Menschen

Experimentierfreudiges Duo

Im Designlabor von Niruk

Studio Niruk zählt zweifelsfrei zur Avantgarde in der hiesigen Designlandschaft, die sich etwas traut. Nina Ruthe und David Antonin experimentieren intensiv mit Materialien und Produktionstechniken. Dabei entstehen nicht nur formschöne Produkte, sondern gleich auch neue Werkstoffe.

von Tanja Müller, 12.09.2023

Sie bringen so etwas wie eine neue Sinnlichkeit in die geradlinige deutsche Gestaltung: Studio Niruk aka Nina Ruthe und David Antonin. Ihre Werke wecken Emotionen, haben Charme, verlassen aber dennoch niemals die klare Form. Das mag an ihrem Hintergrund liegen, beide studierten an der Hochschule Niederrhein, einer handwerklich und von der Bauhaustradition geprägten Schule. Sie schloss Ende der Neunziger ab, er 15 Jahre später. Auf der Suche nach einem Praktikumsplatz stieß der junge Designer zu Niruk. Das ist jetzt genau zehn Jahre her. „Wir haben uns in Köln während der Möbelmesse imm in der Designpost zum Bewerbungsgespräch getroffen“, erinnert sich Nina Ruthe. Die Chemie stimmte, fortan arbeiteten sie gemeinsam – und feiern dieses Jahr ihr zehnjähriges Bestehen mit neuen Entwürfen. So lautet jedenfalls der Plan.

Sie versuchen, immer alles selbst zu können
Wir dürfen gespannt sein. Schließlich ist Niruk immer für eine Überraschung gut. Ihr Atelier vor den Toren Kölns gleicht einem Experimentierlabor, einem ordentlichen, wohlgemerkt. Da dient die Bibliothek zugleich als Materiallager, die einstige Küche als Porzellanwerkstatt, professionell ausgestattet mit Keramik-Brennofen. Nebenan stehen eine Sandstrahlkammer und sogar eine Tiefziehmaschine. „Wir versuchen eben, immer alles selbst zu können“, klärt die Designerin auf. David Antonin ergänzt: „Das Experimentieren hilft. Auch später bei der Fertigung. Weil wir ja schon Prototypen gemacht haben, wissen wir, dass etwas funktioniert.“ So kann ein Produkt einfacher in die Produktion gehen.  „Außerdem mögen wir es nicht, warten zu müssen“, schiebt die 50-Jährige mit einem Augenzwinkern ein. „Also nehmen wir vieles einfach selbst in die Hand.“

Die Auseinandersetzung mit Materialien scheint bei den beiden als Credo über allem zu stehen. Glas, Kork, Porzellan, Metall. Ständig nehmen sie sich neuen Werkstoffen an. „Material ist generell ein guter Ausgangspunkt, um an Entwürfe heranzugehen“, findet Antonin. „Es ist einfach schon etwas da, was die Sinne anspricht. Und man fängt nicht bei null an.“ Jeder Werkstoff inspiriert die beiden, vor allem aber fordert er sie heraus. Die jüngste Challenge stellte ihnen der dänische Möbelproduzent Bolia mit einer großen Leuchte aus Textil, schon wieder ein neues Material.

Wenn die Form aus dem Material heraus entsteht
Die Idee zu Lunaria, zarten Lampenschirmen, die wie duftige Blütenblätter von der Decke balancieren, entsprang einem Stück gebogenem Peddigrohr. „Das hatten wir ohnehin von unseren Korbentwürfen noch hier im Studio liegen“, erzählt Nina Ruthe. Frei Hand gebogen, entstand die natürliche Form aus dem Material heraus. Zunächst beklebte das Duo das Gerüst mit Reispapier, analog den asiatischen Vorbildern. Doch Bolia wollte den Lampenschirm flach verpacken. Die Lösung: „Ein Ökotex-zertifizierter Stoff. Der ist stretchig wie ein Badeanzug“, meint Ruthe. Der Stoff musste nur noch in Form gebracht werden. Einfacher gesagt, als an der Nähmaschine getan.

„Meine Mutter war auf der Modefachschule und hat uns gezeigt, wie man einen Schnitt für eine Freiform macht und diese dann näht“, verrät die Gestalterin. David Antonin holt derweil zur Anschauung den Prototypen aus dem Regal. Gemeinsam stülpen sie den Bezug über das Gestell. „Der lässt sich abnehmen und waschen“, sagt sie. Kurzerhand steigt ihr Studiopartner auf die Leiter, klemmt den Strahler ab und die neue Leuchte an. Ein sanfter, warmer Schein erhellt das Atelier, gelegen übrigens unter dem Dach des Siebzigerjahre-Anbaus einer historischen Wasserburg. Ohne Kabel und Leuchtmittel könnte Lunaria glatt als Skulptur durchgehen.

