Nachhaltig bauen heißt flexibel denken
Architekt Andreas Gerhardt über nachhaltige Gebäude und Interiors
Das von der DGNB mit einem Platin-Zertifikat ausgezeichnete Gebäude Clouth 104 ist das erste gemeinsame Projekt des Immobilienentwicklers KairosRed und dem Architekturbüro Lepel & Lepel in Köln. Es ist nicht nur ein Beispiel für eine herausragende, grüne Architektur, in dem Gesamtkonzept wurde auch die nachhaltige Innenraumplanung festgelegt. Das ist etwas Besonderes, nicht zuletzt, da es für Innenraumgestaltung bisher keine eigenen Zertifikate gibt. Im Interview erzählt Andreas Gerhardt, Initiator und Bauherr von Clouth 104, wie die Umsetzung nachhaltiger Architektur und Innenarchitektur gelingt.
Für Andreas Gerhardt sind Gebäude „Akteure im sozialen Gefüge einer Stadt“. Er muss es wissen: Gerhardt ist ein Architekt, der außerdem Stadtplanung und Soziologie studiert hat. Er ist zudem diplomierter Volkswirt und besitzt einen MBA Internationales Immobilienmanagement. Mit seinem Unternehmen KairosRed Group war er Initiator und Bauherr des kürzlich von der DGNB mit der höchsten Stufe für nachhaltige Architektur ausgezeichneten Gebäudes Clouth 104. Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit dem Kölner Büro Level & Level. Jetzt managt er das Hofgebäude mit riesigem Dachgarten im Kölner Stadtteil Nippes, das mehr ist als nur die Revitalisierung eines Industriebaus – der ehemaligen Clouth Gummiwerke-Fabrik. Die Architektur und die technische Gebäudeinfrastruktur sind so konzipiert, dass Clouth 104 seine Nutzung ständig verändern, sich immer wieder neu erfinden kann. Wir trafen Andreas Gerhardt in seinem Büro im Clouth 104, das an einen Co-Working-Space gekoppelt ist.
Das Gebäude Clouth 104 in Köln ist mit der höchsten Auszeichnung der DGNB in Platin gekürt worden. Wie ist dies gelungen?
Ich bin bereits 2008 in die DGNB eingetreten. Es war mir daher ein Bedürfnis, ein nachhaltiges Gebäude zu bauen. Welche Stufe man dabei erreicht, ob es Platin oder Gold wird, war nicht ganz absehbar. Klar ist: Um die höchste Bewertung zu erreichen, muss man besser planen, mehr investieren. Und man muss gute Partner haben, die einem sagen, wo nachjustiert oder zusätzlich investiert werden muss.
Ist ein nachhaltig errichtetes Gebäude das Werk eines auf Nachhaltigkeit spezialisierten Architekturbüros?
Der Architekt ist so gut wie der Bauherr. Das gilt fürs Design wie für die Nachhaltigkeit: Der Architekt muss umsetzen, was der Bauherr möchte. Dabei geht es nicht nur ums Geld. Der Bauherr macht sehr genaue Angaben, was die architektonische Realisierung angeht. In unserem Fall: Mit dem Architekturbüro Lepel & Lepel war die Kooperation leicht. Zunächst hat man eine Art Rahmenprogramm, das dann gemeinsam konkretisiert wird. Ursprünglich hatten wir hier auch Wohnungen geplant. Auf der Fläche in den oberen Etagen ist dann aber ein Hotel entstanden. Wir haben das Quartiersgebäude den Marktanforderungen angepasst. Es war wichtig, in der Entwicklung zu hinterfragen, was denn in der Nutzung eigentlich nachhaltiger ist. So gab es im Prozess viele Punkte, die immer wieder nachjustiert werden mussten.
Man könnte sagen: Wer eine hohe DGNB-Zertifizierung anstrebt, muss im Prozess flexibel bleiben?
Genau. Im Endeffekt muss man fortwährend neue Entscheidungen treffen. Man kann sich nicht zurücklehnen und sagen: Jetzt macht mal, alle Entscheidungen sind gefallen. So ist Clouth 104 jedenfalls nicht entstanden.
Für Clouth 104 haben Sie eine gesamte Grundkonzeption für nachhaltige Architektur und Innenarchitektur inklusive der flexiblen Nutzungskonzeption entwickelt. Können Sie das genauer erläutern?
