Menschen

Langlebig, aber nicht langweilig

Das Designstudio Big-Game im Gespräch

Augustin Scott de Martinville, Elric Petit und Grégoire Jeanmonod sind Big-Game. Das französisch-belgisch-schweizerische Designtrio mit Sitz in Lausanne entwirft Möbel und Leuchten, aber auch Weinflaschen, Messer, Uhren und USB-Sticks. Wir trafen Scott de Martinville und Petit zum Gespräch in Berlin, wo sie ihre neue Möbelkollektion für die belgische Marke Valerie Objects vorgestellt haben. Sie hatten eine Bitte: Ihre Antworten sollten nicht einem von beiden zugeordnet werden, denn sie wollen mit einer Stimme sprechen.

von Jasmin Jouhar, 22.11.2022

Silent ist Eure neue Kollektion für Valerie Objects. Was ist das Besondere daran?
Sie ist ganz aus massivem Eschenholz gefertigt, in Europa. Heutzutage sieht man immer seltener Möbelstücke, die tatsächlich ausschließlich aus Massivholz hergestellt werden. Das ist schon ein Wert an sich. Uns gefällt auch, dass die Möbel sehr geradlinig sind, mit vielen rechten Winkeln, fast schon skulptural. Sie erinnern an Mondrian, an De Stijl. Natürlich auch, weil sie farbig gestrichen sind. Gerrit Rietveld beispielsweise lackierte Holz, weil das Material damals als altmodisch galt.

Bei aller Geradlinigkeit: Die Stühle haben auch Rundungen.
Ja, wir haben diese dezenten Krümmungen eingefügt. Auf den ersten Blick sieht man sie nicht unbedingt. Aber wenn man genau hinschaut, erkennt man, dass Sitzfläche und Rückenlehne leicht gerundet sind, für die Bequemlichkeit. Die große Herausforderung war: Die sehr trockene Formensprache erhalten und die Stühle dennoch so bequem wie möglich machen. Wir wollen keine Stühle entwerfen, auf denen es sich schlecht sitzt.

Ihr habt zum ersten Mal mit Valerie Objects gearbeitet. Was gefällt Euch an der Marke?
Veerle (Anm. d. Red.: Veerle Wenes, Mitgründerin von Valerie Objects) ist eigentlich Galeristin und beschäftigt sich mit Kunst. In der Möbelindustrie geht es oft um Geschäftliches oder darum, welche Trends gerade wichtig sind. Veerle hat eine ganz andere Sichtweise. Für uns ist sie wie ein Ufo in dieser Industrie. Das gefällt uns sehr gut! Außerdem macht es Spaß, mit einem Unternehmen zu arbeiten, das so eine starke Identität hat. Das fordert uns heraus, eine neue Typologie oder eine neue Herangehensweise zu entwickeln. Wir haben viel Freude mit Veerle als Partnerin.

Veerle Wenes hat zwar eine Galerie, aber es geht ihr nicht darum, collectible design zu produzieren, oder?
Ja, das ist sehr wichtig! Designobjekte für eine Galerie zu entwerfen, ist genau das Gegenteil. Das ist Design, das vorgibt, Kunst zu sein. Valerie Objects macht eher Kunst, die funktional ist. Und bezahlbar!

Ihr arbeitet seit zwölf Jahren für den japanischen Hersteller Karimoku New Standard, einen Spezialisten für Holzmöbel. Wie unterscheiden sich die Unternehmen?
Japan und Europa sind offensichtlich sehr verschieden – und das gilt auch für Karimoku und Valerie Objects. Karimoku ist der größte Holzmöbelproduzent Japans, sie haben riesige Fabriken. Bei Karimoku gibt es ein Motto: Alles, was besser von einem Menschen erledigt wird, erledigt ein Mensch. Und alles, was besser von einem Roboter erledigt wird, erledigt ein Roboter. In ihrer Fertigung gibt es Roboter wie in der Autoindustrie. Auf der einen Seite der große, industrielle Maßstab und auf der anderen Seite diese sehr japanische Verarbeitung. Die Oberflächen sind ganz glatt und fein, die Ästhetik ist absolut verfeinert. Valerie Objects steht dagegen für eine gewisse Rohheit. Die Möbel sind hervorragend produziert, aber visuell eben roher. Das könnten wir mit Karimoku so nicht machen.

