„Wir müssen Möglichkeitsräume schaffen“
Der Architekt Klaus de Winder im Gespräch
Seit mehr als 25 Jahren gestaltet das Büro de Winder Architekten aus Berlin Arbeitsumgebungen. Im Interview spricht der Mitgründer Klaus de Winder über Begriffe wie New Work als Feigenblatt für Sparmaßnahmen und erklärt, warum er die eigene Bürofläche nach der Pandemie verdoppelt statt verkleinert hat.
Direkt an der Spree, nahe des einstigen Mauerstreifens, liegen die Räume von de Winder Architekten in einem ehemaligen Fabrikgebäude. Mit zwanzig Mitarbeiter*innen realisiert das Büro Projekte wie den preisgekrönten Campus des Carlsen Verlags in Hamburg oder das Headquarter des Energieversorgers Vattenfall. Mit Klaus de Winder, der das Büro zusammen mit seiner Frau Claudia und seit Kurzem auch mit dem Prokuristen Sascha Nikolauschke als Teil der Geschäftsleitung führt, sprachen wir darüber, was wirklich dran ist an Trends wie New Work, und erfuhren dabei, warum unfertige Räume wichtig sind.
Ihr Büro beschäftigt sich schon länger mit Arbeitsumgebungen als viele andere. Wie kam es zu diesem Schwerpunkt?
Das begann vor etwa 25 Jahren, als die ganzen Projektentwicklungen in Berlin ein Stück weit zum Erliegen kamen. Der Hype für Berlin war irgendwie vorbei. Meine Frau und ich sind dann als Architekten in den Mieterausbaumarkt gerutscht. Das war die Zeit, als die Diskussionen um andere Arbeitsumgebungen aufpoppten. Die Agentur Pixelpark hier in Berlin gehörte zu den ersten, noch lange bevor Unternehmen wie Google die Diskussion mit Fragen bestimmten wie: Was muss der Raum eigentlich können? Wie kriegen wir das Anforderungsprofil und die räumlichen Gegebenheiten zusammen mit praktischen Vorgaben wie Haustechnik und Brandschutz? Auf uns sind dann Makler zugekommen, denen wir durch die Einrichtung einer Musterbüroetage im Beisheim Center am Potsdamer Platz geholfen haben, Mieter zu finden. Ein Interessent hätte die Fläche gleich so genommen, wie wir sie gestaltet hatten. Das hat uns motiviert. Es folgten Redaktionsräume für den Stern und den Spiegel in Berlin.
Das Hauptstadtbüro von Google findet sich auch in Ihrem Portfolio. Eine Spielwiese für Architekt*innen?
Ehrlich gesagt, war das eine semigute Erfahrung, fanden wir. Die Vorgaben aus Amerika waren relativ genau. Das musste nur fancy sein. Anders als beim Spiegel oder Stern ging es nicht darum, eine Welt zu schaffen, die auf eine persönliche Identifikation der Mitarbeitenden setzt. Am Ende musste das Ding eine gute Desktop-Ratio haben. Es war aber auch nicht alles schlecht. Wir konnten ganz viel ausprobieren, um das gediegene Gebäude Unter den Linden mit dem hippen Spirit des Unternehmens zusammenzubringen. In den Fluren haben wir mit recht poppigen Farben und starken Kontrasten versucht, den Münchener Künstler und Architekten Rupprecht Geiger aus den Sechzigerjahren zu zitieren.
Wie setzen Sie sonst Farben in Ihren Projekten ein?
