Nordische Poesie
Das Büro Space Copenhagen im Gespräch
Space Copenhagen ist ein interdisziplinäres Büro, das 2005 von Signe Bindslev Henriksen und Peter Bundgaard Rützou in der dänischen Hauptstadt gegründet wurde. Das Duo entwirft Interieurs rund um den Globus. Parallel dazu konzipiert es Möbel und Leuchten für Marken wie Gubi, &tradition, Fredericia oder Stellar Works. Ein Gespräch in Kopenhagen über gemütliche Ecken, architektonische Puzzles und globale Filter.
Sie planen Interieurs für private Kund*innen sowie für Restaurants oder große Hotelprojekte. Inwieweit gibt es dabei eine Wechselwirkung mit Ihren eigenen Möbeln und Leuchten?
Signe Bindslev Henriksen: Für unseren Designzugang ist es eine wundervolle Sache, einen Background im Interieur zu haben. Denn man sieht so immer das große Ganze. Es geht darum, das gesamte Puzzle zu lösen und nicht nur ein einzelnes Objekt. Bei manchen Projekten bilden funktionale Aspekte den Auslöser. Wir merken, dass wir sechzig Sessel in eine Lobby quetschen müssen und entwerfen selbst einen kompakten Clubsessel, der dennoch gemütlich ist und einen umarmt. Das Schöne dabei ist, nicht mit einem leeren Blatt Papier zu beginnen. Die Inneneinrichtungen geben eine Richtung vor, aus der sich dann Ideen für Möbel oder Leuchten herauskristallisieren.
Peter Bundgaard Rützou: Oft bemerken wir, dass wir etwas benötigen, was wir auf dem Markt nicht finden können. Daraus entsteht die Möglichkeit, selbst Dinge zu entwerfen. Einige von ihnen gelangen schließlich in die Serienproduktion – wie aktuell die Leuchtenkollektion Howard von Gubi, die ursprünglich für das 11 Howard Hotel in New York entstanden ist.
Sind Hotels eine Art Experimentierfeld geworden, um Ideen für das Wohnen auszuprobieren?
Peter Bundgaard Rützou: Absolut. Viele private Kund*innen zeigen uns als Referenzen Hotels. Beobachtungen zu sozialen Bedürfnissen haben sich von Hotellobbys abgeleitet. Sie sind nicht mehr nur Orte, an denen man ankommt oder von denen man wieder abfährt. Es gibt eine Vielzahl an Aktivitäten, die dort stattfinden. So dienen immer mehr Lobbys als Restaurants. Dann gibt es dort kleine, gemütliche Ecken, in denen man sich beinahe zu Hause fühlt. Diese Lobbys definieren einen seltsamen Hybrid-Zustand, bei dem sich Intimität und Privatsphäre inmitten eines offenen und zugleich öffentlichen Raumes überschneiden. Einen Teil dieser Erfahrungen übertragen wir in unsere Wohnprojekte, indem wir in großen Räumen Inseln schaffen. Die Beleuchtung rückt näher an die Menschen heran, was ein Gefühl der Sicherheit gibt.
Sie beschreiben Ihre Arbeit als „poetischen Modernismus“. Worin liegt für Sie der Schlüssel zu einem angenehmen Interieur?
Signe Bindslev Henriksen: Wir wollen, dass sich Räume wirklich warm und einladend anfühlen, wenn man sie betritt. Sie sollen eine gewisse Erkennbarkeit besitzen, überraschen und Neugierde erwecken. Doch im selben Moment sollen sie nicht befremdlich wirken. Darum versuchen wir vor allem bei Hotels und Restaurants, all diese themenbasierten Umgebungen und szenografischen Herangehensweisen außen vor zu lassen. Ein guter Raum ist ein Materialpuzzle, zu dem man eine Verbindung aufbauen kann und zu dem man eine bestimmte Nähe empfindet.
Und welche Aspekte sind noch wichtig, damit man sich in einem solchen Raum wohlfühlen kann?
Peter Bundgaard Rützou: Für die meisten Menschen mag das Visuelle der wichtige Sinneseindruck sein. Doch die Gestaltung von räumlicher Erfahrung geht über das Visuelle weit hinaus. Akustik ist ein wichtiges Thema. Schließlich soll der Klang kein zu starkes Echo erfahren. Auch soll sich ein Interieur lokal anfühlen, sodass man etwas von dem Ort erfährt, an dem man sich gerade befindet. Das sind Dinge, die auf einem recht unterbewussten Level passieren. Doch sie sind sehr eng damit verbunden, Wohlbefinden zu erzeugen.
Signe Bindslev Henriksen: Wir legen viel Wert darauf, was passiert, wenn Menschen zum ersten Mal eine Lobby oder ein Restaurant betreten: Es ist gut, wenn sie intuitiv verstehen, wohin sie gehen sollen. Das Gefühl, verloren zu sein, oder nach Hilfe fragen zu müssen, um in einem Raum zu navigieren, ist bereits ein Auslöser, sich unwohl zu fühlen.
Welche Rolle spielen dabei die Materialien?
