Menschen

Ukrainische Perspektiven #3

Interview mit Interiordesigner Oleksandr Maruzhenko von Men Bureau

Das Studio Men Bureau wurde von Oleksandr Maruzhenko in Kiew gegründet. Das kleine, multidisziplinäre Team möchte Interieurs im öffentlichen und privaten Bereich stets eine puristische, zeitlose Ästhetik verleihen. Detailverliebtheit, Materialität und „Slow Design“ stehen dabei klar im Fokus, während gehypte Trends gemieden werden. Wir sprachen mit dem Interiordesigner Oleksandr Maruzhenko über Arbeit unter dauerhaftem Beschuss, den militärischen und metaphorischen Kampf der Ukrainer*innen und eine unermüdliche Lust am Fortschritt.

von Annette Schimanski, 02.01.2023

Oleksandr, erzähle uns ein wenig von Deinem Büro.
Ich habe das kleine Studio Men Bureau mit mehreren Gleichgesinnten gegründet. Wir haben nie das Bedürfnis gehabt, Trends und Modeerscheinungen hinterherzujagen. Es ist viel wichtiger, sich selbst zu verstehen, denn dann verschwindet der Drang, sich irgendwelchen generischen Vorgaben beugen zu müssen.

Wie würdest Du Eure Designphilosophie beschreiben?
Wir wählen sorgfältig aus, an welchen Projekten wir arbeiten, weil es uns wichtig ist, uns voll und ganz in jedes Detail zu vertiefen. Wir glauben, dass Details nicht einfach Details sind, sondern letztendlich den Entwurf ausmachen. Der Charakter jedes Projekts wird durch zeitloses Design, die Wahl der Materialien und die Gestaltung der Details definiert. Unser Team schafft ästhetische Räume, die durch Texturen, Lichteinfall und konstruktive Details die Grundlage für ein klares und zeitloses Design bilden.

Wie haben Du und Dein Team die ersten Tage des Krieges erlebt? Und wie lebt und arbeitet Ihr heute?
Am ersten Tag des Krieges haben wir alle Kiew verlassen. Aber nach eineinhalb Monaten wurde uns klar, dass wir zurückkehren und die Arbeit wieder aufnehmen müssen. Wir sind keine Soldaten, aber jeder von uns muss an seiner eigenen Front kämpfen. Russland hat in den ersten 163 Tagen des Krieges mehr als 3.000 Raketen auf die Ukraine abgefeuert. Es ist unmöglich, sich an solche Zahlen zu gewöhnen. Mit dem Bewusstsein, dass Krieg herrscht, ist es viel schwieriger, an Projekten zu arbeiten. Es ist schwer, etwas Schönes zu schaffen, wenn man all diese Informationen im Kopf hat. Aber gleichzeitig haben wir alle gelernt, die Wut in Taten umzusetzen.

Konntet Ihr die Arbeit an Euren laufenden Projekten fortsetzen beziehungsweise beenden?
Leider nicht. Wir hatten mehrere Projekte, an denen unser Team hart gearbeitet hat. Sie befanden sich teilweise auf der Zielgeraden. Doch leider begann Russland damit, unsere Städte zu beschießen, und die internationalen Investoren, mit denen wir zusammengearbeitet haben, verließen unser Land. Inzwischen konnten wir die Arbeit an einem der Projekte wieder aufnehmen, aber durch den erneuten Beschuss unserer Stadt wird auch dieses Projekt immer wieder pausiert.

Arbeitet Ihr ausschließlich an Projekten im eigenen Land?
Insgesamt gibt es nur noch wenige neue Projekte in der Ukraine, aber wir arbeiten weiterhin mit internationalen Kunden zusammen. Das ermöglicht es uns, unsere Wirtschaft mit Steuern zu unterstützen und für unsere mutigen Soldaten zu spenden, die nicht nur für die Ukraine, sondern auch für alle europäischen Länder kämpfen. Für uns ist klar, dass Putin, wenn er jetzt nicht gestoppt wird, weitere Länder Europas angreifen wird.

Wollt Ihr Euch in Zukunft auf Projekte in der Ukraine konzentrieren oder noch mehr international arbeiten?
Vor dem Krieg hat unser Team Projekte sowohl in der Ukraine als auch im Ausland geplant. Wir haben Erfahrung mit der Leitung von Projekten in den USA, Frankreich und leider auch in Russland. Dank der Pandemie haben wir gelernt, von überall aus zu arbeiten. Viele Ukrainer sind durch den russischen Angriff arbeitslos geworden. Wir sind also mehr denn je auf internationale Zusammenarbeit angewiesen.

Habt Ihr jemals daran gedacht, selbst langfristig das Land zu verlassen, als Ihr fliehen musstet?
Ein Teil unseres Teams ist derzeit vor Ort ehrenamtlich tätig, ein anderer Teil ist nach Spanien und Portugal gegangen. Wir arbeiten weiterhin digital und aus der Ferne, sind immer vernetzt. Wir sind Ukrainer, wir sind stark und wir werden niemals aufgeben. So werden wir weiterhin von überall unsere Projekte bewältigen, egal was passiert.

Die Zukunft wirkt ungewiss, manchmal beängstigend. Welche Rolle werden Deiner Meinung nach Architekt*innen und Designer*innen in der Zukunft der Ukraine spielen?
Ukrainische Designer und Architekten sind sehr kreativ und fleißig – und zwar immer. Das ist unsere Essenz und Identität. Projekte unserer Kollegen werden in Medien auf der ganzen Welt veröffentlicht. Und wir sind sehr froh, ein Teil davon zu sein.

Alles, was zerstört wurde, werden wir hundertmal schöner, besser und effizienter wiederaufbauen. Es werden ein paar Jahre darüber vergehen, aber viele werden überrascht sein, was für talentierte Menschen wir sind.

Gibt es noch etwas, das Du unseren Leser*innen mitteilen möchtest?
Bitte hört nicht auf, die Ukraine zu unterstützen. Jeder Beitrag ist wichtig für uns. Wir sind sehr dankbar für jeden, der nicht schweigt und uns unterstützt. Alles, worum ich persönlich bitte, ist, dass Ihr weiterhin zu den Kundgebungen geht, Nachrichten teilt und Euch vielleicht auch ehrenamtlich engagiert. Transnistrien, Tschetschenien, Georgien, Syrien, die Ukraine – wenn wir das jetzt nicht stoppen, wird Russlands imperialer Hunger wahrscheinlich nie nachlassen.


Am 24. Februar 2022 begann in der Ukraine ein Krieg, der das Leben von Millionen von Menschen schlagartig veränderte. Berufliche Projekte und Ziele wurden irrelevant, denn plötzlich standen Flucht oder Verteidigung an erster Stelle. In den folgenden Monaten haben viele Kreative ihre Arbeit jedoch wieder aufgenommen und blicken heute trotz aller Widrigkeiten mit Optimismus in eine noch ungewisse Zukunft. Wir haben in den vergangenen Wochen mit ukrainischen Designer*innen und Innenarchitekt*innen darüber gesprochen, wie ihr Arbeitsalltag in einer dauerhaft angespannten Lage aussieht. Dieses Interview gehört zu einer Reihe von Gesprächen, die wir mit ukrainischen Kreativen führen. Weitere Beiträge werden im regelmäßigen Abstand folgen.

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Links

Men Bureau

www.men-bureau.com

Ukrainische Perspektiven #2

Slava Balbek von Balbek Bureau

www.baunetz-id.de

Ukrainische Perspektiven #1

Kateryna Vakhrameyeva von +kouple

www.baunetz-id.de

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