Wir sollten die Möglichkeiten unserer Zeit besser nutzen
Ein Gespräch mit dem Arbeitswissenschaftler Dr. Stefan Rief

Dr. Stefan Rief vom Fraunhofer IAO denkt das Büro neu – als Ort für Gemeinschaft, Rückzug und digitale Freiheit. Wir haben mit ihm über hybrides Arbeiten, flexible Raumlösungen und das Büro im Jahr 2040 gesprochen.
Von Büro-WGs bis zur individuellen Wohlfühltemperatur reichen die Ideen von Dr. Stefan Rief, wenn es um die Zukunft des Arbeitsplatzes geht. Der studierte Architekt leitet am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart den Forschungsbereich „Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung“.
Vor dem Hintergrund von Pandemie und Homeoffice: Wie hat sich die Funktion des Büros verändert?
Ich denke, so groß sind die Veränderungen gar nicht. Das Büro ist immer noch ein Ort des Zusammentreffens, aber auch des konzentrierten Rückzugs. Es sind nur noch weitere Orte hinzugekommen, die ein Stück weit in Konkurrenz zum Büro treten. Es greift in meinen Augen zu kurz, das Büro nur als einen Ort des Austauschs zu betrachten. Dabei wird häufig übersehen, dass die Menschen individuelle Gründe haben, ins Büro zu kommen. Da spielt zum Beispiel die räumliche Trennung von Privatleben und Arbeit eine Rolle, eine gewisse Arbeitshygiene sozusagen. Es kann auch eine Flucht vor Wäschebergen oder anderen Aufgaben sein, die zu Hause auf mich warten. Das Büro ist aber auch ein Ort der Zusammenkunft, der sozialen Teilhabe. Wir müssen dort andere Menschen aushalten und lernen, mit ihnen umzugehen.
Wie kann ein Raum diesen unterschiedlichen Ansprüchen künftig gerecht werden?
Es gibt viele Studien dazu, dass Menschen beispielsweise ein unterschiedliches Temperaturempfinden haben, welches sich auf ihre Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit auswirkt. Das gleiche gilt für die Beleuchtung. Auch auf Licht reagieren die Leute unterschiedlich. Im Idealfall sollten sie individuell abgestimmte Bedingungen am Arbeitsplatz vorfinden und ihr Profil zu einem neuen Arbeitgeber oder einer anderen Niederlassung mitnehmen können. Sensoren und Wearables könnten weitere individuelle Eigenschaften bestimmen und den Arbeitsplatz oder den Tagesablauf daran anpassen.
Oft sind nicht alle Kolleg*innen gleichzeitig physisch präsent. Was bedeutet das für die Raumgestaltung?
Das hybride Arbeiten braucht neue räumliche Lösungen. Die potenzielle Ungleichgewichtung zwischen anwesenden und digital zugeschalteten Teilnehmenden in einem Meeting kann durch entsprechende Technik, zum Beispiel einen großen Screen, relativiert werden. Zugleich haben viele einen höheren Spracheintrag in ihrem Arbeitsalltag durch Abstimmungen mit Kollegen aus dem Homeoffice, aber auch mit Geschäftspartnern. Früher wäre ich zu meinem Gesprächspartner gefahren und hätte das Meeting vor Ort abgehalten. Heute führe ich es vom Schreibtisch aus, möchte aber trotzdem nicht, dass alle Kollegen mithören. Das gilt es zu berücksichtigen bei der Planung. Das Büro könnte mit digitaler Erweiterung gedacht werden.
Wie könnte das aussehen?
