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Experimentieren mit Beton

Die Arbeit des Studios Tezontle bewegt sich zwischen Kunst und Architektur

Das Studio Tezontle ist weder Künstleratelier noch Architekturbüro. Es wurde 2015 von den Architekten Lucas Cantú und Carlos H. Matos in Mexiko-Stadt gegründet. Was damit begann, dass sich zwei Designer einen Arbeitsraum teilen, entwickelte sich rasch zu einer gemeinsamen gestalterischen Vision.

von Renata Becerril, 04.10.2021

Ohne Angst vor formalen oder disziplinären Kategorien sind die Skulpturen und Architekturen des Studios konzeptionell ausgereift und formal so kühn wie ihr bevorzugtes Arbeitsmaterial, der Beton. Wir sprachen mit Lucas Cantú über den Einfluss der mexikanischen Moderne auf die Arbeit von Tezontle, das Studio als Ort der Inspiration und die Nachhaltigkeitsdebatte um den Werkstoff Beton.

Ist die Materialität des Lavagesteins „Tezontle“, das erst flüssig ist und dann fest – wie auch Beton – die inhaltliche Verbindung zu Ihrem gleichnamigen Studio?
Lucas Cantú: Das ist vielleicht eine gute Assoziation, wir hatten nicht so darüber nachgedacht. Lava ist zuerst in einem flüssigen Zustand und härtet dann aus, wie Beton. Tezontle – das Wort stammt aus der aztekischen Sprache – entsteht aus dem erstarrten Schaum der Lava, daher seine Porosität. Seine roten und violetten Farbtöne kommen von der Oxidation. Es ist ein Material, das die alte und die moderne Geschichte Mexikos miteinander verbindet: Man kann es an den Pyramiden des Templo Mayor in Mexiko-Stadt, an einem Gebäude von Mario Pani oder an einem Bauwerk aus der Kolonialzeit sehen. Direkt vor unserem Haus steht ein Gebäude aus dem Jahr 1720, das mit Mosaiken aus rotem Tezontle bedeckt ist.

Und warum arbeiten Sie gerne mit Beton?
Es war schon immer ein sehr vertrautes Material, das in Mexiko-Stadt während des Modernismus am häufigsten verwendet wurde und das den Wachstum von Städten wie Brasília oder Metropolen im Nachkriegseuropa ermöglicht hat. Beton hat einen sehr ausdrucksstarken und experimentellen Charakter, er ist unser Ausgangspunkt. Wir arbeiten mit verschiedenen Zuschlagstoffen, um unterschiedliche Farben und Oberflächen zu erzielen. Beton ist auch sehr edel, wie flüssiger Stein. Und er ist bescheiden: Man kann ihn im Laden an der Ecke kaufen.

Was sind Ihre formalen Inspirationsquellen?
Uns fasziniert all das, was während der modernen Bewegung in Mexiko entstanden ist. Carlos Mérida hat beispielsweise mehrere künstlerische Interventionen in Gebäuden geschaffen, indem er Beton für Wandmalereien, Flachreliefs und Hochreliefs verwendete. Aber auch andere Künstler wie Ortiz Monasterio, Federico Silva oder Mathias Goeritz schufen Werke aus Beton. Es gibt eine ganze Generation, die den Werkstoff auf künstlerische Weise verwendet hat.

Beeinflusst in Ihren Arbeiten die Bildhauerei die Architektur – oder umgekehrt?
Unsere Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass wir mit einem Bein in der Architektur und mit dem anderen in der Welt der Kunst und der Bildhauerei stehen. Vielleicht sind die Kategorien irrelevant, denn die Skulptur ist von der Funktion befreit, obwohl es Ausnahmen von der Regel gibt. Das Hin und Her zwischen den beiden bereichert jedenfalls unsere Arbeit. In der Bildhauerei können wir frei experimentieren und dabei entdecken wir plötzlich Dinge, die auf die Architektur anwendbar sind.

Wie laufen Ihre Architekturprojekte ab?
Wir machen wenig Architektur. Diese Projekte sind sehr langwierig. Und die Projekte müssen es uns auch immer erlauben, uns frei ausdrücken zu können. Da gehen wir keine Kompromisse ein. Doch einige Aufgabenstellungen haben es uns schon ermöglicht, unsere Vision auch in der Architektur voranzutreiben. Fast alle unsere bisherigen Projekte befinden sich am Strand, in den Bergen, in der Natur oder an besonders abgelegenen Orten.

Wie können wir uns Ihr Studio vorstellen?
Wenn man unser Studio besucht, würde man nicht auf die Idee kommen, dass es sich um ein Architekturbüro handelt. Es gibt keine Computer, keine Leute, die mit AutoCAD arbeiten oder perfekte Balsaholzmodelle bauen. Es ist ein Künstleratelier oder ein Studio für experimentelle Skulpturen. Wir sind klein und auch nicht daran interessiert, weiter zu wachsen. Man kommt nicht wegen einer architektonischen Dienstleistung zu uns, sondern um jemanden zu finden, der eine eigene Sprache und eine Vision besitzt.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie Ihr Studio als eine Art Kuriositätenkabinett betrachten. Brauchen Sie diese Umgebung für Ihre Inspiration?
Unser Studio ist ein Katalysator. Ein Raum, in dem wir Dinge sammeln, den wir ständig verändern und weiterentwickeln. Gerade entsteht dort ein Wandbild und es ist voller Staub. Unser Vorbild ist der Arbeitsraum von Ray und Charles Eames in Kalifornien, denn von Objekten und Büchern umgeben zu sein, beeinflusst die Art und Weise, wie man arbeitet. Wir entdecken plötzlich einen Stein, ein Stück Holz, das wir von Yucatán mitgebracht haben und eine prähispanische Figur, die wir auf dem Markt von Lagunilla gekauft haben. Wir setzen sie zusammen – und vielleicht inspiriert uns das zu etwas Formalerem.

Stellt die ökologische Debatte um Beton Ihre Arbeit damit infrage?
Beton ist das am häufigsten verwendete Material und gleichzeitig das umweltschädlichste. Es ist eine Frage der Nachfrage. Daran hat sich seit den Römern wenig geändert. Unsere nächste Annäherung an die ökologische Debatte war auf der kubanischen Biennale 2019 mit der öffentlichen Skulptur Tenaza in Havanna. Wir haben dort mit Fernando Martirena zusammengearbeitet, dem Ingenieur und Erfinder der LC3-Formel: einem ökologischen Zement, der den Klinker, den abrasiven Teil des Betons, ersetzt. Es gibt Gespräche über eine weitere Zusammenarbeit mit ihm. Ehrlich gesagt, wenn wir auf städtebaulicher Ebene damit arbeiten würden, wären die Auswirkungen signifikanter. Andererseits hinterfragen wir natürlich die Botschaft, die wir selbst mit einem kleinen Werk aussenden.

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