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Wohnzimmer im Freien

Julia Pültz von Vestre im Interview

Seit mehr als 75 Jahren stellt das norwegische Familienunternehmen Vestre Möbel für Plätze, Parks und Schulhöfe her. Julia Pültz, Geschäftsführerin Vestre GmbH, erklärt im Interview, wie unter anderem fossilfreier Stahl die Emissionen bei der Herstellung senkt.

von Judith Jenner, 04.03.2025

In den letzten Jahren gibt es ein Umdenken in der Stadtplanung hin zu verkehrsberuhigten Innenstädten und mehr Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Welchen Beitrag leisten die Möbel von Vestre dazu?
In Norwegen, wo Vestre herkommt, gilt das Jedermannsrecht. Das heißt, jeder darf sich überall aufhalten, solange es nicht offiziell verboten ist, er niemanden schädigt und seinen Müll mitnimmt. Somit haben Sitzgelegenheiten auf öffentlichen Plätzen oder in Parks einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland. Der Anspruch ist, den Außenraum schöner zu machen mit einer Reduziertheit im Design. Unser Stadtmobiliar muss praktischen Ansprüchen gerecht werden, Witterung aushalten, sich im Boden verankern lassen. Die Objekte müssen sich aber auch für Menschen unterschiedlicher Altersklassen, mit und ohne Mobilitätseinschränkungen, eignen und außerdem schnell reparieren lassen. Dafür ist ein modularer Aufbau wichtig.

Für Städte und Kommunen sind unsere PARKLETS sehr interessant, die es in verschiedenen Ausführungen gibt, mit Sitzgruppe oder Fahrradständer, mit Liegen oder Bänken. Sie funktionieren auch auf versiegelten Böden und steigern mit ihren Pflanzkübeln die Biodiversität. Gestalterisch haben Planende große Freiheiten: Wir haben mehr als 200 Farben im Programm, standardmäßig mit einer leicht strukturierten, seidenmatten Oberfläche. Diese Optik ist nicht nur hochwertig, sondern auch robust. Auch die Maße unserer Standardmodelle lassen sich in einem gewissen Umfang anpassen.

In welchen Kontexten kommen die Möbel zum Einsatz?
Im südkalifornischen San Bernardino hat Vestre 69 Schulen mit Außenmöbeln für Schulhöfe beliefert. Hintergrund ist, dass der Schulverbund mehr Unterricht ins Freie verlagern möchte und die Schulhöfe nach Unterrichtsschluss nicht nur den Kindern, sondern auch der Nachbarschaft offenstehen.

Im bayerischen Traunstein stehen auf dem traditionellen Marktplatz Bänke unseres Modells BRISKEBY im cleanen skandinavischen Design, ein toller Kontrast. Auf dem Nürnberger Hauptmarkt findet man unsere stapelbaren Stühle APRIL GO, die jeder an den gewünschten Platz tragen kann. Es gibt aber auch Projekte wie den Donauradweg oder die Stoosbergbahn in der Schweiz, wo unsere Bänke durch ihre Farbcodierung den Wanderern eine Orientierung geben.

Mit Farben ist auch Vestres neue Produktionsstätte The Plus im ostnorwegischen Magnor strukturiert, richtig?
Genau. Für uns ist es die Möbelfabrik der Zukunft. Bereiche wie die Montage, die Holzverarbeitung oder das Lager sind mit Farben aus unserem Sortiment markiert. Die geschnittenen, feuerverzinkten Stahlteile werden angeliefert und dann bei uns pulverbeschichtet. Auch die Holzverarbeitung findet in Magnor statt. Über 90 Prozent ist skandinavische Kiefer, die – aufgrund des Klimas – langsam wächst und eine Witterungsbeständigkeit aufweist. Sie wird ausschließlich mit Leinöl bearbeitet. Wir geben 15 Jahre Garantie auf Holz und Pulverbeschichtung, die Garantie des Schutzes gegen Rost gilt sogar lebenslang. Dann folgt die Teilmontage. Jedes Möbelstück von Vestre stammt aus dem Werk in Magnor.

