Menschen

„Es gab diesen großen Hunger“

Interview mit Dimitri Saddi, Gründer der Lichtmanufaktur PSLab Lighting Design

Licht und Leuchten sind das Metier von Dimitri Saddi. Vor rund 20 Jahren gründete er PSLab Lighting Design und arbeitet seither mit internationalen Architekturbüros zusammen. Das Spezialgebiet des Beiruter Unternehmens sind maßgeschneiderte Lichtlösungen, die in der eigenen Manufaktur hergestellt werden. Wir haben Saddi zuhause in Achrafieh besucht, das von der Explosion 2020 zerstörte Headquarter von PSLab angeschaut und die Produktion in Bouar.

von Claudia Simone Hoff, 31.01.2023

Dimitri Saddi (Jahrgang 1970) ist mit uns zum ehemaligen Headquarter von PSLab gefahren. Es befindet sich unweit des Hafens von Beirut im Stadtteil Mar Mikhael, wo einst die Kreativszene der Stadt ansässig war. Das Gelände ist eingezäunt und wirkt gespenstig leer mit seinen inzwischen aufgeräumten Ruinen und dem Hauptgebäude aus den Fünfzigerjahren, das im Inneren fast völlig zerstört ist. An einer verbliebenen Wand steht das Motto des Unternehmens: No standard. Everything we do is personalised. Saddi war nach der Explosion noch nicht oft hier, zu schwer wiegen die Erinnerungen an den Ort, an dem er einst sein Unternehmen gründete.

Wie hast du den Tag der Explosion am 4. August 2020 erlebt?
Der Ursprungsort der Explosion ist etwa 500 Meter entfernt von hier. Zuerst war nur ein Feuer zu sehen, weshalb viele nach draußen rannten. Dann kam die Explosion. Im Bürogebäude wurden Türen aus der Verankerung gerissen und umhergeschleudert. An dem Tag arbeiteten hier 55 Menschen – es grenzt an ein Wunder, dass alle überlebt haben. Wir waren blutüberströmt und standen unter Schock.

Kannst du dir vorstellen, mit PSLab nach Mar Mikhael zurückzukehren?
Nein, das kommt für mich nicht infrage. Ich war noch ziemlich jung, als ich begann, an diesem Ort meine Firma aufzubauen. Ich hatte zuvor in London und Kanada gelebt und war voller Energie und Hoffnung, als ich nach Beirut kam. Nach der Explosion war ich extrem wütend. Zwei Wochen später hatten wir das gesamte Headquarter einschließlich der Designabteilung nach Bouar nördlich von Beirut verlegt, wo sich zuvor bereits die Manufaktur befand. Ich mag die kreative Atmosphäre dort – es ist so, als ob man in der Küche wohnen würde.

Hatte die Explosion wirtschaftliche Folgen für PSLab?
Glücklicherweise nicht, denn der lokale Markt war für uns nie wirklich interessant. Wir haben seit etwa 2010 eine Wirtschaftskrise im Libanon, weshalb ich beschlossen hatte, dass wir uns auf den internationalen Markt konzentrieren. Wir sind aber in anderer Weise betroffen, beispielsweise durch die Korruption, die extrem hohe Inflation und die Energiekrise.

Wir sind mit Dimitri Saddi vom ehemaligen Headquarter in Mar Mikhael nach Achrafieh gefahren, einem Stadtteil von Beirut mit schönen Gebäuden aus der Jahrhundertwende und Bauhaus-Architektur. Der 52-Jährige wohnt in einer Penthouse-Maisonette in einem Hochhaus – überall sieht man die Leuchten und Lichtsysteme von PSLab. Auch auf der Terrasse, von der man über die Stadt und das Mittelmeer blickt.

Du hast PSLab im Jahr 2004 gegründet. Wie hat alles angefangen?
Ich bin sozusagen in der Industrie aufgewachsen, denn mein Vater war Vertreter für große Leuchtenhersteller. Meine Eltern hatten Beirut in den Siebzigerjahren wegen des Bürgerkriegs verlassen und sind nach Dubai ausgewandert. Ich ging auf ein englisches Internat und studierte später in Kanada. Danach arbeitete ich ein Jahr lang mit meiner Vater zusammen, wollte dann aber etwas Eigenes aufbauen und kam zurück nach Beirut. Mein Vater hatte das Fabrikgelände in Mar Mikhael bereits in den frühen Neunzigerjahren gekauft – dort befand sich die Fabrik des Gasunternehmens Air Liquide.