Das Konzept der Flexibilität ging von der immobilienwirtschaftlichen Situation aus: Ich wollte ein Gebäude, das quasi nie leer steht, das leicht zu vermieten und attraktiv ist. Deswegen ist Clouth 104 – ein Hofgebäude mit Laubengängen im Inneren – so aufgebaut, dass es in sehr kleine Einheiten geteilt werden kann. Das heißt, wir können alle Mieteinheiten – bis auf eine oder zwei – aus den Laubengängen oder aus den Hofeingängen erschließen. Immer, wenn eine Einheit leer gezogen wird, können wir sie schnell wieder besetzen. Sie kann 120, 240 oder auch 500 Quadratmeter groß werden. Man ist also sehr flexibel, was den Grundriss angeht. Wir haben derzeit etwa 50 Einheiten vermietet und könnten daraus 96 Einheiten machen. Um die Umbaumaßnahmen möglichst minimal zu halten, sind die Schächte im Prinzip vorgerüstet, sodass die Einheiten versorgt werden können. Der Vorteil: Wir können innerhalb von einem Monat eine neue Einheit erzeugen. Normalerweise hat man Leerstände von 2 bis 4 Monaten, weil Leitungen nachgezogen werden müssen und so weiter.
Welche Aspekte zahlen im Interior auf die Flexibilität ein?
Wir wollten das Gebäude innen relativ roh belassen. Das heißt, wir haben keine Qualität an den verwendeten Sichtbeton gestellt. Das hat den Effekt, dass es sehr viele unterschiedliche Chargen gibt. Der Beton wirkt insgesamt also nicht clean, sondern facettenreich in seinen Grautönen. Mir gefällt die Ästhetik, sie passt sehr gut zum gesamten Gebäude. Der Sinn dahinter: Man bekommt das Gefühl, das Gebäude wirklich benutzen zu können. Ist alles fein verputzt und sauber gestrichen, hat man Respekt davor, etwas zu verändern. Außerdem haben wir die Haustechnik – alle Heizungsleitungen, Kabel – sichtbar auf dem Beton installiert. Sie kann damit später leicht zurückgebaut werden, falls Änderungen notwendig sind. Das erfordert natürlich eine höhere Qualität der handwerklichen Arbeit. Vor allem im Hotel sieht man, dass die Handwerker eine herausragende Optik geliefert haben. Diese Idee, alles sichtbar zu machen, gibt auch dem Interior mehr Flexibilität. Und bei Problemen im Gebäude hat man den Vorteil, relativ schnell zu sehen, wo ein Fehler liegt. Dies alles sind Benefits für die Benutzbarkeit, den Umbau, den eventuellen Rückbau des Gebäudes, was natürlich auch in den Kriterien der DGNB eine wichtige Rolle spielt.
Eine weitere Idee bei dem Projekt war, dass es möglichst keine Doppelnutzungen im Gebäude geben sollte, richtig?
Ich sehe ein Gebäude als ein kleines städtisches Gebilde. In der Stadt ergänzen sich die einzelnen Funktionen und so sollte es auch hier im Clouth 104 sein. Man ist nah beieinander, sodass sich Nutzungen wunderbar vernetzen lassen. Wir haben einen kleinen Fitnessclub, ein Hotel, Gastronomie, einen Kiosk, Co-Working, Meeting- und Eventräume sowie Künstlerateliers. Deshalb hat das Hotel keine eigene Gastronomie. Gäste nutzen das Restaurant oder das Kiosk-Café zum Frühstücken.
Was sind die großen Herausforderungen bei der Umsetzung eines nachhaltigen Gebäudeprojekts?
Es gibt verschiedenste Schwerpunkte und Anforderungen. Das reicht von der Planung über die Auswahl der Materialien bis hin zum Energieverbrauch. Wie viel Material brauche ich überhaupt? Woher kommt es? Wir haben hier im Gebäude die höchste Materialqualitätsstufe: Q4. Das heißt, im Zertifizierungsprozess wird alles geprüft. Alles soll überwiegend regional ausgewählt werden, nichts darf schädlich sein. Egal ob Isoliermaterialien, Anstriche, Teppiche, Kleber oder die Böden, die wiederum aus verschiedenen Stoffen zusammengesetzt sind. Man hat kaum Ausweichmöglichkeiten. Das ist zeit- und kostenintensiv. Wenn man ein DGNB-Zertifikat anstrebt, kann man einzelne Entscheidungen nie separat betrachten, sondern muss immer das ganze Gebäude im Blick haben.