Nicht jedes Büro muss farbig sein und nicht für jedes Unternehmen ist meinetwegen Blau eine tolle Farbe. Farben sind erstmal per se unschuldig. Beim Carlsen Verlag in Hamburg haben wir viel mit den Farben Rot und Blau sowie einem kräftigen Orange gearbeitet, die zum Teil bereits im Altbau vorhanden waren. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch den Campus, für den wir ein altes Fabrikgebäude in Altona zu Büros, Besprechungs- und Veranstaltungsräumen umgebaut haben, und bilden eine ästhetische Klammer bis hin zum jüngst fertiggestellten Neubau. Im Zentrum der alten Fabrik ist eine Art Marktplatz mit Gerüstmöbeln entstanden. Die geben dem Raum einen unfertigen Charakter. Das ist bewusst so, denn Arbeitsumgebungen sollen sich entwickeln können. Wir müssen Möglichkeitsräume schaffen. Im besten Fall endet unsere Arbeit als Architekten nicht mit dem Einzug der Mitarbeiter, sondern setzt sich in adaptiven Räumen fort. Aus Kostengründen ist das leider selten möglich. Den Carlsen Verlag allerdings betreuen wir immer noch.
Benutzen Sie Begriffe wie New Work in der Kommunikation mit Ihren Kund*innen?
Selten. Der Begriff ist etwas in Misskredit geraten. Inzwischen wird jeder kippbare Stuhl damit vermarktet. Wenn man sich mal anschaut, wo das Thema eigentlich herkommt, dann stellen wir fest, dass es bereits in den Fünfzigerjahren die ersten Großraumbüros in Deutschland gab, die Zusammenarbeit „revolutionieren“ wollten. Das bedeutete tatsächlich ein Stück weit die Auflösung von Autorität. Zugleich herrschte in diesen Räumen mit den damaligen Schreibmaschinen ein Höllenlärm. Es ist also nicht wirklich etwas Neues. Und vor allem ist es etwas, bei dem es nicht nur um den Raum geht. New Work ist ein Mindset. Es hat damit zu tun, ein Empowerment zu schaffen für die Mitarbeitenden. Mit einem Obstkorb ist es nicht getan. Auch nicht mit einem Bällebad oder einer Rutsche. Viele Unternehmen verwenden „New Work“ als Schlagwort, aber wollen letztendlich nur Flächenminimierung betreiben.
Sie haben die Fläche Ihres Büros hingegen nach der Pandemie verdoppelt. Wie kam es dazu?
Unsere Mitarbeiter sollen wieder gerne ins Büro kommen nach der langen Zeit der Pandemie. Wir haben in dieser Zeit gemerkt, dass es Prozesse gibt, die zu Hause super laufen. Aber das kreative Miteinander, die Zusammenarbeit und der Austausch funktionierten gar nicht. Das war auch der Grund, warum wir gesagt haben: Wir machen ein größeres Raumangebot statt ein kleineres. Weil wir gemerkt haben, dass flexibles Arbeiten einfach mehr Raum braucht statt weniger. Der Arbeitsplatz definiert sich nicht mehr über den Schreibtisch, sondern über die gesamten Räume dazwischen. Unsere einst winzige Teeküche ist jetzt eine Telefonkabine. Stattdessen haben wir eine geräumige Teamküche, die ganz automatisch zum Treffpunkt für informelle Gespräche oder kurze Meetings geworden ist. Unser Materiallager hat ebenfalls mehr Platz bekommen und ist mittlerweile Labor und Besprechungsraum geworden. Außerdem haben wir einen zusätzlichen Besprechungsraum, in den man sich auch zum konzentrierten Arbeiten zurückziehen kann. Flex Desks haben sich bei uns nicht bewährt. Mitarbeitende müssen für die Entwurfsarbeit Materialproben, Pläne und Bücher liegen lassen können.
Ist das Homeoffice zu einer ernst zu nehmenden Konkurrenz für das Büro geworden?
Inzwischen beschäftigt sich die Forschung intensiv damit: Inwieweit führt Homeoffice zur Entgrenzung? Geht dadurch die Trennung von Beruflichem und Privatem verloren? Inwieweit sondert man sich ab, freiwillig und unfreiwillig? Das kennen wir aus der Pandemiezeit, wo Arbeit und Beruf ineinander übergingen. Gerade von Müttern habe ich danach gehört: „Ich freue mich, wieder ins Büro zu kommen. Hier kann ich in Ruhe arbeiten.“ Aber, ganz klar, das Homeoffice wird bleiben – als ein räumlicher Baustein unserer Arbeitswelt. Dafür muss jedes Unternehmen individuelle Lösungen finden.