Menschen

Nachhaltigkeit beginnt im Inneren

Gabriela Hauser über die Rolle der Innenarchitektur bei der Bauwende

Wie sieht nachhaltige Innenarchitektur jenseits von Zertifikaten aus? Die Innenarchitektin Gabriela Hauser setzt auf langlebige Konzepte, starke Räume und interdisziplinäre Zusammenarbeit. Im Interview spricht sie über Verantwortung im Planungsprozess, den Wert des Bestands – und ihre Erwartungen an das GREENTERIOR-Event im November 2025.

von May-Britt Frank-Grosse, 25.06.2025

Was bedeutet für Sie ganz persönlich „nachhaltige Innenarchitektur“?
Nachhaltige Innenarchitektur geht für mich weit über Materialien und Zertifikate hinaus. Bei buerohauser folgen wir dem Prinzip des pragmatischen Idealismus: Nachhaltigkeit ist unverzichtbar, aber auch komplex. Das verlangt einen bewussten Umgang mit Flächen und Ressourcen sowie partizipative Prozesse und Weitblick für langfristige Lösungen.
Wir streben danach, Räume zu gestalten, die nicht kurzlebigen Trends folgen. Unser Ziel sind funktionale, charakterstarke Umgebungen, die über Jahrzehnte Freude bereiten. Ein Raum mit starker Identität, der geschätzt wird, wird seltener umgestaltet – für uns die effektivste Form der Nachhaltigkeit.

Welche Rolle nimmt die Innenarchitektur heute im Planungsprozess ein – und worin liegt der wesentliche Unterschied zur klassischen Architektur?
Die Innenarchitektur hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt, auch wenn die öffentliche Wahrnehmung oft hinterherhinkt. Früher galt sie als rein dekorativer Abschluss. Heute ist sie strategisch: Sie beginnt nicht am Ende, sondern am Anfang eines Projekts.
Während die Architektur die langlebige Hardware eines Gebäudes formt, gestalten wir die Software – die Atmosphäre und die menschliche Erfahrung im Inneren. Unser partizipativer Ansatz richtet sich nach den Bedürfnissen der Nutzenden und schafft ein flexibles Innenleben, das das Gebäude zukunftsfähig macht. So entsteht im Idealfall ein ganzheitliches Werk, dessen Qualität von innen nach außen spürbar wird.

In Ihrer Arbeit setzen Sie stark auf den Bestand. Wie kann Innenarchitektur zur klimagerechten Transformation von Gebäuden beitragen?
Bauen im Bestand ist der größte Hebel zur CO₂-Reduktion. Statt zu erweitern, schöpfen wir durch durchdachte Konzepte das Potenzial vorhandener Flächen aus. Wir bewahren die Geschichte eines Ortes, indem wir bestehende Elemente als identitätsstiftende Anker in ein neues, atmosphärisch dichtes Konzept integrieren.
Dabei setzen wir auf Maßnahmen wie Tageslichtoptimierung und klimaregulierende Materialien wie Lehm oder Holz. Vorausschauende Planung ermöglicht spätere Anpassungen und verlängert den Lebenszyklus von Gebäuden. Innenarchitektinnen und Innenarchitekten prägen das Bauen im Bestand seit jeher – doch erst die Bauwende rückt dieses Thema stärker in den Fokus.

Was kann oder sollte die Innenarchitektur tun, um ihren Stellenwert in diesem Transformationsprozess sichtbarer zu machen?
Die Bauwende bietet die Chance, unsere Disziplin stärker zu positionieren. Wir müssen unsere Haltung klar kommunizieren: Innenarchitekten sind strategische Partner für Ressourcenschonung und Baukultur, nicht bloß Gestalter von Oberflächen.
Es gilt, den ökologischen und ökonomischen Mehrwert unserer Arbeit aufzuzeigen und unsere frühe Einbindung einzufordern. Erfolgsgeschichten machen unseren Beitrag sichtbar. Beim Innenarchitektur-Summit 2025 des bdia wollen wir genau das betonen und ein starkes Zeichen setzen.

Bei buerohauser wird interdisziplinär gearbeitet. Wie wichtig sind Kooperationen mit Fachplaner*innen, Herstellern und Handwerk für nachhaltige Lösungen?
Nachhaltigkeit ist zu komplex für Einzelkämpfer. Deshalb setzen wir bei buerohauser auf interdisziplinäre Zusammenarbeit. Unter einem Dach vereinen wir Expertinnen und Experten aus Architektur, Innenarchitektur und Tragwerksplanung. Nur im Dialog entstehen ganzheitliche Lösungen.
Mit Fachplanern verbinden wir Technik und Atmosphäre. Hersteller helfen uns, innovative, kreislauffähige Lösungen zu entwickeln. Das Handwerk sichert langlebige Qualität und ermöglicht demontierbare Details. Diese Zusammenarbeit ist keine Pflicht, sondern eine Bereicherung – und die Basis für verantwortungsvolle Räume.

