Menschen

Ukrainische Perspektiven #1

Ein Interview mit Kateryna Vakhrameyeva von +kouple

Vor acht Jahren gründete Kateryna Vakhrameyeva mit ihrem Ehemann Dan das Designstudio +kouple in Kiew, das auf Produkt- und Interiordesign spezialisiert ist. Ihre Entwürfe folgen minimalistischen Linien und Formen und entstammen einer „lakonischen“, nüchternen Herangehensweise. Wir haben uns mit der Designerin über alte Routinen in einer neuen Krisensituation, die Re­si­li­enz der Ukrainer*innen und die Zukunft des Landes unterhalten.

von Annette Schimanski, 28.09.2022

Kateryna, erzähl uns ein wenig von Eurem Büro und Eurer Designphilosophie.
+kouple haben wir 2014 gemeinsam als Paar gegründet. Zwei Jahre später haben Dan und ich geheiratet. Unser Fokus liegt auf Beleuchtung. Wir entwerfen aber auch Möbel und andere Einrichtungsgegenstände und nehmen sehr selektiv auch Interiorprojekte an. Wir arbeiten international, aber der Prozess beginnt stets in Kiew, wo wir leben und auch bleiben werden – egal, was passiert. Wir unterstützen ukrainische Hersteller und versuchen auch, lokale Anbieter zu beauftragen, um die Community vor Ort zu unterstützen. Das ist ein Prinzip, auf das wir uns schon lange vor dem Krieg geeinigt haben. Unser Unternehmen basiert auf persönlichen Werten, die sehr simpel zu definieren sind: minimalistisches, klares Design, die Philosophie „Weniger ist mehr“, Ehrlichkeit, ständiges Wachstum. Persönliche Beziehungen gehen vor Profit. Und: keine Kompromisse bei der Qualität.

Wie habt Ihr die ersten Tage des Krieges erlebt?
Als am Morgen des 24. Februar die ersten Bomben fielen, reagierten wir so schnell wir konnten. Wir kümmerten uns um unsere Familien, bereiteten sie auf eine Abreise vor. Im Büro beantworteten wir noch alle Anfragen und informierten unsere internationalen Kooperationspartner über die Situation. Noch am Abend verließen wir Kiew, um eine sichere Unterkunft für unsere Eltern und Geschwister und deren Kinder zu finden. Danach konzentrierten wir uns auf gemeinnützige Aufgaben. Am vierten Tag nach Beginn der Invasion starteten wir die Kampagne „BEVEL Molotov“, bei der Spenden für das ukrainische Militär gesammelt wurden. Alle Spendenteilnehmer aus 23 verschiedenen Ländern erhielten Leuchten als Dankeschön von uns. Das Geld und diverse Gegenstände gingen direkt an die Armee.

Und wie ging es dann weiter?
Zwei Monate lang konzentrierten wir uns auf ehrenamtliche Arbeiten jeglicher Art und unterstützten den Widerstand, so gut es ging. Im Mai kehrten wir schließlich nach Kiew zurück und nahmen erneut unsere Arbeit auf. Die ukrainischen Lieferanten wollten unbedingt wieder Aufträge haben. Und mit einer unglaublichen Unterstützung unserer internationalen Einzelhändler, Freunde sowie Designer und Architekten gelang es uns, die Produktion voll in Gang zu bringen. Wir konnten laufende Aufträge abschließen, jedoch mit einer zweimonatigen Verspätung. Seither sind alle Interiorprojekte im Land für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt worden.

Wie haben sich Eure Routinen verändert und wie gelingt es Euch, unter den neuen Umständen weiterhin die Arbeit zu bewältigen?
Es gilt immer noch, tägliche Herausforderungen zu meistern und viele Probleme zu lösen, Dinge anzupassen, zu verwalten und zu organisieren. Einige Produktionsstätten befinden sich in stark bombardierten Gebieten, andere wurden geschlossen – ohne Aussicht auf Wiedereröffnung. Wir mussten daher viele Geschäftsbeziehungen neu aufbauen und neue Wege für die Herstellung von Produkten, einzelnen Komponenten oder Verpackungen finden. Die Preise steigen zudem jede Woche weiter an. Die Lieferung dauert viel länger und kostet jetzt doppelt so viel. Jeder Tag ist eine große Herausforderung. Es geht darum, die Produktion am Laufen zu halten. Was uns persönlich betrifft, so sind wir sehr entschlossen und positiv. Unser kleines Team arbeitet hart, während nach wie vor den ganzen Tag über Sirenen in der Stadt heulen.

