Neues Leben für alte Möbel
Über die gelebte Kreislaufwirtschaft bei Girsberger
Partner: Girsberger
Die Aufarbeitung gebrauchter Möbel ist nicht nur naheliegend, sie sollte in Zeiten zunehmender Ressourcenknappheit selbstverständlich sein. Im Interview erklären Davide Mastrodomenico, Leiter der Geschäftsbereiche Customized Furniture und Remanufacturing, Girsberger AG, und Henning Schweizer, Geschäftsführer Girsberger GmbH, welche Möbel für die Kreislaufwirtschaft geeignet sind und wie sich Produkte nach Jahren der Nutzung noch optimieren lassen.
Wie kam es dazu, dass Girsberger – neben den eigenen Produktkollektionen – mit „Remanufacturing“ nun einen zusätzlichen Service anbietet?
Davide Mastrodomenico: Der Anfang wurde tatsächlich mit einem Serviceangebot gemacht, indem wir uns auf Kundenbedürfnisse eingestellt haben: Nach Jahren der Nutzung waren kleinere Reparaturen, ein Austausch von Polstern oder Oberflächenpflege an Produkten aus unseren eigenen Kollektionen gefragt. Sehr bald merkten wir, welcher Bedarf tatsächlich vorhanden war und boten in der Folge den Service auch herstellerunabhängig an. Nach und nach bauten wir einen eigenen Geschäftsbereich auf, indem wir sehr aktiv an Ausschreibungen von Sanierungsprojekten teilnahmen oder einen potenziellen Kundenkreis direkt ansprachen. Durch unsere interdisziplinär angelegten Werkstätten und unsere jahrzehntelange Expertise bieten wir dafür die besten Voraussetzungen.
Welche Vorteile haben die Kund*innen dadurch?
Henning Schweizer: Interessant ist diese Dienstleistung einerseits für Unternehmen oder Institutionen, die über wertige Stühle und andere Möbel in großen Stückzahlen verfügen und andererseits für Architekturbüros, die für die Sanierung – insbesondere unter Denkmalschutz stehender Räume – verantwortlich sind. Die Vorteile sind vielfältig: Wenn die bestehenden Möbel von grundsätzlich guter Qualität sind, ist eine Rundumerneuerung einerseits um bis zu 50 Prozent günstiger als eine Neuanschaffung von oftmals nicht so hochwertigen Möbeln. Andererseits lassen sich durch den Remanufacturing-Prozess Produkteigenschaften auch noch verbessern oder ergänzen – zum Beispiel hinsichtlich Komfort, Funktion, Ergonomie, Akustik, Pflegeleichtigkeit oder Brandschutz. Nicht zuletzt natürlich auch im Kontext von historischer Bausubstanz hat die Erhaltung bestehenden Mobiliars höchste Priorität.
Inwiefern spielt Nachhaltigkeit dabei eine Rolle?
Henning Schweizer: Nachhaltigkeit ist dabei grundsätzlich ein ganz wesentlicher Faktor: Der Produktlebenszyklus bestehender Möbel wird verlängert und dadurch ein Ressourcenverbrauch durch die Herstellung von neuen Möbeln vermieden, indem rund 85 Prozent des Materials wiederverwendet wird.
Wie läuft der Remanufacturing-Prozess ab?
Davide Mastrodomenico: Wenn die Anforderung geklärt ist, werden die Möglichkeiten einer Möbelsanierung direkt im Gespräch mit den Kunden direkt oder dem beauftragten Architekturbüro aufgezeigt. Dies geschieht in kontinuierlichem Dialog mit uns. Wir fertigen hierzu auch Musterexemplare in unterschiedlichen Ausführungen, um etwa Farbstellungen, akustische Eigenschaften und Sitzkomfort erproben zu können. Wir verstehen uns hier wirklich als Dienstleister in der Sache und setzen Kunden- beziehungsweise Architektenwünsche um. Hinsichtlich ästhetischer Fragen halten wir uns vollständig zurück – unsere Beratung reduziert sich dabei auf die Auswahl von geeigneten und für den Einsatz zweckmäßigen Materialien, Oberflächenbehandlungen oder Lösungen.
