Echos aus der KI-Welt
Architekt Wolfram Putz von Graft über Künstliche Intelligenz

Wolfram Putz erforscht und erkundet digitale Anwendungen auf dem Gebiet der Architektur, seit er denken kann. Der Gründungspartner von Graft hat früh angefangen, mit KI-Bild-Generatoren zu experimentieren und ist fasziniert, wie rasant das Feld sich entwickelt. Im Interview legt er offen, wie das Unternehmen Graft Künstliche Intelligenz aktuell nutzt und integriert.
Warum ist Innenarchitektur bei Graft ein eigener Bereich?
Wir sind Renaissance-Menschen. Wir finden Möbeldesign genauso gut wie ein Hochhaus. Die klassische Hochbau-Architektur ist ja stark von Genehmigungsverfahren und praktischen Gegebenheiten abhängig. In unseren innenarchitektonischen Projekten können wir bei einem kleineren Budget experimentierfreudiger, radikaler und innovativer sein.
Seit wann nutzen Sie Künstliche Intelligenz?
Als Early Adopter haben wir vor knapp eineinhalb Jahren angefangen, KI-Bild-Generatoren zu testen. Das waren zu Beginn noch recht unfertige Beta-Versionen. Während man zunächst nur mithilfe von Textbefehlen – Prompts – architektonische Situationen generieren konnte, lassen sich inzwischen auch Bilder oder grobe Entwürfe einlesen. Diese kann man dann mit Text überformen. Die KI wird also allmählich besser beherrschbar. Die Ergebnisse sind jedoch nach wie vor stark vom Zufall geprägt. Diesen Moment nutzen wir, um eine Inspirationsbreite in großer Varianz sehr schnell testen zu können.
Im Moment geht es also vor allem um eine schnellere Ideenfindung?
Ja, wir lassen uns zu Beginn der Entwurfsphase quasi ein großes Echo aus der Welt der KI geben zu unseren Vermutungen, Ideen oder Schlüsselbegriffen. Andere holen sich Anregungen aus Büchern, Zeitschriften oder der Natur, aber wir sehen die KI schon als verteufelt gutes Inspirationswerkzeug. Irgendwann überträgt sich der Entwurf dann auf die Leinwand und es beginnt der ganz klassische Planungsprozess. Wir brauchen also nach wie vor unser gesamtes professionelles Wissen als Innenarchitekt oder Architektin, um den Prozess zu steuern und einen verwertbaren, finanziell belastbaren Plan zu bekommen.
Mit welchen Programmen arbeiten Sie?
Wir arbeiten vorwiegend mit Midjourney. Wir haben natürlich auch Dall-E, Stable Diffusion und andere Programme ausprobiert. Aber wir haben festgestellt, dass Midjourney für uns die besten, bildgewaltigsten Ergebnisse bringt. Diese Software wird in unseren Berufskreisen nach meiner Beobachtung am meisten genutzt.
Haben Sie auch spezielle KIs für Innenarchitektur wie Interior AI oder RoomGPT getestet?
Ja, wobei die meisten auf den oben genannten Modellen für generative KI aufbauen. Wir können uns aber architekturspezifische Prompts erstellen – zum Beispiel die Renderstyles oder Formatierungen, die das eigene Büro benutzt. Diese hängen wir dann als fertige Copy-Pastes an die einzelnen Prompts an.
Welche Version verwenden Sie aktuell?
Version 5. Wir nutzen auch die neue Möglichkeit der Sondermitgliedschaft und kaufen Stealth-Accounts. So sind unsere Entwürfe nicht mehr Teil der gemeinsamen, öffentlich einsehbaren Copyright-Welt von Midjourney. Jetzt, wo KI zum Teil der Arbeitsroutine wird, ist das für uns als Firma von Bedeutung – ebenso wie die Konzentration auf ein Programm. Denn was ich gelernt habe, auch in früheren Integrationsprozessen, ist: Werde gut in einer Software! Für uns ist es auch als Team wichtig, dass alle das Gleiche können, damit Arbeiten jederzeit von anderen fortgeführt werden können.
Das heißt, dass die professionelle Adaption von KI bei Graft begonnen hat?
Ja. Parallel verfolgen wir alle KI-Entwicklungen mit höchster Aufmerksamkeit weiter und justieren beständig nach. Außerdem experimentieren wir bei Graft mit einer offline funktionierenden KI, die wir anfüttern – wohl wissend um den riesigen Vorsprung der großen „Datenkraken“. Aber es wird künftig natürlich auch um eine gesicherte Autorenschaft gehen und um die maximale Vertraulichkeit von Projekten.
Wie bauen Sie Kompetenzen unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf?
Wir haben Anfang 2023 aus den Teams heraus eine KI-Gruppe für alle Interessierten gebildet. Graft hat auch von Beginn an Mitgliedschaften und Mittel zur Verfügung gestellt, damit die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich ausprobieren können. Solche spielerischen Forschungsgruppen haben wir viele, das ist Teil unserer Kultur. Nun organisieren wir je nach faktischem Bedarf in den Teams Fortbildungen.
Holen Sie sich auch externes Know-how hinzu?
Wir bauen das Wissen aktuell firmenintern auf, auch neigungsbezogen. So sehen wir zum Beispiel, dass das Prompting denjenigen besonders gut liegt, die sich auch sprachlich präzise ausdrücken und ein Prosagefühl haben. Es kommen aber tatsächlich immer mehr Externe auf uns zu, die uns KI-Leistungen als Plug-in anbieten. Hier lässt sich ähnlich wie im Rendering um die Jahrtausendwende eine Welle der Neugründungen, diesmal für KI-Zuarbeit, beobachten.
Sehen Sie KI positiv?
Ich verfolge die Entwicklungen im digitalen Entwerfen bis hinein in die Wissenschaft schon immer sehr aufmerksam. Was jetzt in der KI passiert, ist ein wirklich neuer, großer Quantensprung, der mich unheimlich fasziniert.
Wo liegen nach Ihrer Ansicht die gesellschaftlichen Gefahren von Künstlicher Intelligenz?
Wir haben in der Schule Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“ gelesen, das klassische Werk zu den Vor- und Nachteilen des technischen Fortschritts. Ich würde sagen, das hat auch hier Gültigkeit. Die Frage ist, wie die Technologie von wem verwendet wird.
Welche Themen sind auch für die Innenarchitektur problematisch?
Zum einen das Thema der Autorenschaft, das ja bereits öffentlich verhandelt wird und sicherlich auch zu merklich höheren Gebühren für KI-Software führen wird. Kaum jemand von uns kennt bisher die Ressourcenbibliotheken und Copyrights der Bilder, die die KI nutzt. Dann wird irgendwann für die einen oder anderen Unternehmen die Frage aufkommen: Wie viele Beschäftigte brauche ich eigentlich noch? Und die Frage des Bauherren nach der tatsächlichen Arbeitszeit. Das dritte Thema ist das Thema der Energie und der Serverkapazität. Gerade das Effizienzniveau in der Generierung von Bildern, insbesondere Bewegtbildern, ist absolut mangelhaft.
Ihr Ausblick?
Wir kommen nicht darum herum, uns als Praktizierende mit Künstlicher Intelligenz zu befassen – und über die Verbände Regeln aufzustellen. Wir bei Graft sind Optimisten. Man kann Wissen ja auch als Schild benutzen, damit man einer Situation nicht ausgeliefert ist.
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