Im Interview spricht Ernst Holzapfel, Marketing-Direktor von Sedus, über hybride Arbeitsumgebungen und den Einfluss dritter Orte auf ihre Gestaltung. Workcafés sind für ihn sowohl Räume des Austauschs als auch des Rückzugs.
Auf der Orgatec hat Sedus 18 neue Produkte für das Workcafé vorgestellt. Warum ist dieser Ort so wichtig?
In vielen Städten entstehen neue Geschäftsmodelle: Hotels bieten nicht mehr nur Übernachtungen, sondern auch Arbeitsräume an. Buchhandlungen integrieren Cafés, um Kunden nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Arbeiten anzulocken. Gleichzeitig werden Büros immer hybrider. Flexibilität, Funktionalität und soziale Interaktion stehen im Mittelpunkt. Wir sprechen von den vier Cs: Concentration, Communication, Collaboration und Contemplation. Unsere Feldforschung zeigt, dass sich Büros zunehmend von dritten Orten wie Cafés oder Bibliotheken inspirieren lassen.
Inwiefern?
Hier kommt ein fünftes C ins Spiel: Connection. Seit der Pandemie sprechen wir verstärkt über Flexibilität und Agilität – aber auch über eine subtile Duktilität. Es geht darum, hybride Räume zu schaffen, die sich an wandelnde Organisationsstrukturen anpassen und neue Anforderungen ohne großen Aufwand integrieren können. Gleichzeitig achten Unternehmen verstärkt darauf, ihre Kultur und Werte räumlich erlebbar zu machen.
Was spielt dabei sonst noch eine Rolle?
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Interpretierbarkeit: Nutzer sollen ihre Umgebung aktiv mitgestalten können. Je nach Arbeitsmodus entscheiden sie, wie sie den Raum nutzen – ob konzentriert für sich, entspannt bei einer Tasse Kaffee oder im informellen Austausch mit Kollegen. Workcafés sind der Inbegriff dieser neuen Arbeitswelt: Sie verbinden Funktionalität mit Atmosphäre und machen das Büro zu einem Ort, an dem Menschen gerne zusammenkommen, kreativ arbeiten und sich weiterentwickeln.
Warum sollen die Menschen überhaupt noch ins Büro kommen, wenn sie dann an dritten Orten arbeiten können?
Tatsächlich stellen Co-Working-Spaces inzwischen eine gewisse Konkurrenz dar. 40.000 haben weltweit im vergangenen Jahr eröffnet. Etwa 14 Prozent der Büroarbeiter weltweit arbeiten hybrid. Wenn Angestellte nicht im Büro sind, verbringen 50 Prozent von ihnen ihre Zeit an dritten Orten statt im Homeoffice. Was fürs Büro spricht: Statt wildfremder Menschen wie in einer Hotellobby treffen sie hier ihre Kollegen. Viele Unternehmen haben nicht mehr fest zugewiesene Arbeitsplätze. Sie denken in modularen Lösungen, in variablen Systemen. Es geht dabei um mehr Wohnlichkeit, um Sitzlandschaften, um eine inspirierende Atmosphäre, in der sich die Kollegen gerne austauschen und zusammenarbeiten. Aber auch Rückzug und Entspannung sind möglich.
Warum passen Arbeit und Kaffee eigentlich so gut zusammen?
Kaffee oder Tee sind ein Sinnbild für Momente, die wir genießen, die wir mit Gemütlichkeit und Vertrauen verbinden. Diesen Moment zu schaffen, darum geht es auch, wenn wir uns mit Freunden treffen. Bei Sedus sprechen wir lieber von Work-Life-Blend statt von Work-Life-Balance. Wir leben ja auch, wenn wir arbeiten. Beim Café kommen Sinneswahrnehmung und eine bestimmte Atmosphäre zusammen, die durch Licht, Farben und Materialien entsteht.
Wie profitieren Planende von Ihrer Expertise in Sachen Workcafé?