Henning Schweizer: Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass es im Objektbereich nun sehr viele bekannte Möbelklassiker in großen Mengen gibt, die einige Jahrzehnte genutzt wurden und deutliche Gebrauchsspuren aufweisen. An unserem Standort in Endingen ist die Kompetenz für die Sitzmöbelherstellung bei Girsberger gebündelt und daher ideal für eine effiziente Umsetzung auch von Sanierungsaufgaben im Sitzmöbelbereich. Remanufacturing ist jedoch nur ab einer größeren Stückzahl sinnvoll realisierbar. Unser Service umfasst dann natürlich auch die gesamte Logistik wie Abholung und Rücktransport, teilweise auch das Stellen von Ersatzmöbeln zur Überbrückung der Sanierungsphase. Wir begleiten den Prozess jeweils bis zur Endabnahme.
Welche Möbelstücke eignen sich für eine vollständige Überholung, welche eher nicht?
Davide Mastrodomenico: Es sind vor allem Sitzmöbel in Konzert-, Kongress-, Veranstaltungs- und Sitzungssälen, aber auch in Büros, in Restaurants, in kirchlichen Zentren, sozialen Einrichtungen oder Seniorenheimen. Eine grundsätzlich wertige Substanz ist als Ausgangslage notwendig. Möbel aus Massivholz oder mit hohem Massivholzanteil, Möbel mit Metallgestellen sowie Möbel mit Polsteranteil sind besonders geeignet. Wesentlich ist auch ein konstruktiver Aufbau, der ein sortenreines Auseinandernehmen von Bestandteilen ermöglicht.
Wie lassen sich Möbel – beispielsweise in einer denkmalgeschützten Bausubstanz – an moderne Anforderungen anpassen?
Davide Mastrodomenico: Im denkmalgeschützten Kontext gibt es vielerlei Anpassungsmöglichkeiten. Beispielsweise spielen in Konzert- oder Theatersälen neben der rein optischen Wirkung die Verbesserung von Brandschutz- und Akustikeigenschaften eine wesentliche Rolle – aber auch eine Erneuerung von Scharnieren, Klappmechanismen oder Drehlagern, die nicht mehr richtig beziehungsweise nicht lautlos funktionieren. Die Optimierung von Brandschutzeigenschaften erfolgt durch die Verwendung entsprechend geeigneter, schwer entflammbarer Polstermaterialien und Bezugsstoffe. Akustikeigenschaften können durch einen entsprechenden Polsteraufbau, geeignete Textilien oder beispielsweise rückseitig an den Lehnen integrierte, akustisch wirksame Lochplatten umgesetzt werden. Aber auch der Sitzkomfort kann deutlich optimiert und hinsichtlich ergonomischer Eigenschaften verbessert werden.
Wie gehen Sie bei einer Modernisierung im laufenden Betrieb, zum Beispiel bei Konzerthäusern oder Theatern, vor?
Davide Mastrodomenico: Bei der Sanierung der Bestuhlung im KKL Luzern haben wir in fünf Etappen Reihe für Reihe ausgebaut, neue Polsterelemente im Werk vorfabriziert und dann in einer mobilen Werkstätte in einem Container direkt vor Ort Stück für Stück finalisiert und anschließend wieder im Konzertsaal montiert. Jedes Projekt ist aber ganz individuell und ebenso die Vorgehensweise. Wir richten uns dabei nach den Gegebenheiten. Aber auch im Falle von Verwaltungsbauten und Sanierungsbedarf bei Konferenz- oder Büromöbeln können wir chargenweise vorgehen – ganz nach Bedarf und Wunsch der Kunden und natürlich auch entsprechend unserer eigenen Auslastungsmöglichkeiten im Werk.
Beobachten Sie in den vergangenen Jahren eine stärkere Rückbesinnung darauf, Dinge zu erhalten anstatt sie zu ersetzen?