Für nachhaltige Architektur gibt es ein Zertifikat. Für Innenarchitektur nicht. Die Deklaration Nachhaltigkeit Innenarchitektur ist für Innenarchitekt*innen lediglich eine Möglichkeit, mit Bauher*innen ins Gespräch zu kommen, um Empfehlungen für ein nachhaltiges Interior zu geben. Was halten Sie davon?
Wenn ich meine Nachhaltigkeitsziele nicht irgendwo festhalte und mich auch nicht dazu verpflichte, sie umzusetzen, dann wird die Idee normalerweise – selbst, wenn sie am Anfang gut ist – nicht eingehalten. Nachhaltigkeit ist sehr komplex, involviert viele Akteure und ist meiner Meinung nach nur möglich, wenn es eine Verpflichtung dazu gibt. Es braucht überprüfbare Kriterien!
Zieht ein Gebäude, das DGNB-zertifiziert ist, automatisch Mieter*innen an, die auf nachhaltige Innenarchitektur setzen?
Kommt darauf an. Es ist ja so: Gebäude werden fast nur noch finanziert, wenn sie nachhaltig sind, weil die Banken unter dem Druck des ESG (Anm. der Red.: Environmental, social and corporate governance, ein Rahmenwerk, das die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Wertschöpfung aller Stakeholder*innen eines Unternehmens – Mitarbeiter*innen, Kund*innen, Lieferant*innen und Geldgeber*innen – berücksichtigt.) stehen. Banken können also nur noch Kredite ausgeben, die dann eben für nachhaltige Objekte sind. Das ist eine Kette, die sich bis zu den Nutzern hinzieht. Gewerbemieter – wie hier im Clouth 104 eine Unternehmensberatung oder Medienunternehmen wie Warner Brothers – müssen ebenfalls diese ESG-Kriterien umsetzen.
Im Sinne eines nachhaltigen Gesamtkonzepts sollte auch die Einrichtung möglichst nachhaltig sein. Wer entscheidet hier darüber, dass das auch so ist?
Die Frage ist, wie ist ein Mietvertrag gestrickt? Der Bauherr oder Eigentümer gibt eine Hülle vor, eine Infrastruktur mit den Grundmaterialien. Wenn ein Mieter statt Estrich einen Holzboden haben möchte, dann ist er dafür selbst verantwortlich. Da können Sie als Eigentümer nichts machen, außer Sie regeln das im Vertrag. Möbel sind bei der DGNB kein Kriterium, da sie mobil sind, nicht im Objekt bleiben müssen. Sinnvoller wäre es, für Interiorprodukte, die fest installiert sind, Nachhaltigkeitskriterien mit Folgewirkung zu entwickeln: Wie kann jedes Jahr Energie – Gas, Strom oder Wasser – gespart werden? Welche Armaturen eignen sich am besten und so weiter?
Sie managen hier einen Co-Working-Space, Workshop-, Büro- und Eventräume. Haben Sie bei der Möblierung auf Nachhaltigkeit geachtet?
Wir wollen Durchgängigkeit. Nicht nur das Gebäude, sondern auch alles andere soll möglichst nachhaltig sein. Wir haben beispielsweise lange recherchiert, um Konferenzstühle zu finden, die unserem Anspruch gerecht werden und komplett aus Recyclingmaterial bestehen.
Wie weit geht die Nachhaltigkeit in den anderen Innenräumen bei Clouth 104? Was ist, wenn Mieter*innen unbedingt einen Teppich nutzen möchten, der aber nicht den Zertifizierungskriterien entspricht?
Schon von vornherein haben wir in den Mietverträgen eine Klausel integriert, die sagt, dass wir mindestens DGNB-Gold erreichen möchten. Somit haben die Mieter unterzeichnet, dass sie sich daran orientieren. Dabei geht es auch um eine Geisteshaltung, die man befördern möchte. Mieter, die in ein nachhaltiges Gebäude ziehen, sollten auch selbst einen Beitrag dazu leisten. Wir sagen also ganz klar: Diesen Teppich können wir nicht nutzen, er entspricht nicht den Kriterien. Denn dann verlieren wir möglicherweise so ein DGNB-Zertifikat.
Übrigens: Auch der GU (Generalunternehmer, Anm. d. Red.) oder der Handwerker musste dem zustimmen, dass wir ein Zertifikat in Gold beabsichtigten. Es ist aufwändig, dann für jedes Material, jede Verarbeitung, Lieferung et cetera die entsprechenden Nachweise zu erbringen. Wenn wir Nachhaltigkeit wollen, müssen wir einfach unsere Gewohnheiten, unsere Einstellung zum Prozess ändern.
FOTOGRAFIE © KairosRed
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