Signe Bindslev Henriksen: Materialien und Oberflächen sind der konsistenteste Faden, der sich durch unsere Arbeit zieht. Wir haben eine große Leidenschaft für organische Materialien, die gut altern können und nicht nur am ersten Tag schön sind. Materialien, zu denen man eine Beziehung hat. Messing ist ein Material, auf das wir immer wieder gerne zurückgreifen. Es besitzt Wärme und ist viel weicher als Stahl. Es hat eine gewisse Fragilität, was wir sehr mögen. Rohleder wird mit der Zeit auch immer schöner. Doch es dauert lange, bis es diese wunderbare Patina annimmt. Mitunter braucht es dafür zwanzig Jahre, weswegen wir es eher in privaten Projekten verwenden als im Hospitality-Bereich.
Peter Bundgaard Rützou: Wenn man einen Stuhl gestaltet, der von einer Generation zur nächsten vererbt wird, dann transzendiert man ihn in ein Symbol. Und das ist das Nachhaltigste, was man erreichen kann. Wir mögen es, mit Materialien zu arbeiten, die die Wahrscheinlichkeit verstärken, für eine lange Zeit zu existieren. Genau aus dem Grund, dass man einige Erinnerungen damit verbindet und so eine Zuneigung zu diesen Gegenstand empfindet. Natürliche Materialien haben diese Fähigkeit. Schlussendlich geht es auch um die Verantwortung, die wir hinsichtlich der Produktion und dem Umgang mit Ressourcen haben.
Sie haben nicht nur das Kopenhagener Sterne-Restaurant Noma entworfen, sondern auch das Nachfolgerestaurant 108. Chefkoch René Redzepi konnten Sie überzeugen, helle Holztische zu verwenden. Diese mussten anfangs täglich mit Seife behandelt werden, um die natürliche Struktur des Holzes vor Flecken zu schützen. Was passiert, wenn die Möbelpflege zur Routine wird?
Signe Bindslev Henriksen: Wir wollten eine andere Erfahrung erzeugen, die über das hinausgeht, was wir normalerweise als edel oder luxuriös empfinden. Braucht es wirklich noch Gold und Glanz? Oder ist es vielmehr die Zeit, die man in etwas hineinsteckt? Luxus bedeutet hier, die Voraussetzung zu akzeptieren, dass jemand über viele Jahre hinweg das Holz seift. Aber dafür müssen keine Decken mehr gewaschen werden, weil sie nicht mehr benötigt werden. Es geht nun um die Schönheit der Tischoberflächen.
Peter Bundgaard Rützou: Sie seifen jetzt nur noch ein paar Mal pro Woche, weil mit der Zeit eine schützende Schicht entsteht, genau wie bei Skiern. Das Holz wird dadurch resistent. Der Koch meinte: Man kann jetzt sogar eine Flasche Rotwein darüber kippen und es einfach wegwischen. Dennoch muss man immer weiter seifen und darf nicht aufhören. Das Seifen ist zu einem festen Ritual geworden.
Welche Rolle spielen für Sie die großen dänischen Meister der Architektur und des Designs? Schauen Ihnen die Giganten ständig über die Schultern?
Peter Bundgaard Rützou: Mit vielen ikonischen Möbelstücken haben wir als Kinder gespielt. Wir sind so daran gewöhnt, von ihnen umgeben zu sein, dass sie zu einem Teil unseres Selbstverständnisses geworden sind. Als wir unser Studio 2005 gegründet haben, hatte das dänische und skandinavische Design Probleme. Die Arbeit der großen Meister war so profund und großartig, dass die nachkommenden Generationen verängstigt waren. Und so schien es, als würde lange gar nichts passieren. Doch die Zeit ist seitdem vorangeschritten. Weil Räume immer hybrider werden, brauchen wir heute Möbel, die eine bestimmte Art von Offenheit besitzen. Wir haben durch unsere Erziehung eine nordisch-skandinavische Denkweise erhalten. Und mit der gestalten wir Orte und Möbel, um mit ihnen die Aufgaben unserer heutigen Zeit zu lösen.
Signe Bindslev Henriksen: Die Entwürfe von Poul Kjærholm, Hans J. Wegner, Finn Juhl oder Arne Jacobsen sind sehr unterschiedlich. Natürlich gibt es Gemeinsamkeiten wie ein Faible für Handwerk oder bestimmte Materialien. Aber der Punkt ist, dass sie alle Inspiration aus dem Ausland bezogen haben: aus den USA, Japan oder afrikanischen Ländern. Manche Arbeiten sind sehr verspielt, andere sehr minimalistisch, manche sehr organisch, andere sehr streng auf eine fast schon grafische Weise. Davon fühlen wir uns wahrscheinlich sogar am meisten inspiriert. Nicht im Sinne von: Lass uns etwas Japanisches machen. Wir greifen unterbewusst mit auf, was wir bei Reisen in andere Länder aufsaugen. Genau das haben die dänischen Meister früher auch gemacht. Und diesem Prozess, die eigenen Erfahrungen zu filtern, fühlen wir uns sehr nahe.