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„Veränderung ist Teil unserer DNA”

Axel Schmid über den Neustart bei Ingo Maurer

Bei seinen wichtigsten Projekten setzte Ingo Maurer stets auf den Designer Axel Schmid. Mit der Übernahme des legendären Unternehmens durch Foscarini ist Schmid, der vor 25 Jahren bei Maurer anfing, nun als Head of Product and Project Design angetreten. Jetzt hat sich der Leuchtenhersteller auch beim Salone del Mobile zurückgemeldet. Was sich verändert – oder auch nicht, erzählt der vielseitige Designer im Interview.

von Kathrin Spohr, 19.04.2023

Sie haben 1998 bei Ingo Maurer angefangen. Wie kam es dazu?
Das ist eine lustige Geschichte: Nach dem Produktdesignstudium in Stuttgart habe ich einen Job gesucht. Als ich mit Freunden in den Skiurlaub gefahren bin, haben wir einen Zwischenhalt in München eingelegt. Ich besuchte das Büro Konstantin Grcic und machte auch Station bei Ingo Maurer, um mich dort zu bewerben. „Fang doch gleich bei uns an“, sagte Ingo. Ich antwortete, dass dies gerade schwierig sei, weil draußen noch zwei Freunde warten, die mit mir zum Skifahren nach Österreich wollen. „Wann kommt Ihr zurück?“, fragte Ingo. „In eineinhalb Wochen“, entgegnete ich. „Gut, dann fängst Du in eineinhalb Wochen an!“ Und so war es: Auf dem Rückweg vom Skiurlaub begann ich, bei Ingo Maurer zu arbeiten. Erst am darauffolgenden Wochenende holte ich meine Sachen aus Stuttgart.

Das ist genau 25 Jahre her. Was hat dazu geführt, dass Sie nie das Bedürfnis hatten, woanders zu arbeiten?
Es hat mit der Firma zu tun – ich bin nicht der Einzige, der so lange hier arbeitet. Mir ging es immer um die Abwechslung beim Arbeiten. Anfangs dachte ich, die Vielfalt kommt nur, wenn man in möglichst unterschiedlichen Produktsparten arbeitet, Möbel, Leuchten, Uhren und so weiter. Aber es hat sich gezeigt, dass hier genügend Abwechslung vorhanden ist, schon allein durch die Art und Weise, wie wir arbeiten. Ich habe immer an vielen Sonderprojekten gearbeitet, wo es um den Entwurf von Lichtobjekten ging. Jedes Projekt ist da komplett anders, ein Abenteuer!

Was macht die Arbeitsweise bei Ingo Maurer aus?
Wir entwerfen nicht nur, wir entwickeln und produzieren auch. Der Startpunkt ist manchmal eine konkrete Produktidee, dann ein Material oder eine neue Technik. Das heißt, man macht nicht nur das Design einer Leuchte inklusive der technischen Funktion. Man überlegt sich einen Namen – übrigens eines der Lieblingshobbys von Ingo Maurer. Man schaut, wie man die Leuchte möglichst sinnvoll herstellt, wie die Verpackung, die Produktfotografie, die Gebrauchsanweisung aussehen soll. Oft hat man auch direkt mit Händlern und Kunden zu tun, wenn Leuchten umgebaut oder maßgeschneidert werden. Ein anderer Aspekt: Wir arbeiten im Großraumbüro. Jeder sieht, was der andere gerade macht. Bei uns verkneift man sich keinen Kommentar, sondern hinterfragt offen. So kommt viel Austausch, viel Bewegung in den Prozess.

Ingo Maurer war eine starke Persönlichkeit und hat bis zu seinem Tod im Jahr 2019 gearbeitet. Wie war es für Sie und das Team, auf einmal ohne ihn zu sein?
Als ich in München anfing, war Ingo etwa 65 Jahre, also im Renteneintrittsalter. Wir haben natürlich immer wieder die Zukunft thematisiert. Drei Monate nach Ingos Tod kam erschwerend hinzu, dass die Coronapandemie begann. Viele haben gefragt, wie es nun weitergehen soll. Das war jedoch leicht zu beantworten, denn Ingo war natürlich nicht der Einzige, der Ideen geliefert hat. Seine größte Leistung war es, hier ein einzigartiges „Biotop“ aufzubauen, eine besondere Struktur und Herangehensweise an Projekte zu etablieren und diese über all die Jahre beizubehalten.

