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Wohnen am Limit

Wie SAGA Space Architects durch Mondhabitate lernen, was Apartments auf der Erde brauchen

An kaum einem anderen Ort zeigt sich die Aufgabe von Architektur deutlicher als in Habitaten, in denen Fehler keine Option sind. SAGA Space Architects aus Kopenhagen erforschen seit 2018 das Wohnen im All und nutzen die gewonnenen Erkenntnisse auch für Projekte auf der Erde.

von Stephan Redeker, 15.12.2025

In der LUNA-Halle des Europäischen Astronautenzentrums in Köln herrscht künstliche Mondnacht. Zwischen grauem Regolith und scharf gesetztem Licht steht ein Volumen mit heller Wabenhülle. Im Innenraum überrascht die ruhige, fast wohnliche Atmosphäre: Holzoberflächen, gedämpftes Licht und eine kontrollierte Akustik vermitteln eine Gestaltung, die mehr an ein kompaktes Apartment erinnert als an technische Trainingsumgebungen. FLEXHab, das jüngste Habitat von SAGA Space Architects, dient Astronaut*innen der Europäischen Raumfahrtbehörde (ESA) als Vorbereitung für künftige Mondmissionen. Im künstlichen Mondstaub zeigt sich die Kernidee des Büros: Auch unter extremen Vorgaben bleibt der Mensch Ausgangspunkt des Entwurfs.

Selbstversuch als Entwurfsmethode
Dieser Ansatz ist in der extremen Arbeitsweise der Gründer geboren. Sebastian Aristotelis und Karl-Johan Sørensen testen ihre Entwürfe mit vollem Körpereinsatz, denn sie bewohnen viele ihrer Habitate selbst. 2020 lebten sie 85 Tage im arktischen LUNARK-Habitat, bei Temperaturen bis minus 40 Grad und kompletter Isolation. Das faltbare, von Origami inspirierte Modul ließ sich vor Ort ausklappen und bot einen überraschend großzügigen, wohnlichen Innenraum mit klar zonierten Arbeits- und Ruhebereichen. Auch das Unterwasserprojekt UHAB testeten sie unter realen Druckverhältnissen – in sieben Meter Tiefe im Kopenhagener Hafenbecken.

Extreme Bedingungen dienen ihnen als Prüfraum, um physische und psychologische Bedürfnisse besser zu verstehen. Aristotelis beschreibt diesen Moment so: „Wenn wir an diese extremen Orte gehen, bleibt nichts als die Architektur selbst. Es gibt viel weniger Ablenkung durch kulturelle und soziale Erwartungen. Wir lernen dabei die grundlegenden Wahrheiten kennen – also was Menschen tatsächlich brauchen: Nahrung und Unterkunft, Materialien, Stimulation und soziale Interaktionen.“ In solchen Situationen werde sichtbar, welche räumlichen und atmosphärischen Eigenschaften tatsächlich relevant sind.

Präzision, Material und Rückzugsorte
Aus dieser Praxis entwickelte sich eine klare Methodik, die auch FLEXHab prägt. Das Habitat musste mehr als hundert Anforderungen der ESA erfüllen, darunter definierte Temperaturbereiche, unterschiedliche Luftsysteme und die Organisation wissenschaftlicher Experimente. Auf kompaktem Raum umfasst FLEXHab einen kombinierten Wohn- und Arbeitsbereich, ein Technikmodul, ein Hygieneabteil, eine kleine Küche, Schnittstellen für Trainings- und Forschungseinsätze und schließlich vier geschlossene, kokonartige Schlafkabinen. Letztere wurden über mehrere Projekte hinweg weiterentwickelt und ermöglichen individuelle Licht-, Temperatur- und Akustiksteuerungen. Sie dienen als Rückzugspunkt und tragen wesentlich zur psychischen Stabilisierung der Crew bei.