Habt Ihr jemals daran gedacht, selbst das Land zu verlassen, als Ihr fliehen musstet?
Vom ersten Tag an war es das Hauptziel, Eltern und Kinder in Sicherheit zu bringen, aber wir selbst haben nie daran gedacht, die Ukraine zu verlassen. Wir glauben fest an die Stärke der vielen begabten Menschen in unserer neu entstandenen Gesellschaft. In der Ukraine gab und gibt es immer noch eine Vielzahl von Problemen: Korruption, Ignoranz und schlecht ausgebildete Leute. Wir machen uns da keine Illusionen. Wir sehen alle Schwachstellen unserer Gemeinschaft, die durch das Regime der Post-Sowjetunion erheblich geschädigt wurde. Aber es entsteht auch ein großes Potenzial durch neue Denk­wei­sen, verantwortungsbewusste, zuverlässige, kreative Unternehmer und moderne, aufgeschlossene Menschen. Wir sind absolut sicher, dass dies erst der Anfang unseres kollektiven Wachstums und unserer Entwicklung ist. Es sind historische Zeiten für starke Menschen, die weiterhin arbeiten, schaffen und kämpfen.

Die Zukunft wirkt ungewiss, manchmal beängstigend. Welche Rolle werden Eurer Meinung nach Architekt*innen und Designer*innen in der Zukunft der Ukraine spielen?
Wir sehen die Zukunft sehr positiv. Der Sieg ist nur eine Frage der Zeit, Anstrengung, Hingabe und Stärke unseres Militärs und der Bevölkerung. Und davon haben wir mehr als genug. Wir fokussieren unsere Aufmerksamkeit auf den Wiederaufbau, anstatt uns von der Zerstörung erschüttern zu lassen. Negative Emotionen sind nicht sinnvoll und vor allem nicht hilfreich. Wir hatten von Anfang an die Wahl, uns vom Schrecken einschüchtern zu lassen oder uns selbst zu motivieren. Wir haben uns bewusst für Motivation entschieden.

Wollt Ihr Euch in Zukunft auf Projekte in der Ukraine konzentrieren oder mehr international arbeiten?
Wir arbeiten aktuell zu 70 Prozent an internationalen und nur zu etwa 30 Prozent an ukrainischen Projekten. Es war sehr aufregend zu sehen, dass der ukrainische Markt unsere Arbeit anerkennt und auch vermehrt Vertrauen in die Qualität nationaler Designentwürfe gelegt wird. Es war nicht einfach, sich das zu erarbeiten. Seit 2020 haben sich unsere ukrainischen Aufträge verdoppelt, aber auch der internationale Markt ist gewachsen. Außerdem haben wir 2021 unser erstes internationales Einrichtungsprojekt in Abu Dhabi abgeschlossen und hoffen, dass noch weitere folgen werden. Wir möchten ukrainische Produkte noch bekannter machen. Deshalb nehmen wir jedes Jahr an der Stockholm Furniture and Light Fair teil und haben bereits für Februar 2023 einen größeren Stand gebucht.

Gibt es noch etwas, das Ihr unseren Leser*innen mitteilen wollt?
Ich möchte unsere tiefe Dankbarkeit gegenüber Deutschland und insbesondere gegenüber unseren Berliner Freunden zum Ausdruck bringen, die unsere Familie beherbergt und uns eine Wohnung, Unterstützung, Betreuung und ein wirklich offenes Herz geboten haben. Sehr dankbar sind wir dem Berliner UNDPLUS-Designteam, das den Umzug unserer Familie nach Berlin organisiert hat.


Am 24. Februar 2022 begann in der Ukraine ein Krieg, der das Leben von Millionen von Menschen schlagartig veränderte. Berufliche Projekte und Ziele wurden irrelevant, denn plötzlich standen Flucht oder Verteidigung an erster Stelle. In den folgenden Monaten haben viele Kreative ihre Arbeit jedoch wieder aufgenommen und blicken heute trotz aller Widrigkeiten mit Optimismus in eine noch ungewisse Zukunft. Wir haben in den vergangenen Wochen mit ukrainischen Designer*innen und Innenarchitekt*innen darüber gesprochen, wie ihr Arbeitsalltag in einer dauerhaft angespannten Lage aussieht. Dieses Interview ist das erste einer Reihe von Gesprächen, die wir mit ukrainischen Kreativen führen. Weitere Beiträge werden im regelmäßigen Abstand folgen.

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