Wir experimentieren momentan mit einem digitalen Buchungstool für Arbeitsplätze. Das klingt nicht sonderlich spannend, kann aber durchaus einen Effekt haben auf die Motivation ins Büro zu kommen. Da sehe ich von zu Hause aus: Heute ist ein Drittel der Kollegen aus meinem Team vor Ort – da will ich auch dabei sein. Mit meinem direkten Team funktioniert die Zusammenarbeit vielleicht gut, weil wir eh fünfmal am Tag telefonieren. Aber der Austausch darüber hinaus mit den anderen Abteilungen fehlt. Den bekomme ich nur im Büro. Er ließe sich auch räumlich fördern: Da könnte sich mal jemand aus dem Marketing zu den Kollegen aus dem Controlling oder zu den IT-Leuten setzen, vielleicht sogar zu Freunden aus der Firma. Dadurch ergeben sich ganz neue Aufteilungen. Ich glaube, vor uns liegt eine tolle Zeit, wir nutzen die Möglichkeiten nur noch nicht richtig.
Wie sollten Planende die Belegschaft einbeziehen?
Natürlich sollten die Menschen ernst genommen werden, allerdings nicht im Sinne von Schülern, die jedes Jahr ihr Klassenzimmer neu gestalten. Wie arbeiten wir zusammen? Wie können wir Silos aufbrechen? Das sind wichtige Fragen, die es mit fachlicher Expertise methodisch zu analysieren gilt. Ich plädiere sehr für eine konzeptuelle Klarheit, die aber natürlich vermittelt werden muss.
Sind modulare Lösungen hilfreich?
Damit geht man in der Regel Kompromisse ein. Ich denke, dass es Raumsituationen geben muss, die unterschiedlich nutzbar sind, aber nicht klipp, klapp – im Sinne eines Schlafsofas. Das geht meist auf Kosten der Atmosphäre. Wir müssen unterscheiden zwischen der Flexibilität der Räume und der Anpassungsfähigkeit des Gebäudes. Planende sollten den Raum kuratieren entlang von Typologisierungen, die sich aus Aufgaben und Tätigkeiten ergeben. Auch wenn die Mitarbeitenden nicht mehr jeden Tag ins Büro kommen, sollten Unternehmen mit Büroflächen großzügig umgehen. Im Idealfall sind alle Plätze gleichermaßen attraktiv. Wenn ich nicht am Fenster sitzen kann, dann bekomme ich dafür mehr Platz um meinen Schreibtisch im Innenraum, sodass mir die Wahl im besten Fall richtig schwerfällt. Als Barbetreiber gebe ich mir ja auch Mühe, dass sich meine Gäste wohlfühlen. So sollten Arbeitgeber denken. Ich spreche gerne von einer „Kultur der Animation“ – nicht wie in einem Ferienclub, aber doch voller gestalterischer Qualität.
Wie kann die Arbeitsplatzumgebung zur Gesundheit beitragen?
Da gibt es interessante Studien. Ein Holzanteil von 50 Prozent trägt zum Beispiel dazu bei, dass die Menschen weniger Stress empfinden, messbar an Herzfrequenz und Blutdruck. Auch ein Ausblick in die Natur hat diese Wirkung. Er lässt sich sogar simulieren, selbst Poster zeigen Wirkung.
Wie wird das Büro 2040 aussehen?
Die Zeiten spielerischer Elemente wie Rutschen, Kicker oder Bällebad sind vorbei. Dennoch denke ich, dass eine atmosphärische Vielfalt wichtig ist. Dass ich mich in eine Bibliothek zurückziehen kann oder in der geräumigen Teamküche esse statt in der Kantine. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Büros wie Hotels betrieben werden, also unabhängig vom Unternehmen. Ich glaube, dass wir mehr Rückzug haben werden als in aktuellen Konzepten. Nutzungsgemischte Gebäude werden zunehmen, vielleicht als Büro-WG für Pendler. Da kann ich zum Beispiel zwei- bis dreimal die Woche kommen oder ich komme zwei Wochen am Stück, weil ich ganz woanders lebe. Und dann koche ich abends noch mit den Kollegen. Oder wir verabreden uns mit Freunden zum Arbeiten. Warum muss der eine in die eine, der andere in die andere Firma gehen? Warum arbeiten wir nicht miteinander? Das könnte ja sogar Spaß machen.
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