Menschen

Experimentierfreude und Nachhaltigkeit

Interview mit dem italienischen Gestalter Harry Thaler

An Harry Thaler kommt man nicht vorbei in Südtirol. Hotels, Campingplätze, Tiefgaragen – überall entstehen Gebäude nach seinen Entwürfen. Wir haben den italienischen Designer in seinem Studio in Lana bei Meran getroffen, kurz bevor er mit seiner Familie zu einer neunmonatigen Weltreise aufgebrochen ist. Unser Gespräch drehte sich um seine Faszination für Seifenflocken, den Teufelskreis Fast Furniture und den Luxus, mal einige Monate nichts tun zu müssen.

von Claudia Simone Hoff, 24.09.2025

Harry Thalers Studio befindet sich in einem ehemaligen Silo auf dem Gelände einer Tischlerei, umgeben von anderen Industriegebäuden. In der Ferne sieht man die Alpen. Erklimmt man die metallene Außentreppe, gelangt man in das architektonisch spektakuläre Studio des Designers. Das Erdgeschoss besteht aus einem mehrere Meter hohen Raum mit Werkbank und Materialwand. Hier stehen auch allerlei Prototypen wie ein Loungesessel und eine Seifenreibe, an einem Pfeiler hängt ein klobiger Kerzenhalter aus Holz.

Harry, was hat es mit dem Kerzenhalter auf sich?
Ich habe den Kerzenhalter als Einzelstück für eine Ausstellung entworfen, die im Herbst in Kalifornien eröffnen wird. Die Tochter des verstorbenen amerikanischen Künstlers JB Blunk hatte mich für das Projekt angefragt – neben anderen Designern wie Martino Gamper und Max Lamb. Der Kerzenhalter ist gedrechselt und wie ein Donut geformt. Der Entwurf basiert auf dem Monocle Design Award, den ich ebenfalls entworfen habe und der in diesem Jahr auch aus Holz gefertigt ist. Nach der Ausstellung wird der Kerzenhalter zusammen mit den Entwürfen der anderen Gestalter in der Galerie Blunk Space verkauft.

Du experimentierst gern – mit neuen Funktionen, Formen und Materialien. Dabei ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema für Dich, wie Du im letzten Jahr in Mailand gezeigt hast. Dort hast Du anlässlich des Designformats Alcova eine aufsehenerregende Installation gezeigt. Printed Nature – das sind organische Möbel und Leuchten, die aus einem neuartigen Recyclingmaterial gefertigt sind. Welche Idee steckt dahinter?
Ich habe das Material econitWood zusammen mit dem deutschen Unternehmen Additive Tectonics entwickelt. Dabei werden Holzabfälle aus Sägewerken und der Holzernte verwendet, wodurch – im Gegensatz zur herkömmlichen Produktion – eine maximale Optimierung der Rohstoffe gemäß der Null-Abfall-Philosophie gewährleistet ist. Das Ergebnis ist ein Material mit hohen schallabsorbierenden, wärmeisolierenden und feuerfesten Eigenschaften, das ständig weiterentwickelt wird. Jetzt müssen wir nur noch Unternehmen und Gestalter finden, die mit dem Material arbeiten wollen. Man kann damit nämlich nicht nur Produkte 3D-drucken, sondern ganze Wände. Toll ist auch, dass man bei jedem Druck etwas verändern kann, ohne dass es etwas kostet.

Holzspäne – das ist interessant. Dein Studio befindet sich ja in einem ehemaligen Silo einer Tischlerei und dort wurden ursprünglich Sägespäne gelagert.
Stimmt, daraus könnte man eine tolle Geschichte machen. Aber die Verbindung zu econitWood ist wirklich nur ein Zufall. (lacht)

Die Möbelindustrie ist auf Massenproduktion und maximale Profitabilität ausgerichtet. Siehst Du das Projekt econitWood als einen Vorschlag, einen nachhaltigeren Weg einzuschlagen?
Die Massenproduktion von Möbeln ist definitiv ein Problem. Ein Stuhl beispielsweise wird heute tausendfach produziert. Um Platz in den Lagern zu schaffen, muss er so schnell wie möglich verkauft werden, weil immer neue Produkte nachkommen. Außerdem werden viele Entwürfe absichtlich so produziert, dass sie nicht lange halten. Das ist alles andere als nachhaltig – ganz ähnlich wie in der Fast Fashion.

Das Thema Nachhaltigkeit steht auch im Fokus eines anderen Projekts. Du hast hier im Studio einen Seifenspender aus Aluminium installiert. Allerdings ist er statt mit Flüssigseife mit Seifenstücken befüllt. Erzähl doch bitte, wie Du auf die Idee gekommen bist.
Prima ist ein Unternehmen für Hotelausstattung aus Südtirol, für das ich bereits eine Kollektion von Utensilien für das Badezimmer entworfen habe. Mich hat jedoch immer gestört, dass Flüssigseife so verpackt ist, dass dabei sehr viel Müll produziert wird. Zu Hause kann man zwar einfach ein Stück Seife benutzen, aber in der Hotellerie funktioniert das nicht so einfach. Deshalb bin ich auf die Idee gekommen, dass man Seife wie mit einer Käsereibe einfach in Flocken raspeln kann. Das funktioniert fürs Händewaschen übrigens ebenso wie fürs Duschen. Wir sind gerade dabei, mit verschiedenen Herstellern eine Seife zu entwickeln. Will man die Seifenraspel zu Hause nutzen, kann man auch einfach eine herkömmliche Seife in Stücke schneiden und den Spender damit befüllen.