Bei unseren Untersuchungen haben wir vier Archetypen des Workcafés identifiziert: die Bibliothek, den Club, den Hub und den Garten. Es gibt bei uns auch einen Schnelltest mit fünf Fragen online, wo man sich als Unternehmen oder Mitarbeiter verortet. Unsere Produkte harmonieren miteinander, unabhängig davon, welcher Archetyp für ein Unternehmen passt, ob es etwas ruhiger oder dynamischer sein soll, repräsentativ oder naturbelassen. Die Produkte lassen sich so „kleiden“, dass sie diese Atmosphäre hervorheben. In unserem Colour Cookbook gibt es vier Hauptfarben und Trendrichtungen, die man auf die Produkte in dieser Arbeitsumgebung anwenden kann.
Und welche Möbel kommen dort zum Einsatz?
Von einem niedrigen Holzstuhl für den Loungebereich über ein modulares Sofa-Programm bis hin zu Softchairs, die man tendenziell eher in Restaurants oder Cafés sieht, ist alles dabei. Für informelle Meetings eignen sich High Desks mit hohen, weich gepolsterten Bänken. Und dann gibt es noch ein Küchenmodul. Wir nennen es die Kaffeebar. Es kann frei im Raum stehen und von der Rückseite als Pin- oder Whiteboard genutzt werden.
Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit bei Sedus?
Wir verstehen Nachhaltigkeit unter drei Aspekten: People, Planet, Profit. Mit diesem Grundsatz machen wir deutlich, dass unser Unternehmensziel sowohl auf wirtschaftlicher als auch auf ökologischer und sozialer Ebene immer einen Mehrwert schaffen muss. Ergonomie ist für uns ein wichtiges Credo, damit Menschen gut sitzen. Wir schauen aber auch, dass wir bereits beim Designprozess Überflüssiges weglassen.
Wie funktioniert das?
Wir reduzieren den Materialeinsatz auf ein Minimum und verwenden gleichzeitig Werkstoffe wie Rezyklat, um unseren CO2-Fußabdruck zu verringern. In unserem Prüflabor testen wir die Möbel außerdem auf Herz und Nieren. Denn uns ist wichtig, dass nicht die Produkte zurückkommen, sondern die Kunden. Ziemlich einzigartig ist, dass Sedus zu 93 Prozent zwei Stiftungen gehört. Zwei Drittel des Gewinns gehen an die Stiftungen zurück und werden durch die Stiftungsarbeit in internationale, soziale Projekte investiert.
Ein Blick in die Zukunft: Wie werden sich Arbeitsumgebungen perspektivisch entwickeln?
Ich persönlich gehe sehr stark davon aus, dass das Thema hybride Gemeinflächen, zu dem wir kürzlich auch eine Ausgabe unseres Magazins Sedus INSIGHTS veröffentlicht haben, bleiben wird. Die Bürowelten sind Welten, in denen die Menschen sich miteinander verknüpfen. Es geht um Flexibilität. Es geht um menschenzentrierte Arbeitsumgebungen. Das wird weiter zunehmen. Andererseits setzen wir Menschen auch auf das, was uns bekannt ist. Das kennen wir aus der Mode. Wir suchen nach Ankerpunkten, die uns Sicherheit geben. Deswegen sehe ich in der Mischung ein ganz spannendes Umfeld, in dem wir Bekanntes, aber auch viel Neues miteinander verknüpfen. Ich sehe verstärkt modulare, nachhaltige und inspirierende Konzepte. Und natürlich wird das Thema Workcafé aus meiner Sicht in den nächsten Jahren eine sehr zentrale Rolle einnehmen.
Sedus
Sedus zählt zu den führenden Komplettanbietern für Büroeinrichtungen und Arbeitsplatzkonzepte. Als Büromöbelhersteller und Technikpionier hat Sedus in seiner über 150-jährigen Firmengeschichte mit den innovativen Produkten und Lösungen immer wieder Maßstäbe gesetzt – vor allem in den Bereichen Ergonomie, Design und Nachhaltigkeit.
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