Wie war damals die Stimmung in Beirut?
Ich kannte mich in der Stadt zwar überhaupt nicht aus, aber die Energie war fantastisch. Die Menschen meiner Generation kamen zurück in den Libanon, nachdem sie im Ausland aufgewachsen waren. Es gab einen großen Hype, gerade was die Architektur angeht. Mir war schnell klar, dass ich mein eigenes Ding machen wollte und deshalb hörte ich 2003 auf, andere Brands zu repräsentieren. Ein Jahr später ging es dann offiziell los mit PSLab, obwohl wir überhaupt keine Erfahrung hatten.

Was war deine Idee?
Große Leuchtenhersteller haben ein weltweites Vertriebsnetz. Damit konnten wir im Libanon nicht konkurrieren und mussten etwas anbieten, das über das reine Produkt hinausgeht. Und da kommt die Kreativität ins Spiel. Ich meine Kreativität nicht nur in Bezug auf das Produkt selbst, sondern auf die Nutzung des Produkts. Schon damals begannen wir, Produkte für spezielle Räume und Anwendungen zu entwerfen und auch selbst herzustellen. Alles was wir bei PSLab tun – auch heute noch – hat mit Service durch Lichtdesign zu tun.

Du bist damals ein ziemlich großes Risiko eingegangen.
Ja, alles auf dieser Reise ist ein Risiko. (lacht) Es gab diesen großen Hunger und ich war überzeugt davon, dass wir es schaffen würden. Dabei ist es wichtig, den Kontext zu verstehen: Der Libanon ist nicht China, wo man billig produzieren kann. Der Libanon ist nicht Italien, wo man alles auf hohem Niveau herstellen kann. Der Libanon ist nicht Deutschland, wo man ein Gefühl für Technik hat. Beirut ist Beirut – wir sind nicht bekannt für diese Dinge. Unsere Idee war es, maßgeschneiderte Lichtlösungen für ein bestimmtes Projekt zu entwickeln. Später wollten wir dann auch mit der Qualität großer Leuchtenhersteller konkurrieren – in gestalterischer und technischer Hinsicht.

Ich kann also keine einzelne Leuchte bei PSLab kaufen?
Nein, ein einzelnes Produkt kann man bei uns nicht kaufen, denn es geht immer um den Raum. Selbst wenn er klein ist, kann man zu uns kommen, wir schauen den Raum an und entwerfen dafür eine spezielle Lichtlösung.

Über Kontakte zu nationalen Architekt*innen verfügte Dimitri Saddi von Beginn an, hatte er doch bereits vor Gründung seines Unternehmens einige Jahre in der Leuchtenindustrie gearbeitet. Inzwischen kooperiert PSLab mit vielen international renommierten Architekt*innen, darunter Vincent Van Duysen, Batek Architekten, India Mahdavi, soma architecture und Ester Bruzkus Architekten. Die holistische Lichtplanung von PSLab – bei der es um den Ort und nicht um ein Produkt geht – fällt durch eine besondere Liebe zum Detail auf. Sie umfasst handgefertigte Projektskizzen, aufwendige Material- und Designstudien sowie den Bau von Prototypen. Sämtliche Leuchten werden in der eigenen, hochtechnisierten Manufaktur in Bouar gefertigt und in alle Welt verschifft – samt speziell für jedes Projekt entworfenem Packaging. Jedes Projekt wird zudem in einem digitalen Archiv abgelegt (samt Fotos, Plänen, Zeichnungen und Informationen), auf das die Mitarbeiter jederzeit Zugriff haben. So wird sichergestellt, dass Know-how nicht verlorengeht. PSLab beschäftigt in seinem Headquarter und sieben Niederlassungen rund 110 Mitarbeiter*innen.

Der Libanon ist ein politisch und wirtschaftlich instabiles Land. Das hat sicherlich auch Auswirkungen auf die Arbeit von PSLab.
Ja, das stimmt. Im Jahr 2006 beispielsweise besetzte Israel den Libanon und verhängte eine Seeblockade. Damals hatten wir einen großen Auftrag von einem Hotel in Katar und konnten die Leuchten nicht mit dem Schiff ausliefern. Wir mussten sehr viel Geld für den Transport bis zur syrischen Grenze ausgeben. Daher beschloss ich, dass das Unternehmen auch außerhalb des Libanons präsent sein sollte.

