Menschen

Faszination für Glas

Unterwegs mit Simone Lüling in einer tschechischen Glashütte

Um die Herstellung ihrer Leuchten zu begleiten, fährt die Designerin Simone Lüling regelmäßig nach Tschechien in eine traditionelle Glasbläserei. Die Gründerin des Labels ELOA nimmt uns mit auf eine ihrer Reisen und erklärt, was für sie die besondere Faszination des Herstellungsprozesses und des Materials ausmacht.

von Judith Jenner, 22.03.2022

Es ist noch dunkel, als Simone Lüling die Glasbläserei betritt. Um 5 Uhr 40 beginnt sie damit, Skizzen auszubreiten und Farben anzuwärmen. Etwas später treffen die ersten Arbeiter ein. Dass ihre Schicht vor dem Morgengrauen beginnt, hat vor allem mit den Temperaturen zu tun, bei denen sie arbeiten. 1.200 Grad Celsius sind notwendig, um das Glas zum Schmelzen zu bringen. Während sich die Räume im Winter noch durch Lüften abkühlen lassen, ist die Hitze im Sommer nur mit der Aussicht auf eine kühle Erfrischung im See auszuhalten.

Seit fünf Jahren fährt Simone Lüling im Schnitt einmal im Monat von Berlin nach Tschechien. Dort fertigt eine Glashütte ihre amorphen Leuchten, Schalen und Vasen. Das Besondere dabei: Sie werden nicht in Holzformen gegossen, sondern frei geblasen. So bekommen sie ihre charakteristische asymmetrische Form. Die Designerin ist bei jedem Stück dabei, um diese Freiheit von frei geblasenen Formen zu kontrollieren. Jedes Stück ist ein Unikat.

Mit langem Atem
Im Gepäck hat die Gründerin des Labels ELOA bei jedem ihrer Besuche Glasfarbsticks. Sie geben dem ansonsten aus Klarglas geformten Korpus seine Farbe. Der pigmentierte Stab wird auf die Pfeife, also das Blasrohr, gesetzt und so lange erwärmt, bis das feste Material wie Honig zerfließt. Auf diese Masse nehmen die Glasbläser mit der Pfeife ein kleines Bällchen auf, das sie erkalten lassen und dann mit einer weiteren Schicht versehen. Diesen Vorgang wiederholen sie mehrmals. Erst dann wird das Glas unter ständigem Drehen des Rohres über dem Feuer geblasen.

Beseeltes Handwerk
Simone Lüling fasziniert der Herstellungsprozess ihrer Leuchten immer wieder von Neuem. „Für mich hat die Fertigung etwas Alchemistisches. Aus soliden Zutaten wie Sand, Kalk und Mineralien entsteht ein transparentes Material, dem die Energie der Menschen, ihre Erfahrung und ihr Wissen anzumerken ist“, sagt sie. „Die Wertigkeit und Langlebigkeit sind sofort spürbar.“

Das Handwerk der Glasbläser hat sich in den vergangenen hundert Jahren kaum verändert, außer dass sie für das Feuer heute Gas statt des Holzes aus den benachbarten Wäldern nutzen. Auch die Nachbearbeitung des abgekühlten Glaskorpus mit verschiedenen Schleifmaschinen und das Polieren mit Pferdehaar laufen noch fast so ab wie früher. Simone Lüling ist nicht die einzige, die auf die tschechische Glasbläserkunst zählt. Immer wieder trifft sie andere Designer*innen und Künstler*innen, die im böhmischen Wald ihre Werke anfertigen lassen. Simone Lüling teilt mit ihnen die Faszination für Glas. „Das Material beinhaltet vieles, das ich mir immer für meine Arbeit gewünscht hatte. Es ist ein freies, künstlerisches Arbeiten, in dem es um den Moment geht. Trotz aller Skizzen und Vorbereitung gibt es nur ein paar Minuten, in denen das Material verformbar ist, bevor es in einen anderen Aggregatzustand übergeht“, sagt sie.

Nach drei Tagen in der Glashütte lädt Simone Lüling die auf Bestellung gefertigte Glasobjekte in ihr Auto. In ihrem Berliner Atelier und Showroom in den Reinbeckhallen in Oberschöneweide verarbeitet sie diese weiter zu Steh-, Tisch- Wand- und Hängeleuchten mit individualisierten Kabeln und Fassungen.

Ihre vollständige Wirkung entfalten die Glasobjekte in der Innenarchitektur. In sehr modernen Projekten setzen sie mit ihrer organischen Formensprache einen Kontrapunkt zur geradlinigen Architektur. Sie passen als glänzende, edle Schmuckstücke oder als poetische feine Handschrift ebenso gut in opulenten farbenfrohen Kontext, zum Beispiel in Hotels im Nahen Osten. Aktuell bereitet sich Simone Lüling auf den Salone del Mobile in Mailand vor, wo sie als Mitglied des Berliner Designerinnenkollektivs Matter of Course an einem gemeinsamen Stand eine Präsentation hat und mit den Möbelmarken Freifrau und Potocco ihre Leuchten vorstellen wird – eine internationale Bühne für ihre handwerklichen Designobjekte.

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