Florale Choreografie
Gartengestalter Piet Oudolf über tanzende Felder, wilde Gräser und erweiterte Wahrnehmung
Piet Oudolf hat den Garten neu erfunden. Der gebürtige Niederländer (*1944) verbannt klassische Zierblumen wie Rosen – sonst die Primaballerinen in der Gartengestaltung – und legt stattdessen den Fokus auf wiesenartige Kompositionen voller Gräser und Disteln. Wir trafen ihn auf dem Vitra Campus in Weil am Rhein anlässlich der Eröffnung seines jüngstes Werks. Ein Gespräch über tanzende Felder, wilde Gräser und erweiterte Wahrnehmung.
Herr Oudolf, Ihre Gärten brechen mit den Konventionen Ihrer Zunft. Die Stars Ihrer Kompositionen sind Gräser, die in traditionellen Grünanlagen eher als Unkraut angesehen werden. Woher kommt das Interesse am scheinbar Unscheinbaren?
Gräser haben mich schon von Anfang an interessiert. Sie bewegen sich und bringen einen Hauch von Wildnis ein. Denn sie lassen unweigerlich an eine Wiese denken. Auch andere Pflanzen erscheinen in der Kombination mit Gräsern wilder. Ein weiterer Punkt ist, dass Gräser erst spät im Sommer ihre Wirkung entfalten, wenn andere Gewächse ihre Farben schon wieder verloren haben. Ihre Blätter wechseln dann ins Orange oder Braune, womit sie eigene, kraftvolle Akzente setzen. Sie überwintern zusammen mit anderen Pflanzen und sorgen dafür, dass ein Garten das ganze Jahr über interessant aussieht und nicht nur für wenige Wochen. Gräser haben also viele Vorteile.
Eine wesentliche Komponente Ihrer Arbeit ist der Wind. Wenn er die langen Halme der Gräser erfasst, bringt er sie regelrecht zum Tanzen.
Ja, der Garten ist in ständiger Bewegung. Gräser besitzen eine architektonische Dimension, schließlich können sie über drei Meter hoch werden. Sie sind charaktervoll und kommunizieren auf eine ganz andere Weise mit dem menschlichen Geist als klassische Blumenarrangements. Durch die Bewegung verliert der Garten alles Statische, alles Steife. Er zeigt sich von einer spielerischen Seite. Aus diesem Grund sind Gräser für mich essenziell geworden.
Ihre Gärten definieren eine sehr dicht gewachsene Ebene nah am Boden, die von einzelnen, vertikalen Pflanzen durchbrochen wird. Man könnte auch sagen: Sie kreieren eine Art pflanzliche Gitterkomposition. Was ist die Idee dahinter?
Auch hier geht es um die Relation der Zeit. Es gibt ein bestimmtes Grunddesign, das man das ganze Jahr über sehen kann. Doch aus dieser Komposition treten im Laufe eines Jahres immer wieder einzelne Pflanzen heraus. Manchmal früher, manchmal später. Die Pflanzen sind für mich wie Freunde, die ich sehr genau kenne. Und wie bei jedem guten Freund weiß ich, wie sie aussehen, was sie machen, wie sie auftreten. Auf diese Weise kann ich sie so zusammenstellen, als würde ich mit Akteuren auf einer Bühne spielen.
Betrachten Sie den Garten als eine Bühne?
Auf eine metaphorische Weise: ja. Die Pflanzen müssen zusammen funktionieren, auch wenn sich ihre jeweilige Erscheinung mit den Jahreszeiten verändert. Schon in einem Monat sieht der Garten völlig anders aus. Es gibt weniger Blumen, die Gräser wirken prominenter. Der Garten ist für mich wie eine Choreografie.
Die sich über mehrere Akte hinweg erstreckt…
Ja, und jede Jahreszeit entspricht mindestens einem Akt. Wenn Sie im Herbst oder Winter wiederkommen, werden Sie den Garten immer noch mögen. Auch wenn alles schläft, gibt es immer noch viele Blumenskelette, die die Blicke auf sich ziehen. Einige Pflanzen verfallen, andere stehen noch in ihrer Blüte. Der Garten spielt mit den Sinnen und der Wahrnehmung. Und er spielt mit dem Verstand. Dabei tut ein Garten nicht nur den Menschen gut, sondern auch den Insekten. Hier auf dem Vitra Campus sieht man unzählige Bienen, darunter auch seltene Exemplare wie die Blaue Holzbiene. Darüber bin ich sehr glücklich.
Im Garten auf dem Vitra Campus steigen die bepflanzten Flächen als auch die Wege an und fallen anschließend wieder ab. Was ist der Grund für diese plastische Transformation der Landschaft?