Wie ist es so schnell gelungen, nach Europa zu expandieren?
Ich begann, mich mit Architekt*innen wie Vincent Van Duysen und India Mahdavi zu treffen. Mit Vincent Van Duysen setzten wir in Antwerpen dann gleich ein tolles Projekt um: Graanmarkt 13, ein Showroom und ein Restaurant. Zu dieser Zeit kannte uns im Ausland noch niemand, aber wir überzeugten die Architekturbüros durch unsere Leidenschaft. Mir wurde damals auch bewusst, dass es nicht genügen würde, einfach nur einen Repräsentanten im Ausland zu haben. Ich wollte, dass PSLab Eigentümer seines eigenen Netzwerks ist. Deshalb eröffneten wir 2009 unser erstes Office außerhalb von Beirut und zwar in Stuttgart. Inzwischen haben wir weitere Dependancen, beispielsweise in London, Paris, Antwerpen und Amsterdam – jeweils mit einer Minderheitsbeteiligung. Gerade planen wir eine weitere Niederlassung in Berlin-Charlottenburg, die in diesem Jahr eröffnet werden soll. Die Stadt ist sehr wichtig für uns – als Ort mit unterschiedlichen Kulturen und vielen guten Architekturbüros.

Die Dependancen sind gleichzeitig auch Orte, die zeigen sollen, wofür PSLab steht. Wie funktioniert das?
Unsere Showrooms haben ausgesprochen räumliche Qualitäten. Sie fühlen sich eher wohnlich an, nicht so sehr wie Verkaufsräume. Wir nutzen sie als Katalysatoren, um unseren Kund*innen – meist Architekt*innen – zu zeigen, was die Arbeit und den Service von PSLab ausmacht. Es geht darum, die Leuchten anfassen zu können und das Licht zu fühlen. Außerdem schätzen wir das Lokale.

Wie hat sich das Unternehmen in den letzten 20 Jahren verändert?
Zu Beginn stand die Vision, einen Service zu verkaufen und die Produkte dafür zu entwerfen. Mit der Zeit haben wir uns weiterentwickelt. Um es mit der Metapher eines Autos zu sagen: Zuerst haben wir an der Karosserie gearbeitet und dann kam der Motor dazu. Das war sehr kostspielig, denn darin steckt viel Technik. Heute ist der Motor Standard und um ihn herum wird die Karosserie entworfen. Am Ende sind es vor allem zwei Eigenschaften, die unseren Erfolg ausmachen: Leidenschaft für das, was wir tun.

Viele Kreative haben Beirut nach der Explosion verlassen. Hast du auch mal daran gedacht?
Ja, ich habe kurz überlegt nach London zu ziehen, wo ich lange gelebt habe und ein Haus besitze. Die Explosion hat sich angefühlt wie das Böse schlechthin und ich dachte, ich wäre fertig mit dem Libanon. Aber Beirut ist meine Heimat. Ich liebe die Stadt, sogar das Chaos und die Stromausfälle. (lacht) Wenn sich eine Tür schließt, dann öffnet sich eine andere – das ist unsere Mentalität. Vielleicht ist die Resilienz gegenüber diesen Unwägbarkeiten sogar einer der Gründe, warum PSLab zu dem wurde, was es heute ist.

