Menschen

Zukunftsperspektiven für zeitlose Möbel

Ein Gespräch mit Rolf Keller über die Kreislaufwirtschaft bei Vitra

Im Rahmen des Programms „Vitra Circle for Contract“ werden gebrauchte Vitra-Möbel von Kund*innen zurückgekauft, aufbereitet und wiederverkauft. Rolf Keller, Head of Circularity des Unternehmens, erklärt im Interview, wie das CO2 spart, Budgets schont – und gut erhaltene Klassiker zurück in den Kreislauf bringt.

von Judith Jenner, 21.05.2025

Sie bereiten über das Kreislaufmodell Vitra Circle seit mehr als fünf Jahren Vitra-Möbel auf, die bereits im Einsatz waren. Wie kam die Idee zustande?
Zur ökologischen Mission von Vitra gehört nicht nur, dass wir bis 2030 netto positiv sein wollen und vollständig transparent, was die Herstellungsweise betrifft. Wir verfolgen auch ambitionierte Ziele in Sachen Kreislaufwirtschaft. Bis 2030 möchten wir jedes Produkt entlang des Lebenszyklus begleiten und dafür sorgen, dass es möglichst lange genutzt wird. Die Vitra Circle-Plattform ist davon abgeleitet. Begonnen haben wir 2018 mit den Circle Stores, die sich an Privatpersonen richten. Dieses Angebot haben wir auf den Contract-Markt erweitert. Es sind häufig die gleichen Produkte, die Stückzahlen sind aber viel höher. Unternehmerisch und ökologisch macht es Sinn, ein zweites Mal an einem Wiederverkauf eines solchen Produkts zu partizipieren.

Wie genau läuft das ab?
Unter dem Namen Circle for Contract bieten wir drei Services an: Eine Säule sind die aufbereiteten Produkte, also Möbel, die wir zurückgekauft und aufbereitet haben und die wir dann an andere Kunden verkaufen. Säule zwei sind Refurbishment Services. Wir bereiten im Kundenauftrag Vitra-Möbel wieder auf und versetzen sie quasi in einen neuwertigen Zustand. Die dritte Säule sind die Rücknahmeservices. Wir kaufen Produkte von Kunden, die eine Relevanz für den Contract-Markt haben, zurück, um sie nach einer Überholung weiterzuverkaufen.

Welche Vorteile haben die Kund*innen davon?
Die von uns aufgearbeiteten Produkte stellen zunächst einmal eine äusserst nachhaltige Lösung dar. Unseren Kunden geben wir dazu die Sicherheit, dass es sich um ein Original handelt. Darüber hinaus bekommen sie ein Produkt, das nach strengsten internen Vorgaben und Qualitätsansprüchen aufgearbeitet wurde. Das heißt, es kommen nur Original-Ersatzteile zum Einsatz. Jedes Produkt bekommt zwei unabhängige Qualitätskontrollen: die erste bei der Wareneingangskontrolle, die zweite nach dem Montage-Prozess. Am Ende gibt es eine Garantie, die der Neugarantie eines Produkts entspricht. Wir vertreiben unsere Produkte gemeinsam mit unseren Fachhandelspartnern. Das bedeutet für die Geschäftskunden, dass der jeweilige Fachhändler beziehungsweise Vitra der Ansprechpartner bleibt. Ein weiterer Vorteil ist die Kombination von aufbereiteten und neuen Produkten. Wenn Sie beispielsweise für ein Büro 300 Bürostühle suchen und es gibt lediglich 250 gebrauchte, können Sie die Anzahl mit 50 Neuprodukten auffüllen. Nicht wenige Kunden entscheiden sich bewusst für wieder aufgearbeitete Möbel, um Akzente zu setzen.