Nichts in diesem Garten ist flach. Wir haben das Erdreich bewegt und eine Abfolge von Hügeln und Tälern geformt, die man beim Blick von außen nicht gleich wahrnimmt. Doch bei der Passage durch den Garten hindurch treten sie immer bewusster auf. Auch die Pflanzen haben unterschiedliche Höhen. So entsteht der Eindruck, als würde sich die Landschaft bewegen. Es ist eine beständige Abfolge von leichten Abhängen.
Die Wege verlaufen nie gerade, sondern in Kurven. Warum?
Sie sorgen dafür, dass man sich schnell im Garten verliert. Man sieht keinen Fluchtpunkt, auf den man sich zubewegt. Man sieht vielleicht das Ende des Gartens. Doch der Weg dorthin ist nie eindimensional und zielgerichtet. Die vielen Schlenker und Kurven bringen einen dazu, ständig die Perspektive zu wechseln. Auch drosselt man die Geschwindigkeit und bleibt immer wieder stehen. Man schaut nach links oder rechts und nimmt plötzlich sehr viel mehr wahr. An den Seiten verwenden wir höhere Gewächse, die drei, vier Meter hoch werden, den Garten einfassen und die Blicke nach außen filtern. Der Garten ist kein Durchgangsraum. Er animiert zum Sehen, zum Innehalten. Und er animiert dazu, gelesen zu werden.
Würden Sie dies als Eskapismus sehen?
Sie haben recht (lacht). Man betritt eine andere Welt. Für viele Menschen ist es sehr überraschend, was immer noch daran liegt, dass es solche Gärten relativ selten gibt. Für mich selbst ist es normal geworden, immerhin arbeite ich so seit den Achtzigerjahren. Gärten sind für mich wie eine Lebenskur.
Welchen Tipp haben Sie für jemanden, der einen kleinen, privaten Garten anlegen möchte?
Nehmen Sie jede Pflanze, die Ihnen gefällt. Es ist wichtig, dass Sie ihren Charakter mögen. Bei mir ist das auch so: Meine Gärten sollen zunächst einmal mir gefallen. Glücklicherweise arbeite ich oft im öffentlichen Raum und die Menschen mögen, was ich mache. Dennoch sollte der Zugang immer ein persönlicher sein. Darum wählen Sie Pflanzen, die Ihnen beim Anblick Freude bereiten.
Und die Komposition?
Die meisten Menschen nehmen gar nicht so sehr die Komposition als Ganzes wahr, sondern einzelne Pflanzen. Oh, die ist aber schön! Oder diese hier! Die Zusammenstellung ist dann eher ein Trial-and-Error-Prozess. Man setzt einfach etwas dort hin, wo man den Platz dafür sieht. Das ist absolut in Ordnung. Man kann sich von Gärten inspirieren lassen, die einem gefallen. Doch man sollte sie immer in einer eigenen Idee umsetzen.
Welche Pflanzen würden Sie empfehlen?
Gräser wie Sporobolus (Tropfengräser), Pennisetum (Lampenputzergräser), Molinias (Pfeifengräser) und Carex (Sauergrasgewächse) für den Schatten. Sesleria (Blaugräser) und Stipa (Federgräser) können auch in der Sonne stehen. Miscanthus (Elefantengras) ist sehr schön, braucht aber sehr viel Platz. Dann würde ich einige ausdauernde Pflanzen (Perenne) hinzufügen wie Stachys monnieri „Hummelo“ (Dichtblütiger Ziest), Eryngium „Big Blue“ (Edeldistel-Mannstreu) und Achillea „Moonshine“ (Garten-Goldquirl-Garbe).
Haben Sie einen Favoriten?
Nein, man kann nicht nur einen Freund im Leben haben (lacht). Es ist seltsam, denn bei einigen Kompositionen verwende ich bestimmte Pflanzen sehr häufig, bei anderen Kompositionen hingegen sehr selten oder überhaupt nicht. Es hängt davon ab, welche Rolle man den Pflanzen in dem jeweiligen Design einräumt. Um auf den Vergleich zu einem Bühnenstück zurückzukommen: Mal ist eine Pflanze die Königin. Und beim nächsten Mal spielt sie nur die Rolle einer Dienerin.
Welche historischen Gärten haben Sie beeinflusst?
Ich habe viele englische Gärten besucht. Sie sind sehr formell. Ich bewundere sie für die Handwerkskunst der Gärtner. Die Art des Ausästens, das Setzen von einjährigen Pflanzen zeugt von enormem Wissen. Heute mag ich diese Gärten immer noch, auch wenn ich selbst etwas ganz anderes mache. Man kann ein klassisches Gemälde für seine Qualitäten mögen, ohne es gleich bei sich zu Hause aufhängen zu wollen. Insofern bin ich nicht gegen die traditionellen Gärten. Ich versuche nur, etwas für die heutige Zeit zu schaffen.
Vielen Dank für das Gespräch.