Zirkuläre Lichtplanung
Sabine De Schutter im Gespräch
Wie beeinflusst Licht die Wahrnehmung eines Raums? Wie kann es gezielt genutzt werden, um Atmosphären zu schaffen und Identitäten zu stärken? Sabine De Schutter, Gründerin von Studio De Schutter, hat sich auf die Entwicklung individueller, sensibler und zirkulärer Lichtkonzepte spezialisiert. Sie sucht nach innovativen und nachhaltigen Wegen, Räume mit Wohlfühlcharakter zu inszenieren. Im Gespräch erzählt die in Berlin und Antwerpen arbeitende Architektin und Lichtgestalterin von gutem und bösem Licht, warum Decken bei der Raumgestaltung oft vernachlässigt werden und was Wabi-Sabi mit Re-Use zu tun hat.
Wie sind Sie zum Lichtdesign gekommen?
Meine Eltern sind Fotografen und waren ein wichtiger Einflussfaktor. Sie haben mein Interesse für Architektur, Kunst und Licht geprägt. Ich erinnere mich noch daran, dass für Fotos immer das Licht gemessen werden musste. Nach der Schule studierte ich Architektur in Antwerpen. In Belgien wohnt fast jeder in einem Haus und es wird mit viel Freiraum zum Experimentieren gebaut. Damals hatte ich die Idee, dass ich gerne Häuser umbauen und erhalten möchte. Nach dem Studium war ich aber vor allem damit konfrontiert, dass es in Antwerpen eine hohe Architektendichte gab. Um mich weiter zu spezialisieren, habe ich in Wismar Lichtdesign studiert und mich schließlich in Berlin selbstständig gemacht.
Warum ist es wichtig, Licht zu gestalten?
In meiner frühen Praxis als Architektin ist mir aufgefallen, dass Lichtdesign oft extern vergeben wird und Architekten dadurch kaum Einfluss auf die Lichtplanung nehmen. Eine wesentliche Komponente der Architekturgestaltung, die Atmosphäre, wird einfach anderen überlassen. Das widerspricht meiner Idee von Innenarchitektur. Ich wollte ganzheitlich mit allen Elementen gestalten, also neben Farben und Formen auch die Lichtstimmung entwerfen. Mittlerweile ist Licht meine Hauptmaterie.
Welchen Einfluss hat Licht auf Architektur und Räume?
Licht ist gut und böse. Mit Licht kann man manipulieren, zum Beispiel in Läden oder Supermärkten, wenn Licht eingesetzt wird, um die Kunden und ihr Interesse zu lenken. Gleichzeitig können Dinge im Dunkeln gelassen, versteckt werden.
Licht wird kaum bewusst wahrgenommen. Wie lässt sich Lichtwirkung vermitteln?
Wenn man sich anschaut, wie Architektur kommuniziert wird, dann fällt auf, dass ausgeschaltete Leuchten in den Räumen hängen. Im Produktdesign ist es ähnlich. Dekorative Leuchten werden ausgeschaltet abgebildet. Man sieht das Objekt und seine Materialität, nicht aber den Effekt. Leuchten werden also aufgrund ihres Produktdesigns gekauft und nicht wegen ihrer Wirkung auf den Raum. Das kann für unangenehme Überraschungen sorgen. Deswegen ist das Erleben von Licht sehr wichtig. Wir arbeiten im Studio viel mit Prototypen, veranstalten Workshops mit Bauherren und Architekten, zeigen Materialien und Lichtwirkung.
Ist Lichtwahrnehmung subjektiv?
Ob jemand Licht als warm wahrnimmt, ist eine sehr persönliche Empfindung, die auch davon beeinflusst wird, zu welcher Tages- und Jahreszeit das Licht rezipiert wird. Zeige ich im Sommer eine bestimmte Lichtfarbe, höre ich oft, dass die Farbe viel zu warm, zu orange ist. Im Winter hingegen kann sich dieselbe Farbe genau richtig anfühlen. Ich beispielsweise mag Licht generell wärmer als meine Kolleg*innen im Studio. Da muss man dann Kompromisse machen (lacht).
In welchen Räumen ist die Lichtgestaltung besonders wichtig?
Die meisten unserer Projekte sind in den Bereichen Hospitality oder Workplace angesiedelt. Hier gilt es, verschiedene Bedürfnisse auszubalancieren – einen guten Workflow zu ermöglichen, aber auch informelle Bereiche gemütlich zu gestalten. Die Mitarbeiter*innen haben ebenfalls unterschiedliche Bedürfnisse. Der eine arbeitet lieber im Dunkeln, der andere bei Tageslicht. Da ist es wichtig, Möglichkeitsräume zu schaffen, in denen jeder seine Arbeitsumgebung individuell steuern kann, zum Beispiel über Bluetooth und ein intelligentes Lichtmanagement. Ich nenne das „Corporatality“ – die Corporate Identity des Unternehmens trifft dann auf Hospitality, den Wohlfühlcharakter.
Welche Fehler werden bei der Lichtplanung häufig gemacht?