Sieht man den Unterschied zwischen aufgearbeiteten und neuen Möbeln?
Ein Bürodrehstuhl sieht nach unserer Überarbeitung nahezu neu aus. Einige unserer Kunden wünschen sich aber auch eine Patina. Darauf können wir Rücksicht nehmen, denn wir starten den Refurbishment-Prozess häufig erst, wenn wir einen konkreten Kundenauftrag haben. Dann können wir beispielsweise anbieten, Sitzmöbel komplett neu zu beziehen. Das hat den Vorteil, dass ich ein gebrauchtes Produkt in gewissem Rahmen spezifizierbar mache. Der Bestandsbürodrehstuhl hatte vielleicht einen grünen Sitzbezug, aber ich kann ihn auf Kundenwunsch hellgrau polstern. Aluminiumteile können wir extra aufpolieren – oder aber die Patina bewusst bestehen lassen. Damit gibt es einen großen Spielraum, wie die Produkte im Raum wirken.

Wie lange dauert dieser Prozess?
Wir sind in aller Regel schneller als bei Neuprodukten. Viele unserer Möbel sind innerhalb von einer Woche bereits verfügbar. Wenn wir aber in eine sehr umfangreiche Überarbeitung gehen, wenn etwa bei einem Bürodrehstuhl die Sitzbezüge, Gasfedern und Rollen getauscht werden oder auch eine Reparatur vonnöten ist, zum Beispiel bei der Armlehnen-Mechanik, dann sprechen wir meist von vier Wochen bis zur Auslieferung.

Gibt es denn auch Möbel, die sich für diesen Prozess nicht eignen?
Wir nehmen ausschließlich Vitra-Möbel zurück. Seating-Möbel sind für uns interessant, vom klassischen Stuhl, über  Bürodrehstühle bis zu Konferenzstühlen, aber auch Alcove-Sofas. Auch Konferenztische nehmen wir regelmäßig zurück. Es gibt aber auch Möbel, die an Relevanz verloren haben, wie Rollcontainer oder Papierablagen zum Beispiel. Das ist der zunehmenden Digitalisierung und dem Trend zum papierfreien Büro geschuldet. Diese Art Möbel finden Sie bei uns nicht. Eine weitere Grundvoraussetzung ist, dass es für die Produkte nach wie vor Ersatzteile gibt.

In welchen Projekten kommen die aufbereiteten Möbel zum Einsatz?
Unsere Bandbreite ist groß. Wir bedienen Kunden, die Kleinstprojekte haben: Büros mit zehn, fünfzehn Arbeitsplätzen beispielsweise. Aber wir liefern auch Möbel für Büros mit mehreren hundert Arbeitsplätzen. Zu unseren Referenzen gehören außerdem Hochschulen und Universitäten sowie Restaurants. Die Möbel sind Teil der aktiven Pitches unserer Kundenberater, das heißt, sie informieren die Kunden gezielt über Vitra Circle for Contract.

Zahlt sich die Entscheidung für ein überarbeitetes Produkt für die Kund*innen auch finanziell aus?
Der Preis hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Wie beliebt ist dieses Produkt? Und dementsprechend auch: Wie teuer kaufen wir es ein? Welche Spezifikationen hat es und lässt es sich mit vertretbaren Mitteln wieder in einen nahezu neuwertigen Zustand bringen? Unterm Strich kann man sagen, dass unsere Produkte zwischen 15 und 25 Prozent günstiger gegenüber dem Neupreis sind.

Wie schätzen Sie die CO2-Einsparungen ein?
Wir gehen von Einsparungen bis zu 90 Prozent gegenüber einem Neuprodukt aus. Der Großteil des CO2-Fußabrducks eines Produkts ist im Material verankert: Bei Vitra-Produkten kann dies ungefähr 70 bis knapp über 90 Prozent des Fußabdrucks ausmachen, je nach Produkt. Der Rest ist beispielsweise dem Transport und anderen Lebenszyklusphasen, wie der Entsorgung, zuzuschreiben. Wenn man ein Produkt länger nutzt oder ihm einen zweiten Lebenszyklus gibt, spart man letzten Endes die Neuproduktion und die zugehörigen Materialen ein. Zudem verursachen ungenutzte Möbelbestände immense Lagerkosten bei Kunden. Wir verhindern, dass Möbel, die eigentlich ein zweites Leben verdient hätten, auf dem Recyclinghof landen.

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