Facebook Twitter Pinterest LinkedIn Mail
Links

PSLab Lighting Design

www.pslab.lighting

What makes our home

Film von Lana Daher über die Philosophie von PSLab

www.pslab.lighting

Headquarter von PSLab in London

www.baunetz-id.de

The Jane in Antwerpen

Lichtplanung von PSLab

www.baunetz-id.de

Mehr Menschen

Ode an die Emotion

Interview mit dem französischen Designer Benjamin Graindorge

Interview mit dem französischen Designer Benjamin Graindorge

Zirkuläre Lichtplanung

Sabine De Schutter im Gespräch

Sabine De Schutter im Gespräch

Townhouse in Mitte

Zu Besuch beim Berliner Architekten Patrick Batek

Zu Besuch beim Berliner Architekten Patrick Batek

Dialog durch die Zeit

Der Schweizer Galerist und Restaurator Reha Okay im Gespräch

Der Schweizer Galerist und Restaurator Reha Okay im Gespräch

„Ein Schalter ist wie ein Uhrwerk“

Ein Gespräch über die Gira-Produktneuheiten mit Jörg Müller

Ein Gespräch über die Gira-Produktneuheiten mit Jörg Müller

Zwischen Euphorie und Askese

Studiobesuch bei Karhard in Berlin

Studiobesuch bei Karhard in Berlin

Wirkungsvolles Licht

Sven Bär über neue Trends bei SG Leuchten

Sven Bär über neue Trends bei SG Leuchten

Formen aus dem Feuer

Simone Lüling über die Anfänge ihres Leuchten-Labels ELOA

Simone Lüling über die Anfänge ihres Leuchten-Labels ELOA

Experimentierfreudiges Duo

Im Designlabor von Niruk

Im Designlabor von Niruk

Maßgeschneidertes Spektrum

Sebastian Deutenberg über die Manufakturleuchten von TRILUX

Sebastian Deutenberg über die Manufakturleuchten von TRILUX

Material matters

Bodo Sperlein und seine Entwürfe für den gedeckten Tisch

Bodo Sperlein und seine Entwürfe für den gedeckten Tisch

„Ich liebe es, mit Licht zu arbeiten“

Designer Michael Anastassiades im Gespräch

Designer Michael Anastassiades im Gespräch

„Veränderung ist Teil unserer DNA”

Axel Schmid über den Neustart bei Ingo Maurer

Axel Schmid über den Neustart bei Ingo Maurer

Humorvolle Erinnerung

Ein Gespräch mit dem jungen Designer Josua Roters

Ein Gespräch mit dem jungen Designer Josua Roters

Langlebig, aber nicht langweilig

Das Designstudio Big-Game im Gespräch

Das Designstudio Big-Game im Gespräch

Ukrainische Perspektiven #1

Ein Interview mit Kateryna Vakhrameyeva von +kouple

Ein Interview mit Kateryna Vakhrameyeva von +kouple

Leuchtende Symbolik

Nanda Vigo-Retrospektive im madd-bordeaux

Nanda Vigo-Retrospektive im madd-bordeaux

Schattenmeister

Der spanische Innenarchitekt Francesc Rifé im Gespräch

Der spanische Innenarchitekt Francesc Rifé im Gespräch

Faszination für Glas

Unterwegs mit Simone Lüling in einer tschechischen Glashütte

Unterwegs mit Simone Lüling in einer tschechischen Glashütte

Die Solardemokratin

Interview mit der niederländischen Designerin Marjan van Aubel

Interview mit der niederländischen Designerin Marjan van Aubel

Gläserne Seifenblasen

Ein Gespräch mit der Leuchtendesignerin Simone Lüling

Ein Gespräch mit der Leuchtendesignerin Simone Lüling

Material als Leitfaden

Nachruf auf die Designerin Pauline Deltour (1983-2021)

Nachruf auf die Designerin Pauline Deltour (1983-2021)

Die junge Internationale

Kuratorin Anniina Koivu über die The Lost Graduation Show auf dem Supersalone

Kuratorin Anniina Koivu über die The Lost Graduation Show auf dem Supersalone

Florale Choreografie

Gartengestalter Piet Oudolf über tanzende Felder, wilde Gräser und erweiterte Wahrnehmung

Gartengestalter Piet Oudolf über tanzende Felder, wilde Gräser und erweiterte Wahrnehmung

Wir müssen innovativ sein

Jan Karcher von Karcher Design im Gespräch

Jan Karcher von Karcher Design im Gespräch

20 Jahre Smart Home

Ein Rückblick mit Hans-Jörg Müller von Gira

Ein Rückblick mit Hans-Jörg Müller von Gira

Der Betonflüsterer

Omer Arbel im Gespräch

Omer Arbel im Gespräch

Jacques Herzog von Herzog & de Meuron

Ein Standpunkt zur Museumsarchitektur

Ein Standpunkt zur Museumsarchitektur

Titus Schade

Zuhause in der Kunst – ein Interview

Zuhause in der Kunst – ein Interview

Peter Zumthor

„Ich bin absolut ungern allein.“

„Ich bin absolut ungern allein.“