Könnt Ihr den Anspruch Eures Studios in wenigen Worten zusammenfassen?
Wir möchten Gegenstände machen, die jeden Tag benutzt werden können, von allen. Aber sie dürfen nicht langweilig sein!

Was ist Euer meistverkauftes Produkt?
Das ist gar nicht so einfach zu sagen, weil wir in ganz unterschiedlichen Industrien arbeiten. Manche Produkte werden in Supermärkten verkauft. Wie etwa die Weinflasche, die wird millionenfach produziert. Was wir mögen, sind Longseller. Wenn ein Produkt über lange Zeit im Katalog des Herstellers bleibt. Das ist besser als einen Bestseller zu entwerfen, der dann nach zwei Jahren vom Markt verschwindet. Deshalb ist die Langlebigkeit von Gestaltung wichtig.

Und welches Produkt finanziert Euer Studio?
Auch das ist schwierig zu sagen, weil wir so viele unterschiedliche Produkte entwerfen – von einer Uhr bis zu einem Fernseher für LG. Es ist auf jeden Fall ein großer Vorteil, dass wir zu dritt sind. Das verdreifacht unsere Möglichkeiten, in verschiedenen Industrien zu arbeiten. Wir machen sogar Zubehör für Flugzeughersteller. Auf jeden Fall lernen wir viel dabei. Und es bringt uns immer wieder auf neue Ideen.

Was macht einen guten Kunden aus?
Lange Beziehungen sind gut! Je länger man zusammenarbeitet, desto mehr Wissen erwirbt man. Das kommt auch den Entwürfen zugute. Und wir lieben Spezialisten. Veerle Wenes ist eine Spezialistin in ihrer Welt, Karimoku ist Spezialist in Holzmöbeln. Wir arbeiten auch für das französische Unternehmen Opinel. Die sind Spezialisten für Klappmesser, für Messer überhaupt. Spezialisten sind attraktiv für uns, weil wir viel von ihnen lernen können.

Was können Designer*innen, was nur Designer*innen können?
Designer sind oft eingebettet in die kreativen Prozesse einer Marke. Wir machen Workshops mit den Kunden. Wir definieren mit ihnen, was die Marke ausmacht, was sie als Nächstes angehen sollten. In diesen Prozessen kann jeder etwas beisteuern, jeder hat wertvolle Ideen – als Designer sind wir nicht allwissend. Aber es braucht eine Designerin oder einen Designer, um dieses Wissen in ein Produkt zu verwandeln. Der Moment, wenn aus all diesen Erkenntnissen ein Produkt wird – das kann nur ein Designer.

Ihr unterrichtet alle drei an der Designhochschule ECAL in Lausanne. Welche Bedeutung hat die Schule für Euch?
Wir haben uns dort kennengelernt, während des Studiums. Ohne die ECAL gäbe es uns gar nicht! Schon deshalb bedeutet uns die ECAL sehr viel. Die Energie dort ist großartig! Von Anfang an waren wir elektrisiert von der Hochschule. Es hält uns frisch, jede Woche für einen Tag dort zu unterrichten. Wir begegnen jungen Menschen und sie fordern uns heraus. Das ist super.

Als Ihr 2004 Euer Studio gegründet habt, gabt Ihr Euch einen ziemlich ambitionierten Namen: Big-Game, zu Deutsch „Großwild“. Konntet Ihr diese Ambition erfüllen?
Wir planten damals eine Ausstellung zum Salone del Mobile in Mailand – mit den Jagdtrophäen aus Holz (Anm. d. Red.: heute in Produktion bei Moustache). So kamen wir auf den Namen. Das ergab sich wie von selbst, nach zwei Stunden stand der Name fest. Am Anfang war es allerdings manchmal etwas schwierig, weil Big-Game nicht so seriös klingt. Andererseits: Der damalige Direktor der ECAL, Pierre Keller, sagte, man sollte seine Arbeit so ernsthaft wie möglich machen, aber man sollte sich selbst nicht zu ernst nehmen. In Japan war der Name oft nützlich, weil er leicht zu verstehen ist. Wir lieben die Idee, dass etwas leicht zugänglich ist. Unsere Objekte sollen auch so sein, intuitiv und schnell zu verstehen.

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Big-Game

big-game.ch

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