Gibt es ein Projekt, das für Sie beispielhaft zeigt, wie Nachhaltigkeit, Gestaltung und Funktion stimmig zusammenkommen?
Unser Projekt „Renovierung und Umstrukturierung des Restaurants Wolfgangs“ im Erikson Hotel ist ein gutes Beispiel. Es verbindet Funktion, Gestaltung und Nachhaltigkeit.
Funktional bietet es maximale Flexibilität: Durch Zonierung mit Möbeln und Lamellen wird der Gastraum für verschiedene Anlässe nutzbar, ohne an Atmosphäre zu verlieren. Gestalterisch spiegelt es die Umgebung wider: Grüntöne und natürliche Materialien schaffen eine sinnliche, zeitlose Atmosphäre. Nachhaltig ist es durch robuste Materialien und ein Design, das dem Hotelbetrieb standhält. Die multifunktionale Nutzung der Räume stärkt zudem die Effizienz. Das Projekt wurde kürzlich zu den „50 schönsten Restaurants, Hotels und Bars 2025“ gezählt – ein Beleg für seinen Erfolg.

Erleben Sie bei Ihren Auftraggeber*innen ein wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit – oder müssen Sie noch Überzeugungsarbeit leisten? Falls ja: Wie gelingt Ihnen das?
Das Bewusstsein wächst – und der Wunsch nach Veränderung ist oft groß. Unsere Aufgabe ist es, diesen Wunsch in einen konkreten Plan zu übersetzen. Das erfordert tatsächlich Überzeugungsarbeit, da nachhaltige Materialien in der Anschaffung oft teurer sind.
Wir zeigen im Dialog nicht nur die Kosten, sondern auch den langfristigen Mehrwert: bessere Atmosphäre, Gesundheit und Wertstabilität. Materialmuster und Beispiele helfen, die Qualität greifbar zu machen. So wird aus einer Preisdebatte eine gemeinsame Mission. Und wir betonen die Folgekosten, die durch scheinbar günstigere Lösungen entstehen können.

Im November findet im Rahmen des Klimafestivals von BauNetz und Heinze das Interiorevent GREENTERIOR statt. Was erhoffen Sie sich vom Austausch vor Ort – und welche Impulse sollten dort mitgegeben werden?
Von GREENTERIOR erhoffe ich mir einen ehrlichen Austausch und einen Impuls für nachhaltiges Handeln in der Branche. Die zentralen Botschaften sollten sein: Haltung in Handeln umsetzen, Kollaboration stärken und zeigen, dass Verantwortung und Ästhetik kein Widerspruch sind.
Das Event sollte die Schönheit nachhaltiger Lösungen feiern und zugleich ein Appell an die Politik sein, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen. Mein Wunsch: Alle Teilnehmenden gehen mit dem Gefühl nach Hause, dass wir gemeinsam die Bauwende von innen heraus gestalten können.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht politisch, wirtschaftlich oder auch kulturell verändern, damit nachhaltige Innenarchitektur zur Selbstverständlichkeit wird?
Nachhaltige Innenarchitektur braucht Veränderungen auf drei Ebenen:
Politisch brauchen wir eine „Umbauordnung“, die den Bestand vor Neubauten privilegiert, sowie Förderungen, die den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes honorieren. Hürden für den Re-Use von Bauteilen müssen fallen.
Wirtschaftlich müssen sich wahre Ressourcenkosten in den Preisen widerspiegeln, um Langlebigkeit zu belohnen. Modelle wie „Product-as-a-Service“ sollten gestärkt werden.
Kulturell braucht es einen Wertewandel: weg vom makellosen Neu, hin zur Wertschätzung des Bestehenden. Wir Planerinnen und Planer müssen diese Haltung vorleben und den Wandel aktiv vorantreiben.

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Links

buerohauser

www.buerohauser.com

GREENTERIOR by BauNetz id

Am 19. und 20. November 2025 findet im Rahmen des Klimafestivals für die Bauwende in Berlin erstmals das Event GREENTERIOR istatt. In der Station Berlin werden nachhaltige Produkte, Materialien und Services vorgestellt und mit Planer*innen über Wege zu einer zukunftsfähigen Innenarchitektur diskutiert.

klimafestival.heinze.de/de/greenterior

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