Dennoch war sein Tod ein Einschnitt, eine Veränderung.
Richtig. Veränderung ist jedoch ein Teil unserer DNA: Die Produkte, die Materialien aus den 1960er-Jahren beispielsweise waren völlig anders als die aus den Siebzigern. In den Achtzigern kam das YaYaHo-System auf den Markt, damit hat sich auch die Firma wieder gewandelt. So ging es im neuen Jahrtausend weiter: Es warten immer neue Herausforderungen.

Im Mai 2022 hat Foscarini SpA die Mehrheitsanteile am Unternehmen Ingo Maurer erworben. Was wird sich dadurch ändern?
Zunächst einmal erfahren wir von Foscarini eine sehr große Wertschätzung. Das ist für uns ein optimaler Startpunkt. Es bestärkt uns darin, so weiter zu machen wie bisher. Das heißt, Foscarini wird das Unternehmen Ingo Maurer nicht neu aufstellen, sondern so, wie es ist, in die Zukunft führen.

Foscarini und Maurer sind sehr unterschiedliche Marken…
So soll es auch weiterhin bleiben. Es wird beispielsweise keine gemeinsamen Messestände oder anderen Auftritte geben. Wir wollen voneinander lernen!

Welche Synergien wird es geben?
Die Vorteile neuer Marktmöglichkeiten liegen auf der Hand: Foscarini hat ein sehr elaboriertes Netzwerk an internationalen Vertriebskanälen. Auch wenn wir immer für den internationalen Markt entworfen haben, so war es für uns als kleine Firma doch schwierig, mit den jeweils nötigen Zertifikaten überall auf der Welt präsent zu sein. Foscarini bedient diese Märkte und da werden wir nun mit ins Boot geholt.

Seit 2022 sind Sie bei Ingo Maurer Head of Product and Project Design. Was bedeutet das?
Der Titel ist ganz neu. Bis zu Ingos Tod gab es hier keine hierarchische Einteilung, keine Titel. Es gab Ingo und seine Frau, die verantwortlich waren. Jetzt aber brauchen wir diese Zuständigkeiten, vor allem für die Kommunikation mit den Kunden. Ich habe mit Ingo an zahlreichen Projekten, die ihm sehr wichtig waren, eng zusammengearbeitet. Man kann also sagen: Ich bin in diese Position hineingewachsen.

„Gestaltung und Planung von Licht, Leuchten und Lampen mit Poesie, Humor und Technologie seit 1966“ lautet das Firmen-Kurzportrait im Internet. Wie sehen Sie die Ausrichtung des Designs nach dem Tod von Ingo Maurer: Kann man unter Ihrer Federführung ein typisches Maurer-Design oder radikale Veränderungen erwarten?
Erst einmal: Es gibt keinen Ingo-Maurer-Stil, den wir unseren Entwürfen überstülpen. Auch kein Manifest oder Styleguide, an dem wir uns orientieren müssten. Jedes Design beziehen wir auf das Objekt, an dem wir arbeiten. Im Mittelpunkt steht das Objekt in der jeweiligen Situation. So hat jede Art von sachlicher Gestaltung bei uns erst einmal ihren Platz. Es gibt die praktischen, die technischen Entwürfe, die Bandbreite ist groß. Der rote Faden in unserem Portfolio ist die Mischung. Wir wollen überraschen. Ich suche, wie gesagt, die Abwechslung. Und das ist eine strategische Entscheidung.

In diesem Jahr stellen Sie erstmals wieder auf der Mailänder Designwoche aus. Symbolisiert Ihre Teilnahme den Neubeginn des Unternehmens nach dem Tod Ingo Maurers?
Darüber haben wir heute zufällig gesprochen: Ist es wirklich ein Neuanfang? Oder eher die Wiedererkennung der Arbeit, die wir durchgehend gemacht haben? Wir kommunizieren dies als Erstes durch die Überraschungen, die wir hoffentlich erzeugen werden. Besucher, die zum Salone gehen, suchen ja vor allem Inspiration, wollen sich wachrütteln lassen. Das ist für uns der Ansporn!

Wie wird der zukünftige Weg des Unternehmens Ingo Maurer aussehen?
Unser Weg war nie gerade, sondern immer ein bisschen in Zickzack- oder Schlangenlinienform – und manchmal auch wie ein Looping. Ich hoffe, dass es so aufregend weitergeht!

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