Die Deckenplanung wird oft vernachlässigt. Wenn man auf Grundrisse oder Isometrien schaut, ist die Decke quasi nicht existent. Sehr wohl aber, wenn man in der Realität im Raum steht. Dann macht die Decke mit Belüftung, Technik und Beleuchtung ein Drittel der Raumwahrnehmung aus. Als Lichtplanerin schaue ich mir die Decke immer genau an.
Sie arbeiten viel zirkulär. Wie sieht das in der Praxis aus?
Die Themen Zirkularität und Re-Use sind in der Baubranche sehr wichtig. Dabei arbeiten wir entweder mit dem Bestand des Auftraggebers oder mit Datenbanken wie Concular aus Deutschland oder RotorDC aus Belgien. In beiden Fällen müssen wir Leuchten oft umrüsten, wenn Technik veraltet und auf Lichtquellen ausgerichtet ist, die nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Wenn wir eine projektspezifische Sonderlösung mit Standard-Komponenten entwickeln, nennen wir das „Light Hack“.
Haben Sie praktische Beispiele für Light Hacks?
Im Impact Hub, einem Vorzeigeprojekt für zukunftsorientiertes und nachhaltiges Bauen, haben wir die Beleuchtung geplant. Für die Büros haben wir modulare LED-Leuchten auf alten Holzbrettern montiert und mit einem industriellen Netzgewebe als Blendschutz versehen. Auf diese unübliche Lösung sind wir mit den Architekt*innen von LXSY und anderen Installationsfirmen gekommen. Gemeinsam haben wir mit unterschiedlichen Materialien und ihren Lichteffekten experimentiert. Außerdem wurden gebrauchte Einbauleuchten als Anbauleuchten wiederverwendet. Man sieht die nackten, funktionalen Wangen, aber wir haben bewusst auf eine Verkleidung verzichtet. Gerade diese ehrliche Lösung hat ihren Reiz. Die Spuren auf den Dingen erzählen, wie die Menschen sie benutzt haben. Im Wabi-Sabi sagt man: die Schönheit der Unvollkommenheit.
Sind Bauherr*innen vom Wabi-Sabi und zirkulären Ansätzen ebenso begeistert? Oder mussten Sie Überzeugungsarbeit leisten?
Tatsächlich geht da nicht jeder Bauherr, Auftraggeber oder Architekt mit und auch die Elektriker müssen manchmal überzeugt werden. Es ist vor allem eine Frage des persönlichen Geschmacks. Will man makellose Oberflächen oder darf ein Material seine Lebensdauer zeigen?
Welche Herausforderung sehen Sie in der Umsetzung zirkulärer Lichtlösungen?
Wir müssen uns an Normen und Vorschriften halten. Jedes Projekt ist ein Spagat zwischen der Ideologie, also dem Anspruch, nachhaltig zu planen, und der Einhaltung von Normen. Es wäre aktuell noch schwer umsetzbar, hundert Prozent zirkuläre Produkte einzusetzen. Eine weitere Hürde ist derzeit auch noch die Verfügbarkeit. Es gibt oft gar nicht ausreichend Leuchten einer Typologie.
Wählen Sie – wenn Sie keine zirkulären Leuchten einsetzen können – bewusst Produkte mit nachhaltigen Potenzialen?
Wir wählen Produkte von Herstellern, die die Austauschbarkeit von Komponenten garantieren. Das ist in der Beleuchtungsindustrie noch relativ selten. Die meisten Hersteller verkaufen lieber neue Produkte als zu reparieren. In Zukunft werden aber auch diese Hersteller aufgrund des neuen EU-Rechts auf Reparatur ihre Strategie ändern müssen. Für uns liegt der Vorteil aber nicht nur in der Reparierbarkeit im Fall eines Defekts. Wenn sich die Nutzung eines Gebäudes ändert, kann die Lichtsituation durch den Austausch von Chips, Reflektoren oder Treibern an die neuen Anforderungen angepasst werden.
Welche Projekte empfinden Sie als besonders herausfordernd?
Definitiv Räume mit wenig oder gar keinem Tageslicht. Wir leben in Städten, die sehr dicht sind und werden in Zukunft viele unserer Bestandsgebäude funktional umnutzen müssen. Büroflächen, aber auch Kaufhäuser beispielsweise, haben immer Bereiche, die nicht optimal mit Tageslicht versorgt sind. Hier eine Aufenthaltsqualität und Gemütlichkeit zu erzeugen, ist eine knifflige Aufgabe. Man kann Wände beleuchten und Bodenbelag und Möbel bedenken. Oder Leuchten einsetzen, die den Tageslichtverlauf abbilden, indem sie von Kaltweiß zu Warmweiß wechseln.
Sie haben ein Licht-ABC erstellt. Was vermitteln Sie damit?
Oft sieht man nur die technischen Begriffe rund ums Licht: Lux, Lumen und Kelvin. Aber Lichtgestaltung ist viel mehr. Wir haben im Team einmal zusammengetragen, welche Begriffe wir häufig verwenden. Das ABC gibt einen guten Überblick über die Welt des Lichtdesigns – emotional und atmosphärisch, technologisch und strategisch.