Henning Schweizer: Es ist im Zusammenhang mit einer steigenden Umweltsensibilität und damit auch dem Thema Kreislaufwirtschaft ganz deutlich eine Sensibilisierung zu spüren. In jedem Fall ist der nachhaltige Ansatz unseres Remanufacturing-Bereichs eine sehr gute Ausgangsbasis für Gespräche. Unternehmen können durch die Verlängerung von Produktlebenszyklen und Einsparung von Ressourcen am besten zum Klima- und Umweltschutz beitragen und dies auch in ihrer CO2-Bilanz positiv verbuchen. Auch das Thema Upcycling ist ja derzeit ein Trendthema und spielt eine große Rolle. Architekten, Innenarchitekten und Designer finden im Rahmen von Einrichtungs- und Bauvorhaben hierbei ein großes Potenzial, Bauherren und Auftraggeber bei der Verwirklichung ihrer Nachhaltigkeitsziele zu beraten.
Sie arbeiten herstellerunabhängig. Bietet das Angebot von Remanufacturing für einige Kund*innen dennoch einen Grund, sich für ein neues Girsberger-Produkt zu entscheiden?
Davide Mastrodomenico: Es kommen alle Varianten von firmeninternen Kooperationen vor: Oft ergeben sich in Projekten kombinierte Aufgabenstellungen mit dem Geschäftsbereich Customized Furniture, in dem wir kundenspezifisch ganz neue Möbel oder Einrichtungslösungen fertigen. Zum Beispiel handelte es sich beim Stadtcasino Basel in der Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron um solch ein kombiniertes Projekt: Im Stehlinschen Musiksaal wurden 1.388 Klappsitze in Anlehnung an Originalmodelle neu nachgebaut, im Hans-Huber-Saal wurden die Klappsitze mit Strohgeflecht saniert. Außerdem entstanden neue, mit Textil bespannte Baldachine und ein zentrales Sitzelement fürs Foyer. In anderen Projekten kommt es wiederum vor, dass Produkte aus unseren eigenen Kollektionen bei der Umsetzung von Renovierungsvorhaben ins Projekt einfließen.
Henning Schweizer: Wenn ich Ihre Frage so verstehe, dass die Möglichkeit einer späteren Reparatur oder Auffrischung von Polstern oder Oberflächen ein Argument für die Anschaffung von unseren Kollektionsmöbeln ist, kann ich dies in jedem Falle bejahen. Bereits beim Design berücksichtigen wir Nachhaltigkeitsaspekte und dazu zählt – neben einer dauerhaft gültigen Formensprache, einer hochwertigen, langlebigen Qualität von Materialien – auch ein sortenreiner konstruktiver Aufbau. Auf diese Weise ist ein späterer Austausch von Einzelteilen sehr leicht möglich. Die Reparierbarkeit wird heutzutage wieder zunehmend ein Aspekt der Kaufentscheidung.
Haben Sie ein Traumprojekt, das Sie gerne einmal umsetzen würden?
Davide Mastrodomenico: Wir haben bereits sehr viele Traumprojekte umgesetzt, die uns und unser Können sehr gefordert haben. Es ist uns jedes Mal eine große Freude, unser ganzes Know-how und die handwerklichen Fähigkeiten einzusetzen. Jedes Projekt hat andere Facetten und wenn wir auf unserer ganzen Klaviatur spielen können – auch in Zusammenarbeit mit Spezialisten als Netzwerkpartner – erfüllt uns dies ganz besonders. Grundsätzlich sind wir aber ganz offen und freuen uns über alle Herausforderungen.
FOTOGRAFIE © Girsberger
© Girsberger
Girsberger
Die Schweizer Unternehmensgruppe wurde im Jahr 1889 als Drechslerei gegründet und entwickelte sich bald zu einem namhaften Sitzmöbelhersteller. Schwerpunkt des Angebots sind heute qualitativ hochwertige und innovative Möbellösungen für den Büro-, Objekt- und Wohnbereich sowie eine besondere Verarbeitungskompetenz im Segment Massivholz.
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