Der Bau von BIG Bjarke Ingels Group hat die höchsten Nachhaltigkeitszertifikate erreicht und wurde mehrfach ausgezeichnet. Inwiefern wird Nachhaltigkeit bei Vestre gelebt?
Gerade ist die Bank TELLUS aus fossilfreiem Stahl erschienen. Stahl ist neben Holz das wichtigste Material unserer Möbel. Gleichzeitig setzt seine Herstellung viel CO2 frei. Unser Stahl kommt aber aus Schweden und hat allein dadurch, dass in der Produktion überwiegend erneuerbare Energien eingesetzt werden, einen 20 bis 30 Prozent geringeren Fußabdruck als Stahl vom Weltmarkt. Als unser Zulieferer SSAB 2018 ankündigte, Koks und Kohle durch Wasserstoff zu ersetzen, haben wir gleich Interesse angemeldet. Neben Volvo und einer kleinen Uhrenmanufaktur sind wir bisher das einzige Unternehmen, das mit diesem Stahl arbeitet. Inzwischen gibt es neben TELLUS auch unsere Bestseller wie die Serie BLOC und die Tischbank STOOP in dem Material. Perspektivisch wollen wir alle Möbel aus fossilfreiem Stahl herstellen und so unsere Produktion um mehr als 60 Prozent dekarbonisieren.

An welchen Stellschrauben dreht das Unternehmen noch?
Für alle innerskandinavischen Transporte haben wir einen Logistikdienstleister, der nur Biodiesel verwendet. Die Wege zwischen den Fabriken legt er sogar mit einem E-Truck zurück. Wir haben auf plastikfreie, wiederverwertbare Verpackungen umgestellt und sorgen für eine effiziente Packweise und Logistik. Weil wir 95 Prozent unserer Emissionen gar nicht selbst steuern können, sind solche Partnerschaften wichtig. Darum kümmert sich bei Vestre ein Nachhaltigkeitsbeirat. Wir laden aber auch Partner ein, bitten sie gezielt um Impulse und geben Ziele aus. Zugleich sind wir für unsere Dienstleister eine gute Referenz in Sachen Nachhaltigkeit. In Norwegen haben wir eigene Maintenance-Teams, die sich täglich um die Wartung und Reinigung der Bänke kümmern. Ab 2026 wollen wir das auch in Deutschland einführen, wahrscheinlich über ein Abo-System. Um die Zirkularität von Materialkreisläufen sicherzustellen, arbeiten wir bei unserer Bank COAST mit einem Leasing-Vertrag. So sorgen wir dafür, dass die Belattung aus Ozeanplastik professionell recycelt wird.

Wie entwickelt Vestre seine Kollektionen?
Momentan haben wir 48 Serien im Portfolio. Unser Product Development Team erkennt, wo noch Bedarfe bestehen und geht bewusst auf Designbüros zu, vorwiegend aus Skandinavien. Wobei unsere nächste Sitzgruppe, die wir zu den 3 Days of Designs in Kopenhagen launchen, von einem deutschen Landschaftsarchitekturbüro entwickelt wurde. In dem Fall ist es mit einem Bedarf und einer hohen Stückzahl auf uns zugekommen. So haben wir uns dazu entschlossen, diese Neuentwicklung – eine modulare Sitzserie für ein öffentliches Bildungssetting – in unsere Kollektion aufzunehmen. Auch eine neue Bank ist geplant sowie Erweiterungen bestehender Serien.

Inwiefern müssen die Produkte im Innenraum funktionieren?
Die gestalterische Prämisse ist, dass alles, was Vestre fertigt, im Außenbereich funktionieren muss, bevor es gegebenenfalls für innen adaptiert wird. Wir beobachten eine zunehmende Verschmelzung von Innen- und Außenraum. Das zeigt sich zum Beispiel bei Anfragen für teilüberdachte Flächen, Aulen oder Lobbys. Es gibt kein Möbelstück, das wir nicht adaptieren können, wobei unsere Möbel natürlich immer schwer und robust sind. Für die Sitzflächen empfehlen wir dann Esche, Eiche oder auch perforierten Stahl, gegebenenfalls mit passenden Sitzkissen.

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Vestre

Vestre gestaltet seit über 75 Jahren nachhaltige, langlebige Außenmöbel, die Menschen verbinden und urbane Räume beleben. Mit unserem Bekenntnis zu Qualität, regionalen Materialien und innovativem Design schaffen wir Produkte, die Generationen überdauern und zu einem bewussten Umgang mit unserer Umwelt inspirieren.

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