das sind ganz unterschiedliche Aufträge. Manchmal restaurieren wir Archivmöbel. Oder Sammler haben etwas gekauft oder geerbt und wollen das fachmännisch aufgearbeitet haben. Es gibt aber auch Versicherungen, die bei uns anrufen und sagen: Hier ist ein defekter dänischer Stuhl. Können Sie den reparieren?

Worin liegt Ihre Spezialität?
Wenn ich umherreise, kaufe ich nicht nur Möbel, sondern auch Schrauben, Lampenfassungen, Schirme und Stoff natürlich. Ich liebe Stoff. Wir haben mittlerweile die größte Sammlung an alten Stoffen, die mir bekannt ist. Oft beziehen wir Möbel mit den passenden Textilien aus ihrer Entstehungszeit, nur mit dem Unterschied, dass diese noch nie benutzt wurden. Das macht die Objekte sehr, sehr authentisch. Damit sind wir die Einzigen. Ich kenne niemanden, der auf diese Weise arbeitet.

Sie versetzen die Dinge in ihren Originalzustand zurück, ohne die Gebrauchsspuren völlig zu übertünchen?
Genau. Die Möbel haben die ganze Zeit überlebt und natürlich ihre Macken und Kratzer abbekommen. Und wir holen sie dann wieder zurück in die Zeit, in der sie geboren wurden. Ganz kriegen wir das natürlich nicht hin. Es wird also immer ein paar Spuren geben. Das nennt man Patina. Und die ist erwünscht. Dennoch entsteht am Ende oft ein neues Möbel, das den nächsten Lebensabschnitt antreten kann.

Patina gibt den Gegenständen mehr Charakter, als wenn diese heute neu gefertigt werden. Woran liegt das?
Wenn man davon ausgehen kann, dass ein altes Möbel eine Aura hat, dann lebt es. Weil es schon einhundert Geschichten erlebt und gehört hat. Das macht es auch viel, viel schöner. Das Möbel hat mehr Persönlichkeit. Damit fügt es sich besser in den Raum ein, weil es eine gewisse Präsenz bildet. Das ist schon etwas ganz Tolles. Darum lebe ich nur mit Vintage-Möbeln. Es gibt dieses alte Sprichwort: Womit man sich umgibt, das strahlt auch wieder zurück.

Was halten Sie von Retro?
Wenn alle nur mit Vintage-Möbeln leben wollten, ginge das nicht. Das Problem ist natürlich die Menge an verfügbaren Stücken. Und der Preis. Die meisten alten Möbel, die im Netz angeboten werden, sind total runtergewirtschaftet. Hinzu kommt: Viele Leute sagen, sie wollen nichts, was schon jemand benutzt oder besessen hat. Das ist so, als wenn jemand nicht gerne Oldtimer fährt, also eine Frage der Einstellung. Viele Möbeldesigner sind in den letzten 15 Jahren auf diesen Zug aufgestiegen, weil die Originalmodelle, vor allem aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren, einfach zeitlos sind. Fast alle großen Marken machen heute neue Möbel, die angelehnt sind an die alten Sachen. Aber natürlich kann man das nicht vergleichen.

Worin besteht die Herausforderung beim Restaurieren?
Nicht zu viel und nicht zu wenig machen. Bei jedem Möbelstück gibt es zuerst eine Sitzung in der Werkstatt, zumeist zu dritt. Wir analysieren das Objekt und sagen: Das können wir stehen lassen, nein, das geht gar nicht, das müssen wir auswechseln und so weiter. Natürlich steht der Komfort an oberster Stelle. Wir verkaufen nichts, das defekt ist. Es ist immer eine Gratwanderung, nur so viel zu restaurieren, dass die Patina nicht verloren geht.

Welche Materialien gehen zuerst kaputt, welche sind am robustesten?
Wir restaurieren praktisch alles. Aber Kunststoff ist wirklich eine Wissenschaft für sich und sicherlich am schwierigsten. Wir arbeiten dabei mit Leuten, die sich auf diesem Gebiet gut auskennen. Wir haben auch ein sehr großes externes Netzwerk von Glasschneidern, Glasbläsern, Schnitzern und Drehern. Für jeden Bereich kennen wir Spezialisten. Wir lassen sogar einzelne Schrauben nachdrehen, weil diese Details das Ergebnis ausmachen.

Und was ist das Zweitschwierigste?
Lampenschirme, also Papier als solches. Dann würde ich sagen Stoff. Polstermöbel nehmen wir ganz auseinander, bringen die Elemente zur Trockenreinigung, um den Mief von all den Jahren wirklich zu entfernen. Wenn man helle Hölzer wie Pinie oder Ahorn zu sehr abschleift, sehen sie aus wie neu. Da muss man mit der Patina ganz vorsichtig sein. Am allerbesten und einfachsten ist Teakholz. Man kann es mit einem Schwamm reinigen, trocknen lassen und dann mit Öl behandeln. Das zieht gut ein und ist unglaublich schön.

Wie steht es mit Farben?
Wir haben eine eigene Spritzerei, in der wir Oberflächen färben können. Das muss auch nicht immer der Originalton sein. Manchmal bringt uns ein Kunde einen Kleiderständer aus den Siebzigerjahren, der für sich ganz schön ist. Doch er ist in einer hässlichen Farbe lackiert, die nicht ins Interieur passt. Wenn wir dann gebeten werden, den Ständer in einem sanften Pink zu färben, dann machen wir das.

Sie kitzeln also mitunter eine Qualität heraus, die über das Original hinausgeht?
Natürlich versuchen wir, die Dinge so zu belassen, wie sie sind. Aber mitunter ist es legitim, die Farbe zu wechseln oder einen neuen Stoff aufzuziehen, weil dieses Objekt ganz anders zur Geltung kommt. Schließlich muss es seinen Platz in einem heutigen Kontext finden. Farben sind immer zeitgebunden. Daher ist es manchmal notwendig, sie zu ändern. Nur so kann man den Dingen ein neues Leben geben.

Wie sind Sie zum Restaurieren gekommen?
Ich bin eigentlich Betriebswirt. Aber schon als kleines Kind bin ich in der Werkstatt meines Vaters herumgerannt und habe mit Holz gespielt. Mein Vater hat Antiquitäten restauriert. Er hat mir alles erklärt: Das ist Muranoglas, das ist Messing, das ist Palisander, das ist ein persischer Teppich und so weiter. Ich war dann Feuer und Flamme und bin gerne zu Flohmärkten gegangen, habe Bücher über gekauft Möbel. Damals gab es noch kein richtiges Internet. Und so habe ich mich immer weitergebildet und dann diese Firma gegründet. Erst habe ich einen, dann zwei Restauratoren angestellt. Ich selbst habe keine handwerkliche Ausbildung.

Wie würden Sie Ihre Expertise beschreiben?
Vielleicht kann man das mit der Rolle eines Kurators beschreiben: jemand mit dem scharfen Auge, der genau weiß, wie ein Objekt empfunden wurde in seiner Zeit und wie es heute aussehen muss. Ich habe einen sehr hohen Respekt für die Handwerker, die sich mit einzelnen Techniken wie Schreinerei, Flechtwerk oder Metallverarbeitung bestens auskennen. Aber es braucht in diesem Fall auch jemanden, der immer das Ganze sieht, der ein Objekt einordnen kann. Genau das habe ich von meinem Vater gelernt.

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