Ich habe gesehen, dass der Seifenspender bereits im Miramonti-Hotel in St. Kathrein in den öffentlichen Bädern im Einsatz ist. Du arbeitest seit einigen Jahren eng mit den Eigentümer*innen Carmen und Klaus Alber zusammen. Letztes Jahr wurde das Monti House mit drei Wohneinheiten eröffnet. Du hast alles selbst entworfen: die Architektur, das Interiordesign und auch die Möbel und Leuchten, die als Monti Collection gelauncht wurden. Für das Projekt wurden hauptsächlich lokale Materialien wie roter Porphyr, Lärchen- und Fichtenholz verwendet und Du hast mit Handwerker*innen vor Ort zusammengearbeitet. Das hört sich nach einem echten Traumprojekt an.
Ja, für solche Projekte braucht man Menschen, die nicht nur Geld haben, sondern auch verstehen, was ich mache – und denen Qualität und Nachhaltigkeit ebenso wichtig sind wie mir. Wir agieren auf Augenhöhe, verstehen und wertschätzen uns.

Interessant ist, dass Du Dich scheinbar spielend leicht zwischen Gestaltungsaufgaben mit ganz unterschiedlichen Zielgruppen und Budgets bewegst. Neben Luxusprojekten wie Monti House hast Du in den letzten Jahren auch zwei Campingplätze entworfen: Camping Live Merano in Meran und Camping am Sonnenberg in Partschins. Wie kam es dazu?
Die Betreiber des Campingplatzes in Meran hatten mich gefragt, ob ich einen Empfangstresen entwerfen könne. Ich bin auf der Baustelle gewesen und habe ihnen dann gleich ein ganzes Konzept vorgelegt. (lacht) Meine Grundidee waren schwarze Holzlamellen, die sämtliche Gebäude ummanteln, was sehr einheitlich wirkt. Außerdem haben wir regendurchlässigen Asphalt verlegt, damit nicht sämtliche Flächen versiegelt sind.

Du hast für denselben Bauherren auch noch einen Campingplatz in Partschins gestaltet, der gerade eröffnet wurde. Wir haben uns das Projekt angeguckt und fanden es ziemlich ungewöhnlich, insbesondere das Empfangsgebäude. Hier erinnert nichts mehr an einen Campingplatz – mit Swimmingpool, Bar und Wellnessbereich wähnt man sich eher in einem hochpreisigen Hotel.
Camping ist in Südtirol voll im Trend. Die Betreiber setzen in Meran und auch in Partschins auf Gäste, die teils mit sehr großen und teuren Wohnmobilen anreisen und gewisse Ansprüche an Qualität und Service eines Campingplatzes haben. Deshalb gibt es hier beispielsweise auch einen großen Pool und man kann private Badezimmer mieten. Ich würde das Projekt als Viersternehotel ohne Zimmer bezeichnen.
Wir haben das Gelände so ausgerichtet und terrassiert, dass die Fahrzeuge einfach ein- und ausparken können und einen unverbauten Blick ins Tal haben. Auf dem Dach des Gebäudes ist außerdem eine Photovoltaik-Anlage untergebracht, weil der Stromverbrauch auf einem Campingplatz relativ hoch ist.

Du hast Dich in den letzten Jahren verstärkt der Architektur und dem Interiordesign zugewandt. Ist das die Richtung, die Du dauerhaft einschlagen möchtest?
Ich bin mir noch nicht sicher. Demnächst gehe ich mit meiner Familie für acht Monate auf eine Weltreise – das war immer mein Traum. Was danach kommt, weiß ich noch nicht. Vielleicht werde ich mich dann nur noch kleineren Projekten widmen, die mir besonders am Herzen liegen. Der große Apparat mit Studio und Angestellten erzeugt einen ziemlich großen Druck. Deshalb möchte ich in den nächsten Monaten einfach mal nicht an den Job denken, den Kopf freibekommen und ganz andere Dinge als sonst machen. Zuerst werden wir einige Zeit mit dem Wohnmobil durch Europa fahren und dann von Portugal mit dem Flugzeug weiterreisen – geplant sind Stationen in Thailand und den USA. In Neuseeland werden wir bei unserem Freund Martino Gamper wohnen, der ein Ferienhaus auf einer kleinen Insel hat. Ich bin mir sicher, dass ich dort auf ganz andere Gedanken komme. (lacht)

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Links

Harry Thaler

www.harrythaler.it

Studiobesuch bei Harry Thaler in Lana bei Meran

www.baunetz-id.de

Das System Südtirol

www.baunetz-id.de

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