Trotz der hohen Technikdichte legt SAGA Wert auf räumliche Qualität. Aristotelis beschreibt den Anspruch so: „Wir arbeiten auf einem Detaillierungsniveau, das eher einem Autointerieur entspricht als einem traditionellen Haus.“ Materialien wie Sperrholz, Kork und textile Flächen wurden nicht nur aus technischen, sondern auch aus sensorischen Gründen gewählt. In geschlossenen Habitaten, so Aristotelis, müsse ein Material „visuell lesbar, akustisch beruhigend und angenehm zu berühren“ sein.

Mit zirkadianischem Licht bis zur ESA
Ein zentrales Element von FLEXHab ist das Circadian Light, ein dynamisches Lichtsystem, das Tagesverläufe simuliert und bereits auf der ISS im Einsatz ist. In Umgebungen ohne natürliches Licht übernimmt das System eine entscheidende Rolle für den zirkadianen Rhythmus. „Menschen sehnen sich nach Sonnenaufgang und -untergang. Ohne diese Signale bauen wir ab“, weiß Aristotelis.

Die Zusammenarbeit mit der ESA entwickelte sich über mehrere Jahre. Erste Projekte entstanden im Umfeld des Lichtsystems, FLEXHab markiert nun eine neue Größe der Kooperation. Aristotelis erinnert sich: „Wir gewannen 2023 den Wettbewerb, genau zu dem Zeitpunkt, als der dänische Astronaut Andreas Mogensen als der nächste Astronaut angekündigt wurde, der ins All fliegen würde.“ Und nach seinem ersten Besuch im FLEXHab bestätigte Astronaut Mogensen: „Es fühlt sich gut an, dort drin zu sein. Es fühlt sich an wie ein Ort, an dem man wohnen möchte.“

Von der Mondbasis zurück zur Erde
Viele der räumlichen und atmosphärischen Prinzipien, die SAGA in extremen Habitaten entwickelt, lassen sich auf kleinteilige, effiziente Architekturprojekte auf der Erde übertragen. Mit Skovsporet wird SAGA erstmals ein größeres Wohnprojekt realisieren, das diese Ansätze auf den Boden unseres Planeten überträgt. Die 3D-gedruckten Wohneinheiten für Studierende in Holstebro zeigen, wie robotische Fertigung zu einer schnellen und ressourcenschonenden Bauweise werden kann. Reduzierte Grundrisse, integrierte Möblierung und gemeinschaftlich nutzbare Außenräume bilden ein Wohnmodell, das auf Dichte, Effizienz und soziale Nähe reagiert. Bereits errichtet ist die Villa Eden in Vietnam, die auf eine sorgfältige Abstimmung von Materialien und Klima baut. Stampflehm, Holzoberflächen und elektrochromes Glas erzeugen eine Architektur, die weniger auf formale Effekte als auf Atmosphäre und thermische Intelligenz setzt.

Typologien von morgen
Aus Sicht von Aristotelis werden zukünftige Wohnungen kleiner und technikunterstützter sein. Gleichzeitig werde die Qualität öffentlicher Räume wichtiger, um Enge auszugleichen. Ein Beispiel für solche Überlegungen ist das Konzept EcoNeo, ein Tiny-House-Ansatz, der kompakte Wohnflächen mit hoch optimierten Grundrissen verbindet. 

SAGA Space Architects arbeiten in einem Feld, das nur wenige Büros konsequent verfolgen, und genau darin liegt ihre Stärke. Die Kombination aus Forschung, Selbstversuch und technischer Spezialisierung erzeugt ein Know-how, das zunehmend von Institutionen wie der ESA nachgefragt wird. „Wir werden in dieser Nische wahrscheinlich alle anderen weltweit übertreffen“,formuliert Aristoteles diese Haltung ungewöhnlich klar. Hinter der Aussage steht weniger Übermut als das Bewusstsein, dass Innovation dort entsteht, wo Erfahrung aus Extremen und architektonische Präzision zusammenfinden – unabhängig davon, ob ein Projekt für den Mond oder für die Erde entsteht.

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