Mit unkonventionellen Ideen zum Erfolg
Allen Niruk-Entwürfen wohnt etwas Künstlerisches inne. „Ein Zusammenspiel aus Schlichtheit und etwas, das sie zu etwas Besonderem macht – die Form oder die Oberfläche“, beschreibt es der 32-Jährige. Und da wären wir wieder beim Material. Dem altbekannten Rohstoff Glas gaben die Gestalter*innen mittels eines Waffeleisens eine ganz neue Struktur. Aus diesen Experimenten entstand später die Vasenserie Bramble für Bolia. Mit ihren unkonventionellen Ideen überraschen sie Hersteller und Handwerker*innen gleichermaßen. „Oft ist es schwierig als Designer zu erklären, wie wir uns das Ergebnis vorstellen“, sagt David Antonin, „also haben wir es in der Glashütte selbst ausprobiert. Und inzwischen wissen wir, wie weit man das Material ausreizen kann, wie es sich in der Herstellung verhält.“

Gleiches gilt für Porzellan. Nach dem Stövchen Calm, einem eher klassischen Produkt für die Traditionsmanufaktur Kober, entwickelte das Duo aus dem zarten Werkstoff eine Türklinke für den italienischen Griffhersteller Olivari. „Porzellan ist nicht nur fein, sondern auch robust. Durch die Glasur nimmt es keinen Schmutz an, ist relativ massiv. Da kann nicht viel passieren. Und es fühlt sich gut an“, schwärmt der Gestalter. Mit dem Wissen aller Fertigungsprozesse aus der bayerischen Porzellanmanufaktur gelang ein besonderer Coup für die italienische Marke: Niruk ummantelte Messing mit Porzellan, eine ganz neue Materialsymbiose. „Hätten wir das Extrudieren bei Kober nicht gesehen, wären wir nie auf die Idee gekommen“, verrät Nina Ruthe. Ihr Studiopartner erklärt: „Man muss sich das wie Spritzgebäck vorstellen, nur kommt aus der Maschine vorn ein Strang Porzellan heraus.“ Der ist bei der Klinke von klarer, fast schon architektonisch strenger Form.

Synonym für Materialexpertise in der Designszene
Die beiden Gestalter*innen fuchsen sich so in jede Materie ein, bis sie selbst zu Spezialist*innen avancieren. Nicht grundlos ist Niruk inzwischen ein feststehender Begriff in Deutschlands Designszene – als Synonym für Materialexpertise. Das Duo vermittelt sein Wissen an Student*innen, aber auch an Hersteller. „Bei Miele geben wir Workshops zu Materialien, als Inspiration, um den Horizont der internen Designabteilung zu erweitern“, erzählt David Antonin. Naturgemäß dreht sich da vieles um Kunststoff. Aber die beiden Materialforscher*innen möchten die Industrie auch zum Umdenken ermutigen. Nina Ruthes Vorschlag: „Kunststoffe lassen sich durch Naturmaterialien ersetzen, die die gleichen Eigenschaften besitzen.“

Niruk entwirft von Haus aus nachhaltige Produkte – aus natürlichen, langlebigen Werkstoffen. Möbel aus Kork gehören dazu, für deren Herstellung kein Baum fallen, sondern die Korkeiche nur alle neun Jahre ihre Rinde lassen muss. David Antonin schwingt sich wie zum Beweis auf eine minimalistische Schaukel aus dem Naturmaterial, die im verglasten Treppenhaus des Ateliers hängt. Die sanft abgerundete Halbkugel Balanço entsteht für das portugiesische Label Cork Units. Doch damit nicht genug. Das Duo ging noch einen Schritt weiter, experimentierte einige Jahre lang mit Kork und Beton, erfand mit Corcrete einen völlig neuen Werkstoff. Robust, aber samtig in der Haptik, optisch erinnert er an Terrazzo. „Dafür haben wir unendlich viele Tests gemacht“, erinnert er sich. Den mit Preisen ausgezeichneten, inzwischen patentierten Ökowerkstoff produziert ein belgischer Hersteller aus geschredderten Resten der Korkproduktion. Das macht ihn gut 40 Prozent leichter als handelsüblichen Beton und somit ideal für den Möbel- und Innenausbau. Die grazilen Bänke an den langen Ateliertischen bei Niruk bestehen bereits daraus.

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